Glarean Magazin

Edvard Grieg: «The Complete Orchestral Music»

Posted in CD-Rezension, Edvard Grieg, Markus Gärtner, Musik, Musik-Rezensionen, Rezensionen by Walter Eigenmann on 2. Juli 2008

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Orchestrale Grieg-Box mit lexikalischem Anspruch

Dr. Markus Gärtner

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Das Grieg-Jahr 2007 ist vorüber – und quasi im Nachschlag hat die Plattenfirma BIS nun eine preisreduzierte 8-CD-Box auf den Markt gebracht, welche die breitenwirksame Seite des oft als Klavier-Miniaturisten verschrieenen Norwegers fokussiert: «The Complete Orchestral Music». Dabei sollte man nicht dem Flüchtigkeitsfehler erliegen, anzunehmen, es handele sich ausschließlich um symphonische Musik. Vielmehr könnte und sollte die Box titeln: «The Complete Music With Orchestra». Der geneigte Hörer findet hier Orchesterlieder, dramatische Bühnenmusik und sogar ein Opernfragment. Dabei steht Bekanntes neben fast schon zu Bekanntem, vage Erinnertes neben völlig Vergessenem. Die materialreiche Zusammenstellung bietet sowohl dem Grieg-Einsteiger alle Erfolgsstücke des Meisters der einschmeichelnden Melodie, als auch dem Sammler und Spezialisten eine Vielzahl von Werken, die als nicht-kanonisierte neue Einblicke in die Künstlerpersönlichkeit Edvard Griegs möglich machen.
Natürlich beinhaltet die Box die Peer Gynt-Suiten, die Holberg-Suite, Sigurd Jorsalfar und das Klavierkonzert. Doch auch diesen allseits bekannten Evergreens der Schallplattenindustrie vermag die Veröffentlichung eine neue Seite hinzuzufügen: So bieten die CDs 4 und 5 die über 170 Minuten lange komplette Bühnenmusik zu Ibsens Peer Gynt, mit Dialogen in norwegischer Sprache (die das umfangreiche Begleitheft in einer englischen Übersetzung verständlich macht). Grieg_Autograph von Zwei Lyrische StückeAuf mittlerer Bekanntheitsebene rangieren die Symphonischen Tänze, die Konzert-Ouvertüre «Im Herbst» und eine frühe c-moll-Symphonie, die das Bergen Symphonie Orchestra unter dem Dirigenten Ole Kristian Ruud sehr überzeugend, letztere besonders im ersten Satz geradezu knackig gestaltet. Kaum nachvollziehbar, warum sich Grieg von einer so gelungenen Komposition distanzierte – Schumannsche Anleihen hin oder her.
Nur absoluten Kennern dürften die darüber hinaus auf dieser Collection enthaltenen Werke etwas sagen. Dabei bilden vor allem kürzere bis mittellange Stücke für Solostimme mit Orchester einen größeren Block, z. B. das Melodram «Bergliot» op. 42, das sehr eingängige Orchesterlied «Den Bergtekne» sowie die Sechs Lieder mit Orchester. Interessieren werden auch die Lyrische Suite und die Zwei lyrischen Stücke, jeweils Orchestrierungen aus den bekannten Klavierzyklen gleichen Namens.
Edvard GriegBemerkenswert ist die Entscheidung der Herausgeber, auch Orchesterfassungen von fremder Hand in die Box mit aufzunehmen. So arrangierte Johann Halvorsen sowohl Ved Rondane, ein vormaliges Klavierlied, als auch einen eigentlich für Bläser geschriebenen Trauermarsch. Letzterer ist auch in der Urversion vertreten, sodass der Hörer vermag, Vergleiche zwischen Original und Bearbeitung anzustellen.
Was die opulente Box gegenüber Konkurrenzprodukten wie demjenigen der Deutschen Grammophon Gesellschaft mit Neeme Järvi unterscheidet und heraushebt, ist die bereits erwähnte Gesamtaufnahme der Schauspielmusik von Peer Gynt, die auf ähnlichen Zusammenstellungen nicht zu finden ist. Dieser Bonuspunkt werden besonders diejenigen zu schätzen wissen, die Wert auf lexikalische Vollständigkeit legen. Alle anderen können sich an kleinen und größeren Entdeckungen erfreuen, die diese umfangreiche Sammlung zum idealen, doch eben auch anspruchsvollen Geschenk machen. ■

