Alice Sara Ott: Chopin – «Complete Waltzes»
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Pianistik voller wunderbarer Leichtigkeit
Jan Bechtel
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Im Jahre 1810 wird in Polen ein Mann geboren, der bis heute als einer der bedeutendsten und wegweisendsten Pianisten und Komponisten des 19. Jahrhunderts angesehen wird: Frédéric François Chopin (eigentlich: Fryderyk Franciszek Waltyr Chopin; polnisch auch Fryderyk Franciszek Waltyr Szopen).
Sein Geburtsdatum ist nicht genau belegt, und so weiß man heute nicht mehr, ob Chopin, wie in seiner Taufurkunde vermerkt ist, am 22. Februar 1810 oder erst am 1. März 1810 (wie er es selber angab) geboren wurde. Sein Geburtsort ist Zelazowa-Wola (Herzogtum Warschau); mit sechs Jahren erhält der Junge den ersten Klavierunterricht, da man seine außerordentliche Begabung erkannt hatte. Sein Lehrer wird der böhmische Violinist und Komponist Wojciech Adalbert Zwyny, der den jungen Chopin von 1816 bis 1822 unterrichtet. Ab 1822 (bis 1829) nimmt er am Konservatorium bei Joseph Elsner zusätzlich Unterricht in Musiktheorie.
Schon früh wird er ein Liebling der Salons und reißt die polnischen Aristokraten immer wieder zu Begeisterungstürmen hin. 1831 übersiedelt er dann endgültig von Polen nach Paris (von 1829 und 1831 war er ständig zwischen Warschau, Wien und Paris hin und her gependelt). Auch in Paris wird er schnell zum Liebling des dortigen Publikums in den Salons der Stadt. Der Konzertsaal ist nie wirklich Chopins Terrain gewesen, und er steht jedes Mal vor einem Auftritt «Höllenqualen» aus, weil ihn die «anonyme Menge» des Publikums zutiefst irritiert und ihm «die Luft zum Atmen nahm». In den feinen Salons, in denen nur wenige Betuchte und Aristokraten verkehren, fühlt sich Chopin viel freier und kann seine ganze Virtuosität frei entfalten.
Sein Privatleben ist eigentlich eher ruhig, von Krankheit gezeichnet. Einzig das Verhältnis zu George Sand, einer berühmten französischen Schriftstellerin, bringt ein bisschen «Aufregung» in Chopins Leben. Es ist insgesamt die längste Beziehung, die Chopin zu Lebzeiten eingegangen ist. Warum es zum Bruch zwischen Chopin und Sand kam, ist bis heute nicht ganz geklärt.
Im Verlauf des Jahres 1847 verschlechtert sich Chopins Gesundheitszustand rapide, und 1848 gibt er sein letztes öffentliches Konzert im Hause Pleyel. Am 17. Okotber 1849 stirbt Frédéric Chopin mit nur 39 Jahren in seiner Wohnung am Place Vendôme in Paris. Todesursache ist vermutlich die ihn schon länger quälende Mukoviszidose. Er wird auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beigesetzt. Sein Herz wird auf eigenen Wunsch nach Warschau gesandt und dort in der Heiligkreuz-Kirche beigesetzt. Heute wird Frédéric Chopin als der polnische Nationalkomponist angesehen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war Chopin, ähnlich wie Franz Liszt, Vorbild für einige der bedeutendsten Pianisten-Komponisten, unter ihnen etwas Sergej Rachmaninow und Alexander Skrjabin, die Chopin zu einigen ihrer Kompositionen anregte.
Chopin schuf seine Walzer für Klavier in den Jahren zwischen 1827 und 1846/47. Seine «Valses» haben in engerer Bedeutung nichts mit dem Wiener Walzer eines Johann Strauß (Sohn) und anderer Walzer-Komponisten zu tun. Sie sind im besten Sinne Salonmusik (einzig die Walzer op. 70 haben ein wenig von dem typischen «Tanzwalzer»-Charme, wenn auch nur sehr rudimentär). Chopins erster Walzer ist der Walzer As-Dur KK Iva Nr. 13 von 1827 (KK = Krystyna Kobylanska. Thematisches-biographisches Werkverzeichnis). In der Folge schreibt Chopin noch weitere Walzer, unter ihnen die berühmt gewordenen Walzer Es-Dur op.18 (Grande Valse brillante, 1831), Des-Dur op.64 Nr. 1 («Minutenwalzer», 1846/47) und op. post. 69 Nr.1 («Abschiedswalzer», 1835). Die Walzer op.64, die nur einige Jahre vor seinen Tod (1846/47) entstanden, sind der letzte Beitrag Chopins zur Gattung des Walzers für Klavier.
