Das Zitat der Woche
.
Vom menschlich Bösen
Eugen Kogon
.
Im KL Buchenwald hatte die SS eine eigene Liquidationsanstalt neben der Reithalle, außerhalb des Stacheldrahtbereiches. Dort wurde nur erschossen. Für das Kommando bestand bei der Kommandantur das Stichwort »99«. Die Scharführer wurden ihm, soweit sie sich nicht freiwillig gemeldet hatten, abwechselnd zugeteilt.
Wenn die ahnungslosen Opfer, fast durchweg russische Kriegsgefangene, in den Stall kamen, hielt der leitende SS-Offizier des Mordkommandos eine kurze Ansprache, die übersetzt wurde: »Sie sind in einem Sammellager. Um die Ansteckungsgefahr zu vermeiden, müssen Sie vorher untersucht, desinfiziert und gebadet werden. Beim Ausziehen zuerst den Rock, dann die Hose hinlegen, die Schuhe daneben stellen, die Erkennungsmarke in die Schuhe legen, damit es keine Verwechslungen gibt.« Die Scharführer gingen in weißen Mänteln umher, um Ärzte vorzutäuschen. Dann hieß es: »Die ersten sechs Mann zum Baden!« Ein Lautsprecher wurde auf volle Stärke eingeschaltet, der Grammophonmusik brachte, während durch einen anderen Namen und Nummern laut gerufen wurden.Zur selben Zeit spielte sich in den nächsten Räumen die blutige Tragödie ab. Die zum >Baden< bestimmten Opfer gingen in einen kleinen Raum, der schalldichte Wände und Türen hatte; er war als Baderaum ausgestattet, mit Fliesen am Boden und an den Wänden und acht Duschen. In der Tür befand sich ein 30 Zentimeter breiter und drei Zentimeter hoher Schlitz. Ein SS-Mann schloß die Tür fest zu und schoß die auf das Bad Wartenden mit einer automatischen Pistole zusammen.
Lagen alle am Boden, oftmals nicht tödlich getroffen, so wurden sie auf ein Lastauto geworfen, das mit Zinkblech ausgeschlagen war. Die Duschen wurden aufgedreht, das Blut weggespült – die nächsten konnten antreten! Auf diese Weise wurden an manchen Tagen von neun Uhr abends bis fünf Uhr morgens 500 Mann >gebadet<.
Anfangs bediente sich die SS einer Maschine (die aber wieder abgeschafft wurde, weil sie nicht rasch genug arbeitete): Auf einem Holzpodium war eine Latte zum Messen der Körperlänge angebracht mit einm Schlagbolzen in der Höhe des Genicks. Wenn sich der ahnungslose Delinquent auf das Podium stellte, schnellte der Bolzen heraus und zertrümmerte Genick oder Hirnschale. Die Maschine tötete nicht immer, die Halbtoten wurden trotzdem auf den Leichenwagen zum Krematorium gefahren. Dort erhielten sie den Gnadenschlag mit einer großen Eichenkeule.
Der Krematoriumsgehilfe Zbigniew Fuks hat erlebt, dass ein russischer Kriegsgefangener, der mit einer Fuhre Leichen eingebracht worden war, ihn noch ansprach: «Kamerad, gib mir die Hand!» Er war wie alle Erschossenen nackt und blutig und hatte auf einem Haufen nackter Leichen gelegen. Er wurde von dem hinzuspringenden SS-Oberscharführer Warnstedt, dem Leiter des Krematoriums Buchenwald, mit einem Revolverschuss getötet. […]
Sämtliche SS-Angehörige des «Kommandos 99» haben das Kriegsverdienstkreuz erhalten. ■Aus Eugen Kogon, Kommando 99 – Pferdestall, in: Der SS-Staat – Das System der deutschen Konzentrationslager, Kindler Verlag 1974
.
.
.
Splitter
.
«Welche Bücher habt ihr nie vergessen?»
(Frage in einem deutschen Literatur-Forum)
Eigentlich (fast) jedes…
Denn mit den Büchern ist es wie mit dem Wein im bekannten Sprichwort: Das Leben ist zu kurz, um schlechte/n zu lesen/trinken. Da man also nur «gute Bücher» lesen sollte, indem man sich vor dem Kauf so vielseitig wie möglich kundig macht, weist meine Bibliothek kaum «faule Eier» bzw. nur (für mich) «Unvergessliches» auf.
Es gibt aber Bücher, die einen «verfolgen»!
Bei mir ist das – unter noch ein paar anderen – die berühmte Nazi-Dokumentation von Eugen Kogon: «Der SS-Staat».
Dabei ist es nicht nur die himmelerbarmende und unfassbare Barbarei, mit der damals Deutschland die ganze Welt in die Hölle stürzte, was den Leser dieser erdrückenden Fakten schaudern lässt. Sondern die demprimierende Erkenntnis, dass jeder, also du wie ich genauso zum Verbrecher an der Menschlichkeit werden kann, wenn nur die (zugegeben vielfältigen) «Umstände stimmen»…
Ich habe den Band als Zwanzigjähriger gelesen – und noch heute hat er, quasi als Mahnmal, einen besonderen Platz in meinen Bücherregalen. Walter Eigenmann
leave a comment