Sol Gabetta (Cello): Elgar, Dvorák, Respighi, Vasks
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Wie aus zwei Güssen
Michael Magercord
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Was war zuerst, Film oder Filmmusik? Die Kolumbusfrage der modernen Musikkultur scheint leicht zu beantworten sein: Die Musik. Und wie eine Bestätigung erscheint die neue CD der Cellistin Sol Gabetta mit Einspielungen des Cellokonzertes von Edward Elgar und weiteren kürzeren Stücken des englischen Komponisten sowie Antonín Dvoráks und Ottorino Respighis.
Es sind durchweg Werke, die sich als neoromantisch bezeichnen lassen, also der hartnäckigen Spätform der himmelhochjauchzenden und zu Tode betrübten Ausdrucksform des 19. Jahrhunderts frönen, und trotzdem bereits zur Musik des 20. Jahrhunderts gerechnet werden.
Einer der großen Exponenten dieser Richtung war Edward Elgar, der auch – und vielleicht nicht ganz zurecht – als der Vater der leichten britischen Musik gesehen wird. Doch gerade sein Cellokonzert, das er direkt im Anschluss an den Ersten Weltkrieg noch unter dem Eindruck des schrecklichen Gemetzels komponierte, ragt aus seinem populärem Werk heraus, und es zeigt, dass Musik des 20. Jahrhundert möglich war, selbst wenn man sich nicht auf die Experimente des 20. Jahrhunderts einliess, die Komponisten wie Strawinsky oder Schönberg seinerzeit vorantrieben.
Die Antriebskräfte dieses Werkes scheinen in der Sehnsucht nach einer besseren Welt und in der Düsternis der bestehenden zu liegen, und der weiche, ja fast seufzende Ton der argentinischen Cellistin Sol Gabetta nimmt diese Stimmung vollends auf. Kein überflüssig virtuoses Spiel überfällt den Hörer, ungetrübt darf der sich der Trübsal ergeben… Man kann dieses Werk durchaus berechtigter Weise auch gebrochener interpretieren, so aber ist es geblieben, was es war: Eine Elegie, ein Klagelied – und es ist zu Musik geworden, die ihre Stimmung schafft und über (oder unter?) den Augenschein des Lebens legt. Filmmusik eben, die auch ohne Film ihre Wirkung entfaltet.
Die auf der CD drei folgenden, vierminütigen Stücke Elgars, von denen zwei dann tatsächlich in Filmen verwendet wurden, sind zwar aus fröhlicheren Tagen des Komponisten, nichts desto trotz ebenso romantisch, wenn auch ein wenig mehr himmelhoch jauchzend denn zu Tode betrübt. Der Auswahl des Briten sind noch zwei ähnliche Stücke der böhmischen Frohnatur Antonín Dvorák sowie ein Adagio des Italieners Ottorino Respighi aus dem Jahr 1924 beigefügt, der sich ebenfalls hartnäckig jeder Neuerung in der Musik widersetzte. Insgesamt unterliegt diese CD einer durchdachten Dramaturgie, die durch nichts gestört wird.
