Das Zitat der Woche
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Über die Aufgabe des Schriftstellers
Donna Leon
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Wieso muß man der Literatur die schizophrene Verpflichtung auferlegen, entweder zu ergötzen oder zu belehren, wenn man ihr ebensogut beides gleichzeitig abverlangen kann? Man bedenke nur einmal kurz, was alles nicht mehr unter Literatur fiele, wollte man dem Genius (aus einem konstruierten Dilemma heraus) diese Regel pedantisch aufzwingen: Gullivers Reisen, Dickens, Austen – es gäbe sie alle nicht. Becky Sharp würde ihr Wörterbuch von Johnson niemals hinter sich über die Schulmauer zurückwerfen, und niemals könnte jemand wie die unsägliche Mrs. Proudie aus Anthony Trollopes «Barchester Towers» ihren Machtkampf gegen den intriganten Hauskaplan führen. – Nein, die Schriftsteller wären so sehr damit beschäftigt, uns etwas zu lehren, dass sie weder die Zeit noch die Geduld hätten, den Leser bis zum Ende des Buches in Atem zu halten, was doch eigentlich des Schriftstellers Aufgabe ist. ■
Aus Donna Leon, Mit Miss Austen zum Tee, in: Lesen Sie auch nie? – Tintenfass Nr. 26, Diogenes 2002
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