Glarean Magazin

Zitat der Woche

Posted in Glarean Verlag, Heinrich Lhotzky, Literatur, Psychologie, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 17. April 2011

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Über die Ehe

Heinrich Lhotzky

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Sehr oft habe ich aus Frauenmunde gehört, daß sie sich nicht genug wundern können, wie die Männer im allgemeinen ungeschickt seien in der Wahl ihrer Gattinnen. Sie haben recht. Wer richtig gewählt hat, verdankt das nicht seinem Scharfsinn und seiner Menschenkenntnis, sondern gewöhnlich einem wohlwollenden Zufall, der ihn freundlich leitete. Wir sehen gerade, daß die wählerischsten Männer in der Regel die unglücklichste Wahl treffen. Würde es aber umgekehrt sein, wie manche Leute es auch wünschen, würden die Frauen wählen, so würden sie dieselben unbegreiflichen Fehler begehen.
Das hat seine tiefen Gründe. In der ganzen Natur zieht sich nicht das Gleiche, sondern das Ungleiche an. Es walten auch da bestimmte, wenn auch nicht fest geformte Gesetze. Nicht das Ungleiche an sich – denn es gibt Ungleichheiten, die sich in Ewigkeit nicht anziehen – sondern das Ungleiche, das im andern seine Ergänzung ahnt.
Alle Stoffe, bis ins kleinste Ur-Teilchen hinein, erscheinen wie auseinander getrieben durch eine Kraft und müssen sich nun anscheinend so lange suchen, bis sie einander wiedergefunden haben.
Den Gesetzen des Stoffes kann sich auch der Mensch nicht entziehen, denn er ist der königliche Vertreter des Stoffs auf diesem Stern. Daher sehen wir, wie Gegensätze gern zu ehelicher Gemeinschaft zusammentreten. Die allergrößte Ungleichheit aber ist Mann und Weib an sich.

Heinrich Lhotzky (1857-1862)

Der Unterschied von Mann und Weib ist weit entfernt, nur ein geschlechtlicher zu sein. Bis in das letzte Denken hinein macht er sich bemerkbar. Je höher entwickelt die Geister sind, um so tiefgreifender wird der Unterschied zwischen männlich und weiblich. Das Ungleiche strebt zu einander. Das ist ein wahrhaft göttliches Gesetz. Warum strebt es zu einander? Durch seine Vereinigung wird die Mannigfaltigkeit größer und wirkungsvoller. Denkbar größte Mannigfaltigkeit ist aber ein Grundgesetz der Natur. Darauf ruht die Vielheit der Erscheinung. Andererseits bekunden die einander zustrebenden Gegensätze in geheimnisvoller Weisheit die innere Einheit des Ganzen. Die Einheit besteht darin, daß sich alle Gegensätze zum Zusammenklang vereinigen können und werden.
Die Ehe ist also in jeder Beziehung Auswirkung eines Naturgesetzes. Das Zusammenklingen zweier Gegensätze ist zugleich die unterste Stufe der Vereinheitlichung aller, des Alls. Darum sollen wir wissen, daß die Ehe im allgemeinen kein Ausruhen sein wird und keine Behaglichkeit schlechthin. Bequemer lebt man ohne Ehe, und ohne sich viel um die Umwelt zu kümmern. Bequemer, aber auch unnützer. Nur wer mitarbeitet, kann sich auch mitfreuen.
Also wer in der goldenen Jugend steht, der soll nicht zur Ehe drängen. Sie bringt eine schwere Kette von Enttäuschungen. Enttäuschungen sind seelische Arbeitsleistungen. Sie müssen sein. Aber man sollte sie erst auf sich nehmen, wenn man ihnen voll gewachsen ist und seine größte körperliche Kraft gefunden hat. Dann aber auch mutig. Wer später nicht hindurchkommt, geht der Menschheit und oft genug sich selbst verloren.
Die Ehe bereitet sich vor in der jugendlichen Freundschaft innerhalb und außerhalb des gleichen Geschlechts. Fast alle Freundschaften verlaufen in Enttäuschungen, oft recht schwerer Art. Auch die Freundschaften unterliegen dem Gesetz, daß die Gegensätze zu einander streben, die wenigsten sind nur stark genug, sie zu überwinden. Daher zerbrechen die Freundschaften mit Durchschnittsmenschen.
Das schadet nichts. Wer sich durch Enttäuschungen entmutigen lassen wollte und mit Verbitterung auf die Menschheit blicken lernte, der würde unfähig, ein nützliches Glied der Menschenwelt zu sein. Sie sollen gerade anreizen, dem Rätsel Menschheit auf immer neue Weise zu begegnen, immer mehr die Fehler in der Annäherung zu vermeiden und sich immer aufs neue hineinzulieben in das große Ganze, das nur einen einzigen Weg der Rettung, der Erlösung, der Befreiung, des Vorwärts – nennt’s wie ihr wollt – kennt, den Weg der selbstlosen Hingabe. Man muß aus vielen verkrachten Freundschaften gelernt haben, eine Ehe in’s Auge zu fassen und eine Ehe zu führen. Das schwere Lebenswerk geratet dann leichter.
Eine rechte Ehe ist das Schwerste, was im Leben gelingt. Alle anderen Arbeiten sind nicht so schwierig. Wir sehen viele Menschen Großes vollbringen und Erstaunliches leisten, nur rechte Ehen bringen wenige zustande. Sie bleiben meist in den Gegensätzen stecken. ●

Aus Heinrich Lhotzky, Das Buch der Ehe, Düsseldorf 1911

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