Boris Johnson: «72 Jungfrauen» (Roman)
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Höllenfahrt im Krankenwagen
Günter Nawe
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So ganz neu ist das Buch, vor acht Jahren bereits in England erschienen, nicht. Jetzt endlich gibt es erfreulicherweise diese herrliche Slapstick-Komödie erstmals auf Deutsch. Und immer noch ist dieser Roman keineswegs «abgestanden», sondern ein außerordentliches Vergnügen.
Vergnügen? Geht es doch um einen terroristischen Angriff. Und so etwas ist doch wahrlich nicht zum Lachen. Doch! Denn geschrieben hat diesen Roman der etwas exzentrische Boris Johnson, mittlerweile Bürgermeister von London. Und der weiß, was er tut. Versteht er doch viel von Politik, von schnellen Autos, von klassischer Philologie. Manchmal und nicht ungern gebärdet er sich wie ein aristokratischer Snob. Und ist dabei und so ganz nebenher ein intelligenter, ein sprachmächtiger Autor mit einem Hang zu Komödie und Komik. Und aus dieser Gemengelage heraus ist diese wunderbare Polit-Thriller-Satire entstanden.
Was ist geschehen? Ein Terroristen-Quartett von der «Brüderschaft der Zwei Moscheen» klaut einen Krankenwagen, mit dem es sich unter Leitung von Jones der Bombe quer durch London auf den Weg nach Westminister macht. Ziel ist ein terroristischer Anschlag auf das englische Parlament und sogenannten Ehrengästen, vor denen der amerikanische Präsident eine Rede halten wird. Natürlich ist dieser Präsident kein anderer als George W. Bush. Denn wir schreiben das Jahr 2001 – einen Zeitpunkt, kurz nach dem Attentat 9/11, den die Möchtegern-Terroristen bewusst gewählt haben. Verspricht er ihnen doch ein anständiges Medienecho. Und bei Gelingen der Aktion den Einritt ins islamische Paradies, empfangen von zweiundsiebzig Jungfrauen – ein etwas fragwürdiger Lohn. Dass daraus so oder so nichts wird, ahnen nicht nur die Terroristen, sondern auch die Leser.
Profis sind die Vier: Jones, Dean, Haroun und Habib absolut nicht. Und auch die freiwilligen und unfreiwilligen Helfershelfer sind eher Laiendarsteller in Sachen Terrorismus. Mit dem Abgeordneten – very british – Roger Barlow hat Boris Johnson zudem einen Typus ins Spiel gebracht, den keiner ernst nimmt und der dennoch eine Art Hauptrolle spielen wird. So kommt es zu geradezu grotesken Szenen. Die Fahrt mit dem gestohlenen Krankenwagen gerät zu einer Art Höllenfahrt. Einig ist sich dieses Quartett auch nicht immer. Dennoch gelingt es auf oft sehr kuriose Weise, die großangelegten Sicherheitsmaßnahmen zu durchbrechen. Nicht zuletzt deshalb, weil konkurrierende Geheimdienste, unfähige Polizisten, arrogante und karrieresüchtige Parlamentarier dem Geschehen eher tatenlos zuschauen oder sich in die Hosen machen.
Schließlich haben die Vier den Präsidenten in ihrer Gewalt. Sie versuchen, eine weltweite Abstimmung über die Medien zu erreichen, durch die die Häftlinge von Guantanamo freigepresst werden sollen.

Boris Johnson hat einen herrlichen Politik-Thriller geschrieben, ein Buch voller Witz und Komik, voller genialer Einfälle und mit überbordendem Humor. Eine Satire mit einem durchaus ernsten Hintergrund – ein herrliches Lesevergnügen.
Das alles ist so aberwitzig, dass man aus dem Lachen und Staunen nicht herauskommt. Ohne dabei jedoch den ernsten Hintergrund zu übersehen. Komödie und Tragödie liegen nahe beieinander. Am Ende ist es ein wunderbares dramma giocoso. Und eine brillante Vorlage für einen Film.
Johnson ist ein hinreißend witziges und kluges Buch gelungen – mit unzähligen Anspielungen auf seinerzeit aktuelle Ereignisse. Gekonnt und dank eigener parlamentarischer und politischer Erfahrungen kenntnisreich decouvriert er einerseits den demokratischen Machtapparat, die allmächtigen Medien, die vermeintlich allwissenden und alleskönnenden Geheimdienste. Der US-Scharfschütze Prickel, dem im Irak-Krieg in die Hoden gebissen wurde, ist der ideale Vertreter diese Spezies. Johnson macht sich über sie lustig, ironisiert ihre Aktivitäten und Ansichten, macht sich ebenso lustig über das gängige Politikergeschwafel und political correctness und zeigt die Schwachstellen der Systeme auf.
Andererseits stellt Boris Johnson den islamistischen Terror an den Pranger, attestiert ihm Blindheit und immer auch ein wenig Dummheit, stellt Fragen nach der religiösen Motivation. Bei allem Witz, bei aller Situationskomik wahrt der Autor jedoch den Respekt vor dem Islam.
Boris Johnson erzählt in einem atemlosen, rasanten Tempo. Genau drei Stunden und dreiunddreißig Minuten dauert das Romangeschehen, minutiös belegt von 7:52 Uhr bis 11:25 Uhr. Die Slapstick-Einlagen sind ebenso witzig wie die Dialoge. Johnsons an der Wirklichkeit orientierter Einfallsreichtum ist phänomenal. Und so macht das Buch einfach nur Spaß und Freude. ■
Boris Johnson: 72 Jungfrauen, Roman, 412 Seiten. Verlag Haffmans & Tolkemitt, ISBN 978-3-942989-13-8
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