Aber halt, da ist doch noch die zweite CD! Ein – modern gesprochen – Bonustrack mit einem viertelstündigen Cello-Solo des lettischen Komponisten Peteris Vasks, das die Cellistin auch oft als Zugabe auf ihren Konzerten spielt. Es ist ein recht charakteristisches Stück der baltischen Neuen Musik, schroff und doch gleichsam mit dieser typischen nordischen Weite, das von der Cellistin ganz andere Qualiäten abfordert als die Werke der Neoromatik. Kaum vorstellbar, wie es sich in die vorherige CD eingepaßt hätte. Die Plattenfirma hat gut daran getan, nicht zusammengefügt zu haben, was nicht zusammengehört. So nämlich haben wir nicht nur eine CD aus einem Guß, sondern zwei: Eine für die Liebhaber der elegischen Cellomusik, und dazu eine ganz andere, hochmodern und spannend – und Achtung: dies könnte die Filmmusik von morgen sein! ■
Sol Gabetta (Cello), Elgar – Cello Concerto, u.a., Danish National Symphonic Orchestra (Mario Venzano), Sony Music 88697630812
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Inhalt
CD 1
Edward Elgar
Concerto for Cello and Orchestra – Sospiri – Salut d’amour – La capricieuse
Antonín Dvorák
Waldesruh’ – Rondo für Cello und Orchester
Ottorino Respighi
Adagio con Variazioni
CD 2
Peteris Vasks
Gramata cellam – Cellobuch
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Michael Magercord
Geb. 1962, früher als Journalist bei der Berliner Tageszeitung taz und als «Stern»-Korrespondent in Peking tätig, verschiedene Buchpublikationen, lebt als Feature-Autor und Reporter des Hörfunks in Prag/Tschechien.
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Heute vor … Jahren
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Antonín Dvořák: «Aus der Neuen Welt»
Am 16. Dezember 1893 hört die Welt erstmals eine der berühmtesten Sinfonien der Musik-Geschichte: Unter der Leitung des deutschen Dirigenten Anton Seidl wird in der New Yorker Carnegie Hall vom Orchester der Philharmonischen Gesellschaft die 9. Sinfonie in e-moll von Antonín Dvořák uraufgeführt.
Was an der während Dvoraks dreijährigem Amerika-Aufenthalt entstandenen Neunten wirklich «amerikanisch» ist, hat der Komponist selber noch vor der Uraufführung klargestellt: «Es ist der Geist von Neger- und Indianer-Melodien, den ich in meiner neuen Symphonie zu reproduzieren bestrebt war. Ich habe keine einzige jener Melodien benützt. Ich habe einfach charakteristische Themen geschrieben, indem ich ihnen Eigenarten der indianischen Musik eingeprägt habe, und indem ich diese Themen als Gegenstand verwendete, entwickelte ich sie mit Hilfe aller Errungenschaften des modernen Rhythmus, der Harmonisierung, des Kontrapunktes und der orchestralen Farben.» (Dvorak im «New York Herald» vom 12. Dezember 1893). (we/07)
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Neue Zugänge zur Dvorak-Symphonik
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Sechste und Neunte auf Entschlackungskur
Dr. Markus Gärtner
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Neun Symphonien hat Antonín Dvořák (1841–1904) geschrieben – bekannt geworden sind die letzten drei. Das abschließende Exemplar dieser Reihe, welches den kurz vor der Uraufführung vom Komponisten hinzugefügten Titel «Aus der neuen Welt» trägt, gehört sogar zu den meistgespielten und -aufgenommenen Symphonien überhaupt.
Eben jenes musikalische Zugpferd kombiniert das Swedish Chamber Orchestra unter Thomas Dausgaard auf einer neuen Einspielung aus dem Hause BIS mit der weit weniger bekannten 6. Symphonie: eine Gegenüberstellung, die auch musikalisch Sinn macht, leiten sich die unterschiedlichen Symphoniekonzeptionen doch aus konträren Traditionslinien ab: der Beethovenschen und der Schubertschen.
Die Sechste Symphonie machte bereits frühzeitig Furore. Der prominente Dirigent Hans Richter, dem Dvořák sein Werk dann auch widmete, war überwältigt. «Die Symphonie hat Richter dermaßen gefallen, so dass er mich nach jedem Satz abbusserlte», berichtet der Komponist von einem Besuch beim Widmungsträger. Uraufgeführt 1881 in Prag, bildet die Sechste den Abschluss von Dvořáks sogenannter «slawischer Schaffensperiode» (Kurt Honolka) und streicht das nationale Element noch einmal kräftig heraus: Den dritten Satz betitelt der Komponist als «Furiant», also einen schnellen tschechischen Volkstanz. Doch noch etwas fällt auf – und das besonders im Kopfsatz: Dvořák rückt hier näher an die, wohl durch Brahms vermittelte Beethovensche Machart, einen Sonatensatz zu gestalten, heran. Anders als in den vorhergehenden Symphonien wird hier eine regelgerechte Durchführung auskomponiert, nicht wie sonst und auch später wieder, Durchführungselemente nach Schubertscher Weise abschnittsweise über den ganzen Satz verteilt.
