Glarean Magazin

Maria Lettberg: Das Solo-Klavierwerk von Skrjabin

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Der ganze Kosmos des Alexander Skrjabin

Walter Eigenmann

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Skrjabin_Klavierwerk_Lettberg_Capriccio_CoverWer war Alexander Skrjabin – was war er? Komponist? Symbolist? Mystiker? Revolutionär? Priester? Synästhetiker? Romantiker? Orgiastiker? Theosoph? Spinner? Über Skrjabin zu schreiben heißt über einen ganzen Kosmos zu schreiben: Die Entwicklung dieses genialen Ton-Exzentrikers vom hypersensiblen Chopin-Eklektiker (vor 1900) bis zum atonal entrückten Farb-Ekstatiker (ca. 10 Jahre später) ist beispiellos in der Musikgeschichte. Und der irdische Spiegel, eigentlich die zentrifugale Kraft dieses Kosmos’ des A. Skrjabin ist sein Klavierwerk.
Die gleichzeitigen Verehrer (oder Adepten?)  sowohl dieses Komponisten als auch der schwedischen Skrjabin-Expertin Maria Lettberg mussten – nach deren insgesamt dreijähriger Gesamteinspielung von Skrjabins Solo-Klavierwerk, abgeschlossen im Juni 2007 – lange warten, bis die zwischenzeitlich vergriffene Gesamtaufnahme nun kürzlich von dem Wiener Klassik-Label «Capriccio» neu aufgelegt und in einer schlicht editierten 8-teiligen CD-Box präsentiert wurde. Der instruktiv abrundende Bonus dieser (mit dem Deutschlandradio co-produzierten) Ausgabe: Eine DVD mit Interviews der (blitzgescheiten und sehr belesenen) Pianistin sowie dem Multimedia-Projekt «Mysterium» der Computer-Farb-Designerin Andrea Schmidt.

Noten- & Hörbeispiel

Skrjabin_Klavier-Sonate Nr.9 op 68

Große emotionale Spannweite auf kleinstem Raum: Beginn von Skrjabins 9. Klaviersonate op.68 («Die Schwarze Messe»)

Alexander Skrjabin

Alexander Skrjabin (1871-1915)

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Bald nach Erscheinen dieser Gesamtaufnahme im Herbst vor zwei Jahren stieß diese Lettberg-Einspielung auf größtes Interesse in der Fachwelt: Einmal der Tatsache wegen, dass hier neben allen großen Piano-Werken Skrjabins auch alle seine kaum gespielten Petitessen (frühe «Morceaux», «Nocturnes», u.a.) präsentiert wurden, und zum anderen, weil eine sowohl technisch exzellente, emotional ausgereifte und dabei auch theoretisch hervorragend dokumentierte Musikerin am Werk war.

Skrjabin_Mystischer Akkord

Skrjabins «Mystischer Akkord»

Die in Riga geborene, in Petersburg ausgebildete, über Skrjabin promovierte und längst mit einer fulminanten internationalen Karriere beeindruckenden Pianistin gilt inzwischen als eigentliche Skrjabin-Anwältin, welche diesem Komponisten in ihren Schallplatten- und Konzert-Aktivitäten eine zentrale Rolle einräumt. Markenzeichen Lettbergscher Pianistik ist dabei neben diffizilster Anschlagstechnik, enormem Dynamikspektrum und poetischer Ausdruckskraft vor allem eine untrügliche Notennähe, aus der präziseste Phrasierung resultiert. Hört man sich diesbezüglich beispielsweise die letzten vier Sonaten an mit der Partitur vor sich, ist die exakte Realisierung des Notentextes verblüffend. Ob das diesem poetischen Phantasten mit dem teils schier improvisatorischen Duktus im Spätwerk immer gerecht wird, ist auch eine Frage des ästhetischen Standpunktes, und es mag sein, dass vorgängige Aufnahmen eines Horowitz, Hamelin oder Sokolow die eine oder andere Stelle packender, expressiver, ja explosiver, kurz: spannender nahmen.

Skrjabin_Farbenklavier

Musikalische Synästhesie: Die Skrjabin-Klaviatur mit Ton-Farbe-Zuordnung

Gleichwohl legt Maria Lettberg hier eine übers Ganze gesehen schlicht referentielle Arbeit vor, die uns diesen pianistisch wie musikhistorisch wohl nie ganz auszuschöpfenden, äußersten widersprüchlichen, eine extreme stilistische Spannweite aufweisenden Russen sehr authentisch nahelegt. Denn bei aller intellektuell-analytischen Durchdringung der teils an neuzeitlichste Modernität des Klaviersatzes erinnernden Linien- und harmonischen Strukturen ist Lettberg eine doch auch wirkliche «Nachdichterin», deren pianistische Imagination teils betörend wirken kann (Hörproben). Kurzum: Die gültige «Bewältigung» eines Klavierwerkes, das endlich – trotz seiner teils erheblichen klaviertechnischen Hürden und v.a. seiner ständigen Forderung der «Hingabe» an die emotionale Zerrissenheit des Komponisten – unbedingt häufigerer Gast in den Klavier-Recital-Säälen der großen Musikhäuser sein müsste. Eine derartige Promotion wie Maria Lettbergs jahrelanges pianistisches Bekenntnis zu Skrjabin ist dabei ein überzeugendes Mittel. ■

Maria Lettberg, Alexander Scriabin – Das Solo-Klavierwerk, Complete Recording, 8-CD-Box (inkl. 1 DVD), Capriccio Digital / DeltaMusic, ASIN B000W4E3OS

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