Glarean Magazin

Volker Klöpsch: «Chinesische Liebesgedichte»

Posted in Buch-Rezension, Chinesische Lyrik, Literatur, Rezensionen, Volker Klöpsch by Walter Eigenmann on 16. Juni 2009

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Ostasiatische Poesie aus drei Jahrtausenden

Walter Eigenmann

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Volker Kloepsch_Chinesische Liebesgedichte_CoverAnders als die japanische Lyrik, die in den letzten Jahren mit ihren populärsten beiden Formen Haiku und Tanka auch im Westen einen regelrechten «Boom» erlebte, genießt das «klassische» chinesische Gedicht keine sonderliche Aufmerksamkeit bei der Lyrik-Leserschaft unserer kulturellen Breitengrade – trotz Übersetzungen der Werke so berühmter Dichter wie Tao Yuanming (Jin-Dynastie), Li Bai, Du Fu, Bai Juyi, Du Mu, Li Shangyin (alle Tang) oder Li Qingzhao (Song). Umso größer das Verdienst des deutschen Sinologen Volker Klöpsch – u.a. auch seines «Lexikons der chinesischen Literatur» (2004) wegen einer der führenden Experten für ostasiatische Literatur -, der nun im Insel/Suhrkamp-Verlag eine repräsentative, über weite teile referentielle Sammlung «Chinesischer Liebesgedichte» herausgab. Der Band erstreckt sich zeitlich vom bekannten anonymen «Buch der Lieder», das noch Konfuzius persönlich zusammengetragen haben soll, über die literarisch besonders fruchtbare Tang-Zeit (7.-10. Jh.) sowie die Dynastien Yuan (13./14. Jh.) und Ming (14.-16. Jh.) bis hin zur chinesischen Literatur-Moderne eines Wen Yiduo oder Gu Cheng.
In der «klassischen» chinesischen Dichtung spielte die Liebe, wie der Herausgeber in seinem instruktiven Nachwort ausführt, nicht die dominierende Rolle, die sie in der westlichen Literatur einnimmt: «Der Dichter war im alten China in der Regel Beamter im Dienste des Staates, und die Dichtung diente vorrangig als Medium des gesellschaftlichen Umgangs. Sie fand im öffentlichen Raum statt und genoss große Beachtung. So war die Abfassung von Gedichten über Jahrhunderte auch Bestandteil der landesweiten Beamtenprüfungen, ohne die kein Aufstieg möglich war. Nach einem Ausspruch des Konfuzius verfügt über keine Sprache, wer die Lieder nicht kennt.»
Im Schatten der übermächtigen Tradition dieser «Beamtendichtung» konnten sich die vielen Formen einer eigenen Volksdichtung zwar durchaus reich entfalten, mussten sich aber auf die mündliche Überlieferung stützen. Denn das breite Volk verfügte zwar natürlich über dichterische Stimmen, doch wie Übersetzer Klöpsch darlegt: «Die Beherrschung der Schrift auf Grund ihrer Schwierigkeiten war ein noch viel größeres Privileg der ‘gebildeten Stände’ als im europäischen Mittelalter. Das Erlernen von vielen tausend chinesischen Schriftzeichen erforderte eine langjährige Ausbildung, der sich nur die wenigsten unterziehen konnten.»

Exkurs: Übersetzen aus dem Chinesischen

Li-Bai_Nachtgedanken_Original

Original des Gedichtes «Nachtgedanken» des bedeutenden Lyrikers Li Bai (701-762)

Zur Problematik des Übersetzens aus einer so komplexen Hochsprache wie dem Chinesischen führt der deutsche Sinologe aus: «Die sprachlichen Strukturen – es gibt im modernen Chinesisch nur etwa 400 unterschiedliche Silben – bedingen eine große Zahl von gleichklingenden Wörtern und entsprechenden gedanklichen Anspielungen und Zweideutigkeiten. Nehmen wir ein kleines Beispiel: Ein schlichtes, mit ‘Betriebsamkeit’ überschriebenes Lied beschreibt auf der Oberfläche nichts als einfache (und unschuldige) Tätigkeiten im ländlichen Haushalt:

Der Junge soll Lotos pflanzen –
sie sieht in den Blüten ein Band.
Das Mädchen züchtet die Raupen –
er sieht in der Seide ein Pfand.

Sie will aus dem Brunnen schöpfen,
doch fehlt ihr das rechte Gerät.
Zu gerne schlüpfte er einmal hinein
in das Hemd, das sie gerade näht.