Bergen Philharmonic Orchestra / Ole Kristian Ruud (Dirigent) / Verschiedene Solisten: Edvard Grieg, The Complete Orchestral Music, BIS-CD-1740/42 (2002-2006/2008)

Grieg-Musik-Konzerthalle-Bergen

Domizil des Bergen Philharmonic Orchestra: Die Grieg-Konzerthalle in Bergen

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Heute vor … Jahren

Posted in Edvard Grieg, Henrik Ibsen, Heute vor ... Jahren, Literatur, Musik, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 24. Februar 2008

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Peer Gynt: Metamorphose eines Taugenichts

Walter Eigenmann

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solveigh-christiana-1876.jpgAm 24. Februar 1876 hat im norwegischen Oslo eines der bekanntesten Stücke Henrik Ibsens seine Premiere: Das «Dramatische Gedicht» Peer Gynt. Basierend auf der zwischen 1845 und 1848 erschienenen Feenmärchen-Sammlung «Huldre-Eventyr og Folkesagn» von P. Ch. Asbjørnsen (und in gewisser formaler Nachfolge von Byrons «Manfred») schildert Ibsens Vers-Epos die vieljährige Metamorphose des lügnerischen, nichtsnutzigen Bauernlümmels und nachmaligen Sklavenhändlers Peer Gynt hin zum moralisch geläuterten, durch eine weltweite, skurril-phantastisch-absurde Abenteuer-Odysee verarmten, aber seelisch gereiften Mann, der sich schließlich sogar der unverbrüchlichen Liebe des «ewig Weiblichen», verkörpert in der lebenslänglich wartenden und leidenden Solvejgh, würdig erweist.
Der «nordische Faust», wie man Ibsens mythisch ausladenden Peer-Gynt-Monolog um Trolle, Königstöchter, afrikanische Irrenhäuser und mephistophelische «Knopfgießer» schon bald auch nennt, entsteht 1867 auf Ischia, ist vordergründig eine langwierige Identitätssuche und -findung des Titelhelden, hintergründig aber ebenso eine fulminante literarische Abrechnung des Dichters mit der selbstzufriedenen Cliquen-Wirtschaft und Willenschwäche seiner norwegischen Landsleute.

grieg-und-ibsen-1905.jpg

Weniger die ethischen Intentionen des Stückes denn seine verschiedenen nationalromantisch kolorierten, allerdings kritisch gebrochenen Ingredienzen inspirieren schon kurz nach Erscheinen die Komponisten – allen voran Edvard Grieg, der von Ibsen eingeladen wurde, eine umfangreiche Partitur zur Theater-Fassung des Gynt-Stoffes beizusteuern. Autograph der Doch die höchst unterschiedlichen künstlerischen Naturelle der beiden Genies – der reserviert-kühl-introvertierte Ibsen teilt Grieg exakte Vorstellungen von der musikalischen Gestaltung seines «Peer Gynt» mit! – führt zu einer stilistisch nicht adäquaten Komposition Griegs. Dieser betont ausgerechnet die norwegischen Farben des «Peer Gynt», illustriert Peers Welt-Reisen mit mancherlei klanglichen Exotismen aus Opern des 19. Jahrhunderts, lässt gar ganze Spring-Tänze aufführen, und schafft vor allem anrührende Seufzer-Elegien zu den verschiedenen, unter Peers Ignoranz leidenden Frauengestalten. (Später bekennt Grieg, Ibsens Auftrag nicht zuletzt auch aus Geldnot-Gründen angenommen zu haben…)
In der Gunst des breiten Publikums ganz obenauf schwimmt dabei noch immer die den Suiten-Zyklus eröffnende «Morgenstimmung» (Bild: Faksimile der ersten Partitur-Seite). Berühmt, aber kaum je zusammen mit dem Drama aufgeführt werden aus Griegs zweiteiligem Suiten-Extrakt außerdem «Solvejgs Lied», «Åses Tod» und «Ingrids Klage». ■

Hörbeispiel: In der Halle des Bergkönigs (aus Edvard Grieg: Peer Gynt Suite / Youtube)

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