Glarean Magazin

Corazón-Quartett: «Wasser, Licht & Zeit»

Posted in Alexander Remde, CD-Rezension, Corazon-Quartett, Musik, Musik-Rezensionen, Rezensionen by Walter Eigenmann on 4. Januar 2010

.

Und letztlich verabschiedet sich alles mit einem leisen Seufzen

Alexander Remde

.

Das Münchner Corazón-Quartett wurde im August 2008 gegründet und veröffentlicht nun seine erste CD mit dem Titel «Wasser, Licht & Zeit». Initiator und Leiter des Quartetts ist der Gitarrist Lori Lorenzen. Aus unzähligen Studioproduktionen und als Part des Flamengo/Latin-Duo «Alvorada» dürfte er vielen, die sich in dieser Sparte der Musikwelt bewegen, bekannt sein. In seinem eigenen Tonstudio wurde die vorliegende CD produziert, weiters zeichnet er für die grafische Gestaltung verantwortlich. Das Quartett vervollständigen Wolfgang Wallner an der Gitarre, der slowakische Bassist Peter Cudek und der Perkussionist Roman Seehon, der auch schon mit dem populären Rockmusiker Mike Oldfield zusammengearbeitet hat. Als «ständiger Gast» (was immer das hier auch bedeuten mag) wird die Sängerin Mariette Radtke präsentiert, und zwei Titel dieser CD erfreuen sich der Mitwirkung von Reinhard Greiner, der Trompete und Flügelhorn bläst.

Hier sammeln sich hervorragende Musiker, und man sollte meinen, das Ergebnis ist ebenso exzellent. Doch was ist bestens, wenn es subjektiv beurteilt wird (und nichts anderes geschieht ja, wenn Musik bewertet wird)? Noten zu vergeben ist ebenso oberflächlich wie arrogant. Eine Stimmung beschreiben zu wollen ist abhängig von der eigenen Laune, und kein Werk, welches mit besten Absichten geschaffen wurde, hat es verdient, in schlechten Stunden gehört zu werden. So habe ich nach der ersten Begegnung mit «Wasser, Licht & Zeit» das Unbehagen, das ich spürte, unbeachtet gelassen.

Das Münchner Corazon-Quartett mit seiner Gastsängerin Mariette Radtke

Als ich beim zweiten Hören auch nicht loslassen konnte, besser gesagt, ein Fallenlassen immer wieder gestört wurde, ging ich daran, zu ergründen, was nicht passt. Es fiel mir auf, dass ich weniger Probleme mit den Instrumentalstücken hatte, aber immer wenn Gesang drängte, wurde aus einer angenehmen Spannung wirrender Widerspruch. Mariette Radtke beherrscht das Handwerk des Gesanges zweifelsohne. Nur: wie kann so bejahende Spielfreude sich mit einer Melodieführung paaren, die zur Floskel neigt? Auch jegliche in dieser Produktion aufblitzende Melancholie entspringt den Instrumenten, das Vokale schaut einfach nur traurig hinterher.
Gefördert wird dieses Scheitern durch Texte, denen es an Autonomie und Glaubwürdigkeit fehlt. Nun kann nicht jeder über die lyrische Kraft eines Hermann Hesse verfügen, aber wenn der Horizont der Substantive überwiegend aus altbekannten Bahnen besteht, verkommt manches Gutgemeinte zur Pseudolyrik. Beispiel:

Der Wein rot wie Rubin,
das Meer aquamarin
und Vogelschwärme ziehn vorbei.
Die Felder braun wie Zimt,
liebkost ein sanfter Wind,
Zeit schein unbestimmt,
das Leben ist uns wohlgesinnt,
so groß und grenzenlos.

.

Partitur-Anfang «Das Glas» (Komposition&Arrangement: J. Lori Lorenzen)

.

Diese Qualität steht im krassen Gegensatz zu dem, was musikalisch erlebt werden kann: Präzise Rhythmusarbeit, die sich nicht aufdrängt und dennoch mit ihrer Gegenwart dem Gelingen dient, ein versponnener Bass, dem Platz für Soli gegönnt wird, die er dankbar nutzt, und ein Gitarrenspiel, das erklärt, warum dieses Instrument nichts an Popularität eingebüßt hat. Hier sind wahre Kapazitäten am Werk, die ein großes, nicht vielen zur Verfügung stehendes Spektrum nutzen. Mein persönlicher Favorit auf der CD «Wasser, Licht & Zeit» vom Corazon-Quartett ist der zehnte und letzte Titel: «Mansarez». Eine Einheit aus Flamenco und Jazz; wenn populär wirkend, einen Bruch bringend, dem ein Soli folgt, das über allem steht und doch integraler Bestandteil dessen ist, was ich die Wirksamkeit der Musik nenne. Wie Wasser fließen gemeinsam Bass und Schlagwerk hin zu dem, was den Gitarren entsprang. Und letztlich verabschiedet sich alles mit einem leisen Seufzen. ■

Corazon-Quartett, Wasser, Licht & Zeit, Audio-CD, Fluxx-Records, München 2009

.
.
Inhalt
 1. der berg über dem meer  
 2. die gärten des sommers  
 3. das glas  
 4. agua tranquilo  
 5. agua silvestre  
 6. zeiten verändern sich  
 7. aire de tango  
 8. la vacilona  
 9. schöne zeit  
10. mansarez


.

