Herbert Jost: Ein Theater-Fragment
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Hamlets Rückkehr
Dr. Herbert Jost
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Ein dunkler, leerer Raum, dessen Rückwand von
einem schweren, schwarzen Vorhang verdeckt wird.
Hamlet und Horatio von links
HAMLET
So bin ich also wieder da,
zurückgekehrt – woher? – wohin?
Nicht nach Helsingör, wie’s scheint,
das ich für alle Zeit verließ,
als meinen Leib die Erde deckte.
Und doch, es stimmt: ich bin zurück.
HORATIO
Und nun, mein Prinz?
HAMLET
Und nun, treuer Horatio,
will ich ein Weilchen bleiben.
Hier, denk ich,
ist es grad so gut,
wie an jedem andern Ort –
tausendmal besser
als unter der Linde,
wo die Familie beisammensitzt,
andere zerredet, die gleich uns
die ird’sche Welt schon lang verließen.
Ich sage dir, Horatio –
und bau dabei auf deine Freundschaft,
dass keinem du es hinterbringst –
heut weiß ich endlich, dass mein Kampf
verloren war, eh er begann.
Ich stritt einst für meinen Vater –
nein, nicht für ihn,
für seinen Geist und Seelenfrieden! –
ich schlug mich für Gerechtigkeit
und Sühne brüderlicher Untat,
für viele hehre Dinge.
Ach! Von hier besehen
war alles eitler Plunder!
Nun, da ich mit ihnen bin so viele Ewigkeiten,
kenn ich den Vater und den Oheim wohl genug,
um zu verstehn, wie sehr ich irrte:
keiner von denen, bester Freund,
ist gut oder auch schlecht genug,
dass es sich lohnt, dafür zu sterben.
HORATIO
Was grämt ihr Euch?
Ihr tatet doch nur recht,
nach bestem Wissen und Gewissen recht,
wieso Euch nun mit Zweifel plagen?
HAMLET
Verstehst du nicht, Horatio?
Mein Ende, es war ganz umsonst
und alles Leid, das ehedem geschah –
umsonst und ganz und gar vergebens.
Der Schmerz, den ich Ophelia brachte,
Ophelia, die ich liebte, und die
noch immer mich erfüllt mit unnennbarer Zärtlichkeit,
Laertes und die anderen alle,
die diese komische Tragödie fällte –
umsonst gingen sie hin,
ohne Nutzen war dies alles.
HORATIO
Ihr könnt nicht weiter trauern, Prinz.
Die Ewigkeit ist viel zu groß,
um sie in Schmerz zu baden.
HAMLET
Ja, du hast recht, Horatio.
Doch laß mich nun,
da mein Auge trocken bleibt,
noch diesen einen Augenblick
in Andacht hier verweilen.
Geh, guter Freund,
und laß mich jetzt allein.
Bald wird Ophelia hier erscheinen,
und noch bevor sie bei mir ist,
soll meine Wut verflogen sein.
HORATIO
Wie Euch beliebt, mein Prinz.
Ab nach rechts
HAMLET
Allein. – Allein?
Nein, sicher nicht.
Wohl kann man hier sehr einsam sein,
doch ganz alleine ist man nie.
Wie sehr sich doch die Sphären gleichen!
Der treue Horatio hat ja recht:
warum soll ich mich grämen?
Es liegt kein Sinn in dieser Qual,
kein Schaden zwar, doch auch kein Nutzen.
Oftmals denke ich zurück:
Wie Yoricks Schädel in der Hand ich hielt,
wie Ekel mich befiel bei dem Gedanken,
daß dies einst jener Yorick war, mein Yorick…
Nun seh ich selbst so aus da unten,
drüben – wo auch immer.
Und oft treff ich den guten Narr’n.
Er ist noch ganz der alte,
doch macht er keine Späße mehr.
In diesem weiten Paradies
ist jeder ein viel größ’rer Narr,
als Yorick jemals einer war.
Wozu dann seine Kunst verschwenden?
Bald wird Ophelia kommen.
Ophelia! Wie befreit ich war,
als ich sie endlich wiedertraf,
gesund an Geist und Seele.
Wahnsinn ist nicht für diese Welt.
So ist sie mir gerettet;
und auch, wenn sie so fleischlos ist,
wie alle anderen um uns her:
ich lieb sie mehr als je.
Ophelia erscheint von links
OPHELIA
Da bist du ja.
Doch ganz allein?
Warst du nicht mit Horatio?
HAMLET
Ich schickt’ ihn fort.
Er ist fürwahr ein guter Freund,
doch manches Mal sehr anstrengend.
OPHELIA
Anstrengend? Horatio,
der dich aus tiefster Seele liebt?
Wie soll ich das verstehen?
HAMLET
Empfindest du’s als leicht,
mit einem Freund zu reden,
der nicht versteht, wovon du sprichst?
OPHELIA
Dann also sprachst du ihm
von deinen Zweifeln, Hamlet?
du weißt, von allen, die hier sind,
wird keiner das verstehen.
Selbst ich weiß nur, was dich bewegt,
weil mein Herz mit dem deinen schlug.
HAMLET
Vielleicht muß es so sein,
dass ich zweifle, daß ich leide,
und der Tod mir bitter ist.
OPHELIA
Man könnte glauben, hört man dich,
wir wären nicht im Himmel.
HAMLET
Für euch mag es der Himmel sein,
den ich euch herzlich gönne,
für mich bleibt es ein Ort der Pein.
OPHELIA
Ein Ort der Pein?
Wär’ ich dann hier?
Hamlet schweigt
OPHELIA
Wir wollen auf die Sterne sehn
und all den Gram vergessen!
Der Vorhang im Hintergrund öffnet sich;
dahinter: ein sternenübersäter Himmel.
Kurzes Schweigen
OPHELIA
Weißt du, als ich ertrunken bin,
als mir die Sinne schwanden,
da sah ich Gott für kurze Zeit.
HAMLET
Auch ich sah ihn in dem Moment,
als, von Laertes gift’gem Streich gefällt,
ich meinen letzten Atem tat.
Er kam heran und sprach zu mir:
– Du hattest mich gerufen, Sohn,
nun sieh, ich bin gekommen. –
Ich sagte drauf: Ja, das ist wahr,
Hamlet hat Euch wohl gerufen,
als die Qual sein Herz zerriß.
Doch das ist lange her.
Und nun seid ihr gekommen.
Darauf verschwand er – einfach so.
Und nie kam er zurück. ■
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Geb. 1960 in Frankfurt/M, Ethnologie-Studium und Promotion in Marburg; fachwissenschaftliche, belletristische und zeichnerische Publikationen in Büchern, Zeitschriften und Anthologien, seit 1980 als Autor, Zeichner, Produzent, Regisseur und Darsteller freiberuflich tätig, lebt in Alsfeld/D
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