Glarean Magazin

Bernhard Steiner: «Nachtsicht»

Posted in Bernhard Steiner, Buch-Rezension, Literatur, Rezensionen by Walter Eigenmann on 14. Juni 2009

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«Schwarzmaler sehen klarer»

Walter Eigenmann

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Steiner_Nachtsicht_Cover«Nachtsicht» nennt Autor Bernhard Steiner seine Sammlung von «provokativen Behauptungen» und «persönlichen Rechtfertigungen». In 20 kleinen, thematisch ordnenden «Kapiteln» präsentiert dabei der 36-jährige Frutiger seine in hunderte von Einzelsätzen geschmiedete Sicht auf «Gott und die Welt».
Manchem in dem 124-seitigen Bändchen hätte man ein etwas (selbst-)kritischeres Lektorat gewünscht, so dass langweilige Trivialitäten – «Wir werden alle irgendwann mit der Wahrheit konfrontiert»; «Das Leben kann sehr schnell ganz tragisch werden»; «Wir greifen nach den grossen Aufgaben und Herausforderung, und stolpern dabei über die kleinen alltäglichen Probleme» -, aber auch unreflektierte Schiefheiten – «Moderne Verbrecher sind nicht mehr Sünder, sondern Patienten»; «Das Recht ruft: ‘Tod dem Menschen!’»; «Sozialisten sind Menschen, die allen ein Zuhause bieten möchten, ausser ihren Kindern» – hätten vermieden werden können. Zudem krankt «Nachtsicht» an einer unverhohlenen Gottgefälligkeit, die sich äußert in solch peinlichen Devotionalitäten wie: «Gott lebt in allem, was aufrichtig ist»; oder: «Dunkelheit erkennt man am fehlenden Licht».
Andererseits wieder sprüht Steiners Sammlung zuweilen vor aphoristischer Eloquenz, vor wortwitziger Frappanz, und auch wenn stilistisch und formal das ganze Büchlein allzu eindeutig an die großen Aphoristik-Vorbilder von Georg Lichtenberg bis Stanislaw Lec oder Gabriel Laub anknüpft, blitzt immer wieder sprachliche wie inhaltliche Originalität auf.
Alles in allem ist «Nachtsicht» eine etwas «durchzogene» Reihung von «Weisheiten», welche die vom Autor angestrebte «Provokation» oft allein aufgrund ihrer Banalität, manchmal aber auch aufgrund echten Quer- und Tiefdenkens in Kombination mit geschliffenem Sprachwitz erreicht. «Nachtsicht» umspannt thematisch «ein weites Feld» (Grass) des modernen Lebens, ist insgesamt durchaus des nach-denklichen Lesens wert. Und wenn vielleicht der Autor mal eine «abgespeckte» Version seiner Sammlung herausgäbe, dabei ein weiteres Sprichwort, nämlich «Weniger ist oft mehr» befolgend, so dürfte «Nachtsicht» rundweg empfehlenswert werden. ■

Bernhard Steiner, Nachtsicht, Ansichten und Behauptungen, Books on Demand, 124 Seiten, ISBN 978-3837038088

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