Um die Verästelungen der musikalischen Faktur angemessen zu deuten, erscheint der Zugang des Swedish Chamber Orchestra sehr passend: Mit nur 38 Musikern hat das Ensemble sich auf die Fahnen geschrieben, romantische symphonische Literatur zu entschlacken und dieser einen frischen Anstrich zu geben. Das Konzept hat mehrere preisgekrönte Produktionen gezeitigt, und auch bei Dvořáks Sechster geht es auf. Der Frontsatz mit seinem an das Volkslied «Es klappert die Mühle am rauschenden Bach» erinnernden 1. Thema überzeugt durch feinsinnige Dynamikabstufungen, die die musikalischen Entwicklungen farbenreich konturieren. Der «Furiant» erhält die nötige Durchschlagskraft, ohne dadurch das Finale in den Schatten zu stellen. Doch funktioniert die Idee der «Entschlackung» auch bei der Neunten?
Ja und nein. Denn über die 7. und 8, dann ganz deutlich vernehmbar bei der 9. Symphonie hat sich Dvořáks Klangbild weg von slawischen Tonfällen ins Universelle gewandelt. Der Komponist orientiert sich wieder mehr an Schubertschen Formmustern, verzichtet auf tiefgreifende thematische Arbeit. Amerikanische Einflüsse sowie die Auseinandersetzung mit Richard Strauss blieben ebenfalls nicht ohne Folgen. Gewöhnlich wird Dvořáks Neunte daher mit großem spätromantischen Orchester wiedergegeben. Nun sind Gewohnheiten dazu da, aufgebrochen zu werden, um das Neue hereinzubitten. Nur: Gegen Erwartung und Ankündigung klingt das Swedish Chamber Orchestra auffallend vertraut, jedenfalls kaum reduziert. Der Unterschied zu so vielen anderen Aufnahmen (sehen wir einmal von derjenigen der Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan von 1985 ab) ist nicht sofort greifbar. Auch hier wird im Großen und Ganzen auf Kraftentfaltung hin musiziert, die auch gelingt. Doch war nicht das Gegenteil oder zumindest eine Alternative angestrebt? Die Chance, eine ganz andere, eine wahrhaftig neue Lesart entstehen zu lassen, hat das Ensemble leider nicht ergriffen. Vielmehr sind es besondere Einzelheiten, die sich von der Heerscharen bildenden Konkurrenz abheben. Wenn es um die rhythmischen Verschachtelungen des dritten Satzes geht, die bei vielen größer besetzten Aufnahmen zur Nivellierung tendieren, kann Thomas Dausgaards Interpretation punkten. Im zweiten Satz sowie an mehreren anderen Stellen der Partitur fallen zudem einige fremde Töne ins Gehör; gerne würde man wissen, auf welcher Notengrundlage gearbeitet wurde, ob es sich bei den ungewohnten Noten und – nun – arpeggierten Akkorden (Schlusssatz) um Berichtigungen der neusten Editionsforschung handelt. Leider gibt das Booklet darüber keine Auskunft.
Zusammenfassend handelt es sich bei vorliegender CD um eine empfehlenswerte Produktion, die besonders bei der 6. Symphonie gefällt, bei der 9. Symphonie eine «neue Welt» aber nicht ganz zu verwirklichen vermag. ■
Svedish Chamber Orchestra, Thomas Dausgaard: Antonín Dvořák, Symphonien Nos. 6&9, BIS-SACD-1566
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