Glarean Magazin

Das Zitat der Woche

Posted in Alexander Moszkowski, Kunst&Kultur, Literatur, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 6. März 2011

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Vom Wert der Illusion

Alexander Moszkowski

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Man könnte die Frage aufwerfen, ob das Leben ohne Illusion sonderlich lebenswert wäre; und daran anknüpfend, ob einer Sprache die Aufgabe zufiele, die Zahl der Illusionsworte zu vermindern. Denn zu Hunderten dienen die Fremdworte allerdings der Illusion, der scheinbaren Erhöhung der Lebenswerte. Sie umspielen die Dinge mit einem Glanz, den keiner für echt hält und den doch jeder zu schätzen weiß, wie alles Symbolische, Allegorische, aus der starren Wirklichkeit herausragende. Grau in grau würde die Welt uns anblicken, wenn wir dahin gelangten, von den Dingen den Schein abzustreifen, nur das Echte übrigzubehalten, die »Dinge an sich«, die uns leere Abstraktionen bleiben. Unser Lebensbedürfnis drängt uns dazu, dieses Grau in grau zu vermeiden und in Anschauungen wie in Worten alles zu versuchen, um uns den farbigen Abglanz des Lebens gegenwärtig zu halten.

In jenem Lebensbedürfnis wurzelt alle Kunst, alle Romantik, die von Aposteln der Nüchternheit totgesagt werden kann, ohne jemals zu sterben. Es gibt keinen Nicht-Romantiker, und wenn es einen gäbe, so müßte er seinen Standort an einem Weltpunkt wählen, wohin nicht Licht noch Ton dringt. Wir andern sind Sonnenanbeter, wes Bekenntnis wir sonst sein mögen; im Regenbogen erblicken wir noch etwas anderes als eine prismatische Lichtzerlegung, ein Wald erzählt uns von andern Dingen, als von seinen Kubikmetern Holz, ein Vogellied berührt uns nicht nur mit soundsoviel Schallschwingungen in der Zeiteinheit.
Kein Zufall, daß das Illusionswort in allem, was schon seinem Wesen nach auf Illusion, als Vortäuschung beruht, so große Geltung erlangt hat. Was ist ein »Theater«? Ein »Schauhaus«, sagt der Kaltverständige, der weit entfernt von jedem Schein nur in der Wesen Tiefe trachtet. Wenn du ins Schauhaus willst, erwidern wir ihm, so geh’ in die Leichenkammer, die in gutem Amtsdeutsch Schauhaus genannt wird. Wir gehen, wie die Zeitgenossen des Euripides ins Theater, wohin wir ungeheuer viel Illusion mitbringen, z. B. daß uns ein nur dreiseitig geschlossener Raum als ein vierseitiger erscheint, ganz gegen alle Regeln der starren Wahrheit. Wir hören einen ungebildeten Schweizer Bauern namens Melchthal in Versen deklamieren, wie man sie nur auf dem Parnaß spricht, und wir zittern für das Leben eines Knaben aus Anlaß eines Apfels, der sich mit einem nicht abgeschossenen Pfeil zu einer Attrappe verbindet.
In dieser Verfassung sind uns zahllose ursprünglich fremdländische Bezeichnungen willkommen, eben weil sie eine Lautspur des Fremden, des Abseitigen, des nicht auf der grundbürgerlichen Heerstraße Gelegenen aufzeigen. Wir wollen eine Oper hören und nicht ein Singwerk, in einer Prosceniumsloge sitzen und nicht in einer Vorderlaube, uns an einem Tenor begeistern und nicht an einer Hochstimme. Ein Orchester kommt unserem Illusionsdrang besser entgegen als eine Menge von Spielleuten, ein Ballett besser als ein Schautanz, eine Primadonna besser als eine erste Sängerin, und wir rufen bravo! bravo!, um nicht mit wacker! wacker! aus der Illusion zu fallen.
Die Höhe und Tiefe der Erbauung oder des Vergnügens bedingt dabei keinen Unterschied. Ob wir uns einem Oratorium, einem Requiem, einer Kantate hingeben oder uns bei kinematographischen Künsten zerstreuen,– das fremdländische Wort steht der Illusionslage durchgängig um eine Gradstufe näher. Gewiß, wir können »Kientopp« sagen oder auch »Flimmerkiste«; aber wir begeben uns damit auf den Weg einer verulkenden Kritik und versauern uns selbst absichtsvoll eine Erregung, die der Kinematograph und sogar noch das Kino hervorzurufen vermag.
In einem Etablissement glühen Lampions und bengalische Feuer, Raketen explodieren, Transparente erscheinen, Karussels wirbeln, neben der fontaine lumineuse lockt eine Tombola unter elektrischen Guirlanden, das ganze nennt sich Italienische Nacht. Wir wissen ganz gut, daß dies bengalische Feuer nicht aus Bengalen, sondern aus der Ackerstraße stammt, daß es Springwasser beleuchtet, und daß die ganze Veranstaltung ebenso treffend eine Hinterpommersche Nacht genannt werden könnte. Es ist also Mumpitz. Aber da wandeln hunderte von kleinen Leuten, in deren Unterbewußtsein traumhaft etwas lebt, was mit der brutalen Formel des Mumpitz nicht abgetan wird. In ihnen glimmt ein Willensrest, der unbeeinflußt vom Verstande sein Feuerchen aus der groben Täuschung bezieht. Was sie umfängt, ist doch nicht ganz der graue Werkeltag, sondern eine Art von Maskerade, ein winziger Ausschnitt aus dem Karneval des Lebens, in dem die Dinge nicht genau das bedeuten, was sie sind, sondern was wir in sie hineinlegen. ■

Aus Alexander Moszkowski, Das Geheimnis der Sprache – (Essays / 1920)

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