.

.

Abraham Verghese: «Rückkehr nach Missing»

Posted in Abraham Verghese, Alexander Remde, Buch-Rezension, Literatur, Rezensionen by Walter Eigenmann on 8. Dezember 2009

.

Über allem die Liebe zu den Menschen

Alexander Remde

.

«Rückkehr nach Missing» ist auch ein Roman. Nur reicht dieses Wort nicht aus, um zu beschreiben, was in den 770 Seiten des neuesten Werkes von Abraham Verghese steckt. Es ist auch Saga, medizinisches Lehrbuch, Plädoyer – und eine Liebeserklärung an einen Beruf und einen Kontinent.
Mit Sicherheit keine leichte Literatur, aber ein Werk, das berührt und das mit tiefen Emotionen den geduldigen Leser belohnt, geschrieben in einem Stil, den ich schon verloren glaubte, und an dem Thomas Mann seine helle Freude gehabt hätte. Wer es altmodisch nennt, trifft den Kern, denn Präzision und Emotion werden hier wieder vereint und geben eine Nähe zum Geschehen, die den Leser, falls er dazu bereit ist, in einen zeitlosen Raum entführt. Und ist es nicht genau das, wonach wir uns sehnen? Wer nah am Wasser gebaut ist, wird bei der Lektüre die eine oder andere Träne vergießen, ohne es zu bereuen. Es verbietet sich hier, auch angesichts der Vielfältigkeit und Bodenlosigkeit der Handlung, ein Protokoll anzufertigen und weiterzugeben. Viele Geschichten spinnen sich um den Kern und vereinen sich letztendlich zu dem, was man wohl Sinn nennt.

Im Mittelpunkt steht die Geschichte der Zwillingsbrüder Marion und Shiva, die als Waisen in Äthiopien ihren Weg suchen. Die Mutter, eine indische Nonne, stirbt bei der Geburt; der Vater, ein britischer Chirurg, verschwindet spurlos. Die Brüder erlernen beide des Vaters Beruf, werden sich auf tragische Weise trennen, und einer wird sich in die Hände des anderen und zwangsläufig auch in die Hände des verlorenen Vaters begeben müssen. Beide Brüder wird die Liebe zu einer Frau quälen, beide leben im Addis Abeba der sechziger Jahre, einer von politischen Unruhen erschütterten Hauptstadt. New York wird eine Rolle spielen, ebenso die Gesundheitssysteme der Reichen und der Dritten Welt.
Sicherlich klingt hier einiges nach Pathos, wird doch mit Nachdruck jeder Zwang in Frage gestellt, der sich ergibt, werden ökonomische Möglichkeiten mit medizinischen Notwendigkeiten auf einer Ebene notiert. Doch hier setzt der Hebel an, den uns Abraham Verghese als Botschaft zwischen die Zeilen schreibt. Eine Ausbildung, die Überflüssiges lehrt und Notwendiges nicht nachhaltig genug vermittelt, eine Heimat, die keine mehr ist, und ein Vertrauensverhältnis zwischen Abhängigen (hier Arzt und Patient), welches auf dünnstem Eis wandelt.

Abraham Verghese

Über allem steht die Liebe zu den Menschen und damit ja auch die Liebe zu sich selbst. Vielleicht ist «Rückkehr nach Missing» eine Geschichte über das Vertrauen, das schnell verloren geht und schwer wiedergewonnen wird. Oder es ist eine Erzählung vom Glauben an die Unendlichkeit der Mutterliebe, die alles in jeder Zukunft zusammenfügen wird, gleich welcher Wirklichkeit, Region und Gesellschaft wir angehören. Dass ein Buch Farben in uns malt, Stimmen schafft und Figuren entstehen lässt, nehmen wir als selbstverständlich an. Wie Abraham Verghese diesen Anforderungen genügt, wird uns zuvorderst etwas fremd erscheinen, dann erstaunen und letztendlich erlösen. «Rückkehr nach Missing» ist ein Buch, das nie zu schwer wiegt und doch kein leichtes Lesen verspricht. Wer bereit ist, sich auf ein tragisches Abenteuer einzulassen, der wird genießen können.

Abraham Verghese, als Sohn indischer Eltern geboren in Äthiopien, spendet wohl einiges an eigenem Leben dem Roman; das macht ihn echt. Wie viel der Leser davon annehmen und verstehen will, bleibt ihm selbst überlassen. Die schöne Kunst des Erzählens dürfen wir hier genießen und zahlen als Preis dafür nur Aufmerksamkeit und Auffassungsgabe, sofern wir geneigt sind, uns in eine fremde Welt fallen zu lassen. ■

Abraham Verghese, Rückkehr nach Missing, Roman, Insel Verlag, 770 Seiten, ISBN 978-3-458-17450-9

Leseprobe


.

.

.

Folgen

Erhalte jeden neuen Beitrag in deinen Posteingang.

Schließe dich 102 Followern an