Das Zitat der Woche
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Über das Buch
Roger Willemsen
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Das Buch ist ein Produkt, und es ist nichts so wenig wie ein Produkt, nämlich intelligibles, sensibles, moralisches Massiv. Deshalb hat der Bertelsmann-Manager, der mal von einem Roman zu mir sagte: «Das Buch wird auch vom Lesen nicht besser», nicht nur unrecht: Das Buch ist im Leser, bevor es gelesen wird. Es wird historisch ganz anders notiert als Gebrauchswaren oder selbst andere Kulturträger, es hat sich technisch nicht erneuert, und bleibt umgeben von der Aura der historischen Kulturleistung. Es braucht deshalb mehr Versprechen, mehr Charisma als andere Waren, und es verlangt, dass der Warencharakter an ihm möglichst unfühlbar sei.
Bücher wollen auch deshalb wie Unikate behandelt werden. Sie sollen Individuen sein und individuelle Begegnungen ermöglichen. In dieser Hinsicht bilden sich rund um das Buch Geheimgesellschaften und Solidargemeinschaften. Man muss es folglich entweder anbieten wie eine Pforte eben zu diesen oder, sofern es sich um Bestseller handelt, wie ein Tor zu jener Massen-Gemeinschaft, an der man partizipieren will wie an «Wetten dass», ungeachtet, wie einfältig sie unter Umständen ist. Man reist also auf Büchern immer entweder in die Vereinzelung oder in die Masse und möchte mit dem Mehrwert des Einen oder des Anderen beschenkt werden.Leser suchen im Buch (ich rede nicht von Unterhaltung und nicht vom Sachbuch) den von ihnen, nur von ihnen zu entziffernden Satz, sie suchen das Original, die erste Begegnung. Will man in ein Buch einführen oder auf es aufmerksam machen, orientiere man sich also weniger am Stoff als vielmehr am Satz, an der Situation, dem Versprechen des Einzigartigen, selbst am Atmosphärischen oder Klimatischen, das Epische allein trägt ausschließlich Unterhaltungsromane.
Lesen ist anachronistisch durch das Zeitmaß und durch die Konzentration, die es fordert. Das Versprechen, das zum Buch führt, muss also substantieller sein als bei anderen Produkten. Es muss die Mühe und den Zeitverlust, samt dem Gefühl kompensieren, lesend an der gegenwärtigen Welt nicht teilzunehmen. Der Akt des Lesens bleibt deshalb ein Akt der Besonderung, den man entweder durch Wissensvorsprünge aller Art honoriert oder durch das Versprechen überwundener Einsamkeit. Weil es sich hier uni eine produzierte Rezeption handelt, nicht um eine automatische, steht sie gegen die Beliebigkeit, mit der Bilder oder musikalische Einheiten sich vermitteln.Aus Roger Willemsen, 20 Thesen zu Buch und Buchmarkt heute, Vortrag an der Jahrestagung der Deutschen Publikumsverlage, München 2007
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