Vier Schlüsselwörter vermitteln jedoch für den geübten Hörer oder Leser eine tiefere Dimension: Der Lotus (lian) lässt die vom Mädchen ersehnte ‘Verbindung’ anklingen, die Seide (mian) deutet das Begehren des Jungen an, mit dem Mädchen zu ‘schlafen’; das Schöpfgerät (tong) für den Brunnen, welches das Mädchen vermisst, heißt auch ‘miteinander verkehren’, und der Wunsch des Jungen, in das Hemd ‘hineinzuschlüpfen’, ist ebenfalls eindeutig sexueller Natur.» – –

Volker Kloepsch

Volker Klöpsch

Dem interessierten Leser, geschult an thematisch vergleichbarer Lyrik okzidentalen Ursprungs, erschließt die Sammlung eine ganz eigene dichterische Welt der unverfälschten Sensibilität und einer seltsam naiv anmutenden Seins-Sicht, aber auch der rätselhaften Gefühls-Chiffren und der betont natur- bzw. tierverbundenen, gleichzeitig sehr bedeutungsträchtigen Bildmotive. Diese besondere poetische Qualität der ostasiatischen Liebes-Lyrik zu vermitteln ist ein verdienstvoller Aspekt dieser Tour d’horizont durch drei Jahrtausende Poesie aus China, und mit der Herausgabe dieser Gedichte, welche trotz aller faszinierenden Exotik in Inhalt und Form doch auch die menschlichen Konstanten Liebe und Lust literarisch bewältigen und damit wesentliche Berührungspunkte mit der entsprechenden abendländischen Hochpoesie aufweisen, verbindet Herausgeber Klöpsch neben dem dichterischen auch ein interkulturelles Anliegen. Er hofft nämlich, dass es gelänge, «uns die fernen Menschen näher zu bringen und verständlicher zu machen, so dass das Fremde uns nicht mehr verwirrt, sondern bereichert und beglückt, weil es als ein Teil des Eigenen begriffen wird.» Nicht das schlechteste der Motive, fremdländische Literatur herauszugeben… Eine hochwillkommene Edition, der man etwas breitere Leserschaft als den üblichen Lyrik-Nischenmarkt erhofft! ■

Volker Klöpsch (Hrsg.), Chinesische Liebesgedichte, Insel/Suhrkamp Verlag, 144 Seiten, ISBN 978-3458351177

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Inhaltsverzeichnis

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Berg-Gedichte (5)

Posted in Chinesische Lyrik, Li Bai, Literatur, Lyrik by Walter Eigenmann on 8. Februar 2009

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Heiliger chinesischer BergDa flogen Vögel hoch
am Himmel und flogen fort.
Da zog eine Wolke still
und einsam zum fernen Ort.

Da waren wir beide allein
und sahen einander an,
Und wurden nicht müd dabei:
ich und der Ging-Ting-Shan.

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Li Bai (701-762)
(Ü: G.Debon)

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Wintergedicht aus China

Posted in Chinesische Lyrik, Du Fu, Lyrik by Walter Eigenmann on 29. Januar 2009

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Einsamer Trunk

Am Fenster draußen
ein rechter Sturm mit Schnee
Ich sitz und öffne am Herd
den Krug mit Wein
Was will im Schneefall dort nur
das Fischerboot?
Noch schläft der Lotus vom Herbst
im Fluss am Grund

Du Fu (712-770)

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Wintergedicht aus China

Posted in Chinesische Lyrik, Gau Schi, Literatur, Lyrik by Walter Eigenmann on 3. Januar 2009

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Windeswehen zur Nacht

Es schneit so rein vom Steppenhimmel,
Weidpferde traben herbei.
Hell scheint der Mond. Vom Lagerturm klagt
das Lied aus einer Schalmei:
«Es fallen die Pflaumenblüten» – doch ich
frage: wo fallen denn die?
Ein Windeswehen zur Nacht erfüllt
Lager und Bergwüstenei.

Gau Schi (8. Jh.)
(Ü: Wilhelm Gundert
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Wintergedicht aus China

Posted in Chinesische Lyrik, Literatur, Lyrik by Walter Eigenmann on 14. Dezember 2008

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Winterschnee auf dem Nanschan

Der Mittagsberge nördlich Haupt erhebt sich
Im Schnee bis über leichter Wolken Rand.
Des Waldes Wand steht klar in Äthers Reine,
Und kälter fällt die Nacht auf Stadt und Land.

Tsu Yung (7. Jh.)
(Ü: Wilhelm Gundert
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Wintergedicht aus China

Posted in Chinesische Lyrik, Literatur, Liu Tsung-Yüan, Lyrik by Walter Eigenmann on 2. Dezember 2008

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Fluß im Schnee

Nun ist erstarrt der Vögel scheuer Flug
auf allen Fluren.
Verweht von Schnee auf allen Wegen sind
der Menschen Spuren.

Ein alter Mann allein, in seinem Kahn,
mit dichtem Schilfbehang und weitem Hut,
Sitzt einsam noch und angelt
in der verschneiten Flut.

Liu Tsung-Yüan (773-819)
(Ü: Günther Debon)

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