Glarean Magazin

Anke Gebert: «Die Summe der Stunden»

Posted in Anke Gebert, Buch-Rezension, Charlotte Ueckert, Literatur, Rezensionen by Walter Eigenmann on 16. Dezember 2009

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Zuviel Stoff im Schnelldurchlauf

Charlotte Ueckert

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Anke Gebert kann Geschichten schreiben. Spannende Geschichten, Krimis, deren Handlungen gut konstruiert sind. Man sieht diese vor sich, bildreich und detailliert. Das gilt auch für «Die Summe der Stunden», ein Roman-Titel, den Gebert zum Abschluss durch ein Zitat von Wilhelm Busch erklärt: «Die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir liebten.»
Auch in diesem Buch kann sich der Leser die Handlung filmisch vorstellen, sie erinnert auch an bereits Verfilmtes. Gesehenes. Die Medienvermarktung scheint beim Schreiben einbezogen.
Die Autorin hat noch zu DDR-Zeiten am damaligen Johannes-R.-Becher-Institut in Leipzig studiert. Später in Hamburg Drehbuchschreiben bei Hark Bohm. Sie versteht etwas von Plots, davon, wie das Leben spielt, spielen kann.
Der literaturinteressierte Leser aber fragt sich nach der Lektüre, ob er nicht besser hätte warten sollen, bis er die Story im Fernsehen gesehen hat. Wozu Bücher, wenn die bildliche Gestaltung gleich mitgeliefert wird? Schreiben ist doch sehr viel mehr als sehen und Handlungen verfolgen…

Literatur - Anke Gebert - Glarean Magazin

Anke Gebert

Anke Gebert führt uns ins Hotel «Adlon» in Berlin und damit in die Welt von «Gala» und «Bunte», nur sind es die 20ger Jahre, die dieses Flair bieten. Die heutige, ebenfalls geschilderte Wirklichkeit ist etwas nüchterner: Touristen in der Lobby und «Papierhandtücher in der Toilette» statt gebügeltes Leinen.
Ursula, die Protagonistin des Romans, deren an deutscher Geschichte leidende Liebesgeschichte erzählt wird, ist die Tochter einer Operndiva, die in Hotels aufwächst und sich im Hotel «Adlon» in den Pagen Karl verliebt. Die Erzählung folgt gerade im ersten Teil verschiedenen Mustern, von Irmgard Keuns «Kind aller Länder» bis zu Kästners «Pünktchen und Anton». Und natürlich Vicky Baums «Menschen im Hotel».
Später, Ende des zweiten Weltkrieges begegnen sich die beiden wieder und zwar im Luftschutzkeller des Hotels, kurz vor Karls Einberufung.
Anfang der 60er Jahre treffen beide sich erneut, Karl inzwischen Hotelbesitzer im Westen Berlins, Ursula Verkäuferin in einem Konsum im Ostteil. Eine leidenschaftliche Liebesbeziehung folgt, aber – der Leser ahnt es schon – die Errichtung der Mauer trennt die beiden Liebenden wieder, diesmal 28 Jahre. Dann folgt ein Klischee nach dem anderen. Eine Frau, die ihr Leben der alkoholsüchtigen Mutter widmet, bis diese stirbt. Die verspätete Entdeckung einer Schublade mit verzweifelten Briefen des Liebhabers, von der Mutter vor der Tochter versteckt. Einen Tag nach dem Mauerfall steht dann der Liebhaber, praktischerweise schon verwitwet, vor Ursulas Tür. Wie gut, dass sie nicht umgezogen ist!

Auf 188 Seiten will Gebert einfach zuviel: Pubertätsgeschichte, Altersliebe und deutsche Geschichte im Schnelldurchlauf.
Stoff von Fernsehfilmen. Das Buch zum Hotel. Vielleicht liegt es in den Zimmern des «Adlon» oder an der Rezeption, zur richtigen Zeit für den richtigen Ort geschrieben?
In Geberts Sprache verbleibt trotz emotionaler Handlung eine Nüchternheit, mit der auch der Leser das Buch aus der Hand legt. ■

Anke Gebert, Die Summe der Stunden, Roman, Fischer Taschenbuch Verlag, 188 Seiten, ISBN 978-3596166404

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Lyrik von Charlotte Ueckert

Posted in Charlotte Ueckert, Literatur, Lyrik, Neue Lyrik by Walter Eigenmann on 24. November 2009

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Beim Hindernislauf

Ist die Liebe ganz vorn
In die Weite geworfen
Die Beine und immer kurz
Vor einem Sturz
Sie will siegen
Und zieht mich

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Ein Spruch

Nach all dem Hunger
Auf unverschämtes Glück
Gewöhnt
An die Wiederholungen
Der Jahreszeiten

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Die Ratten sind weg

es gab eine Zeit
da nagten sie unter den Bohlen
im Haus
da liefen sie
über Terrasse und Gras
und tanzten in der Garage

Die Ratten sind weg
seit einiger Zeit singen
wieder die Vögel
und der Apfelbaum
blüht auch noch einmal
und für alle sieben mageren
Jahre siebenmal üppig

Die Ratten sind weg
ich werde auf den Kompost
Kartoffelschalen werfen
und die Tür kann ich öffnen
Scherenschleifern und Zeugen Jehovas
und die Bäume wiegen
das Gewicht heruntergefallener Träume

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Wie Sprache funktioniert

Abends kommen die Bienenfresser
Mit spitzen Schreien
Segeln sie scharf unter Wolkengeball
Bis in die Gassen fast
In die Fenster und mir um die Ohren
So klein flattrig
In liebenswürdigem Schnitt
Spielende Kinder die ein Lächeln wollen
Und mich aus dem Verstummen
In Worte zwingen

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Charlotte Ueckert

Geb. 1944 in Oldenburg/D, Studium der Literaturwissenschaft, Psychologie und Kunstgeschichte, wissenschaftliche Mitarbeit an der Universität Hamburg in den Bereichen Exilliteratur und Nachkriegsliteratur, verschiedene Buchpublikationen, Herausgeberin von Anthologien, Mitglied des PEN, lebt als freie Autorin in Hamburg

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