M: Weinberg: «Sonaten für Viola solo / Sonate für Viola & Klavier»
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Die Grenzen der Viola musikalisch ausgelotet
Christian Schütte
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Mieczyslaw Weinberg, russischer Komponist polnischer Abstammung, erlebt in diesem Sommer durchaus einen kleinen Boom. Die Bregenzer Festspiele (21. Juli bis 22. August) widmen ihm einen programmatischen Schwerpunkt: mit einem Symposium mit Vorträgen und Diskussionen zu Weinbergs kompositorischem Schaffen, vor allem aber mit der Aufführung einer Reihe von Werken: seine Opern «Die Passagierin» und «Das Porträt», Konzerte mit Orchesterwerken, Kammermusik u.v.m.
Weinberg wurde 1919 in Warschau geboren und studierte dort zunächst Klavier, bevor er 1939 in die damalige Sowjetunion übersiedelte. Er studierte bis 1941 weiter am Konservatorium in Minsk, wirkte ab 1943 als freischaffender Komponist und Pianist. Er lebte in Moskau und gehörte zu den engen Freunden Dmitri Schostakowitschs.
1953 wurde Weinberg, der Jude war, beschuldigt, auf der Halbinsel Krim die Gründung einer jüdischen Republik propagiert zu haben. Die Beschuldigung war jedoch vollkommen unberechtigt, Schostakowitsch setzte sich erfolgreich für Weinbergs Freilassung aus der Haft ein. Das ist nur ein Beispiel für ein insgesamt von schweren Belastungen geprägtes Leben, dem Weinberg gleichwohl eine Fülle von Werken abrang. Über 20 Symphonien, sechs Opern, eine Reihe von kammermusikalischen Werken für die verschiedensten Genres, Filmmusik u.v.m. schuf er.

Mieczyslaw Weinberg (1919-1996)
Dem Kammermusiker Weinberg widmet sich die Bratschistin Julia Rebekka Adler mit ihrer jüngsten Doppel-CD. In deren Zentrum stehen die vier Sonaten für Viola solo, daneben die Bearbeitung einer Sonate für Klarinette und Klavier sowie eine weitere Solosonate aus der Feder Fyodor Druzhinins.
Den Anfang macht die Sonate op. 28. Sie stammt aus dem Jahr 1945 und ist im Original für Klarinette und Klavier geschrieben. Der erste Satz erinnert unweigerlich an den musikalischen Stil der großen russischen Komponisten der Zeit – Weinbergs enge private Verbindung zu Schostakowitsch dürfte hier auch ihre musikalischen Spuren hinterlassen haben. Ebenso sind in den folgenden Sätzen aber Anklänge an russische und jüdische Folklore zu vernehmen, die in einer ebenso dichten persönlichen Beziehung zum Komponisten stehen. Somit ist die Sonate sicher ein probates Beispiel für Weinbergs individuellen Stil, den Julia Rebekka Adler durch einen vollen, warmen, manchmal auch schweren und schwermütigen Viola-Ton mit großer Klarheit zum Ausdruck bringt, Jascha Nemtsow begleitet sie dabei ebenso dezent wie kongenial am Klavier.
Die Solosonaten für Viola geben Adler beste Möglichkeiten, das so oft im Schatten der Violine stehende und missbilligte Instrument von ganz neuen Seiten zu zeigen. Die erste, op. 107, stammt aus dem Jahr 1971 und ist Fyodor Druzhinin gewidmet.
Diese Sonate ist die einzige bislang veröffentlichte. Die Sonate Nr. 2 (op. 123) von 1978 ist dem damaligen Bratscher des Borodin-Quartetts zugedacht, die dritte (op. 135) und vierte (op. 136) von 1985 bzw. 1986 dem zu der Zeit amtierenden Solobratscher des sowjetischen Staatsorchesters. Diese sehr persönlichen Widmungen erklären einerseits die Wahl der Solosonate – so war kein Begleiter nötig – andererseits aber auch die ausgebliebene Verbreitung dieser ohnehin sehr speziellen Musik.
Alle vier Sonaten vereint ein ebenso unterschiedlicher wie Extreme einfordernder Anspruch an die spieltechnischen Fertigkeiten des Bratschers. Auch wenn Weinbergs mitunter sehr düstere und melancholische Tonsprache einen solchen Begriff fast zu verbieten scheint, sind die Sonaten in ihrem Anspruch wahre Virtuosenmusik. Keine äußere Virtuosität wird hier ausgestellt, sondern eine ganz verinnerlichte, konzentriert auf ein perfektes Beherrschen des Instruments. Auch und gerade in dieser Hinsicht beglaubigt Julia Rebekka Adler ihr ambitioniertes Projekt, sich diesen nahezu in Vergessenheit geratenen Werken anzunehmen.
Ebenfalls auf der Doppel-CD eingespielt ist die Sonate für Viola solo des russischen Komponisten und Bratschisten Fyodor Druzhinin (Hörbeispiel auf Youtube), geboren 1932 in Moskau. Ab 1944 studierte er Viola an der Musikschule des Moskauer Konservatoriums, ab 1950 am Konservatorium bei Wadim Borissowski, dessen Platz im Beethoven-Streichquartett er 1964 einnahm. Später unterrichtete er selbst am Moskauer Konservatorium, dessen Viola-Abteilung er ab 1980 leitete.
Druzhinin ist Widmungsträger bedeutender Werke für Viola, u.a. Alfred Schnittkes, Grigori Frids und der Sonate für Viola Op. 147 von Dmitri Schostakowitsch, dessen letzte Komposition, die Druzhinin auch uraufgeführt hat. Neben seiner eigenen pädagogischen Tätigkeit komponierte er mehrere Werke für Viola.
Wahrscheinlich hat Weinberg Druzhinins Sonate für Viola solo gekannt, sie stammt aus dem Jahr 1959 und ist somit einige Jahre vor der Sonate entstanden, die Weinberg dem Bratscher und Komponisten widmete. Was jedenfalls den Grad an Komplexität und Anspruch an den Musiker angeht, steht Druzhinins Sonate den Werken Weinberg in nichts nach, der leidenschaftliche und versierte Bratscher, der Druzhinin Zeit seines Lebens war, klingt da mit jeder Note durch – und wird ebenso von Julia Rebekka Adler umgesetzt.

Die Einspielung dieser Weinbergschen Viola-Werke durch Julia Rebekka Adler ist eine warme Empfehlung für ausgesprochen interessierte Freunde der Bratsche, die hier durch eine vorzügliche Interpretation ein Dokument an die Hand bekommen, wie weit die Grenzen dieses Instruments verlaufen können.
Die Aufnahme ist genau zum richtigen Zeitpunkt entstanden, rückt Weinberg derzeit nicht zuletzt durch Veranstaltungen an so prominenten Orten wie Bregenz verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Gleichwohl bleibt die Einspielung vor allem eine warme Empfehlung für ausgesprochen interessierte Freunde der Viola, die hier durch eine vorzügliche Interpretation ein eindrucksvolles Dokument an die Hand bekommen, wie weit die Grenzen dieses Instruments verlaufen können. ■
Mieczyslaw Weinberg: Sonaten für Viola solo – Sonate op. 28 für Klarinette und Klavier (Version für Viola und Klavier); Fyodor Druzhinin: Sonate für Viola solo, Julia Rebekka Adler (Viola), Jascha Nemtsow (Klavier), Doppel-Audio-CD, Neos Music & Bayerischer Rundfunk
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