Anlässlich des aktuellen 200-Jahr-Jubiläums Chopins hat die DGG ein Album mit sämtlichen Walzern des Komponisten mit der jungen deutsch-japanischen Pianistin Alice Sara Ott herausgegeben. Alice Sara Ott wird 1988 in München als Tochter eine deutschen Vaters und einer japanischen Mutter geboren. Schon früh entdeckt sie die Liebe zum Klavier und wird bald, zunächst gegen den Willen der Mutter, zur Konzertpianistin ausgebildet. Seitdem hat sie einige Auszeichnungen und Stipendien erhalten. Sie hat einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft (DG). Die Aufnahme der Walzer Chopins ist ihre zweite für das «Gelblabel», nachdem sie zuvor die «Etudes pour l‘ execution transcendante» von Franz Liszt eingespielt hatte.
Alice Sara Ott ging es, nach eigenem Bekunden, bei der Aufnahme der Walzer nicht darum, eine besonders introvertierte und intellektuelle Einspielung der Werke vorzulegen, sondern den «Duft» der Werke nachzuspüren. Sie sieht in jedem Walzer ein für sich abgeschlossenes Werk und arbeitet dessen «Eigenheiten» akribisch heraus. Dabei gelingt es Ott allerdings, eine wunderbare Leichtigkeit zu erzeugen und die «Stimmung» der einzelnen Stücke sehr schon einzufangen. Es geht ihr, wie man aus jedem Ton hört, nicht um eine eitle Selbstdarstellung. Alice Sara Ott steckt mit ihrer Spielfreude sogar regelrecht an und man könnte die knapp 60 Minuten lange CD immer und immer wieder hören. Sicher kann man jetzt einwenden, dass es schon eine Reihe namhafter Einspielungen dieser Walzer mit etablierten Pianisten gibt, und es mag die Frage laut werden, ob bei einer solch hochkarätigen Auswahl eine Neueinspielung der Werke nötig war. Dazu kann ich persönlich nur sagen: Es ist sicher richtig, dass es viele hervorragende Aufnahmen der Walzer gibt, u. a. von Vladimir Ashkenasy, dessen Gesamteinspielung der Chopin-Werke für Klavier solo ja eine absolute Referenz darstellt. Dennoch bietet Alice Sara Otts Interpretation eine gelungene Alternative zu den etablierten Aufnahmen. Wer Chopin einmal betont jugendlich-frisch und aus einem anderen «Blickwinkel» erleben möchte, der ist bei dieser japanisch-deutschen Künstlerin genau richtig.
Die Tempi sind manchmal vielleicht etwas sehr forsch, aber niemals zu schnell. Otts Spiel ist wunderbar transparent und macht einfach Lust auf mehr. Wenn man ihr zuhört, dann werden die Schwierigkeiten, die diese Musik u. a. interpretatorisch mit sich bringt, in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Ihr leichter, perlender Anschlag passt wunderbar zu diesen Walzern. Für mich, der ich selbst auch – wenngleich sozusagen nur für den Hausgebrauch – Pianist bin, ist diese Neueinspielung der Walzer eine absolute Bereicherung und Entdeckung. Ich kann nur jedem Liebhaber von klassischer Musik bzw. Klaviermusik raten, sich diese Aufnahme zuzulegen und sich selbst ein «Bild» zu machen. Sie ist in jedem Fall eine willkommene Ergänzung der etablierten Einspielungen und muss sich hinter diesen keinesfalls verstecken! ■
Alice Sara Ott: Chopin, Complete Waltzes, Deutsche Grammophon Gesellschaft
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