Glarean Magazin

George Enescu: Sinfonien Nr. 1-3 (Lawrence Foster)

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«Die Verwandlung der Seele ist der eigentliche Grund
für die Existenz der Musik»

Wolfgang-Armin Rittmeier

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Ein anderer Begriff für das deutsche Wort Verwandlung ist der der Metamorphose. Und dies ist der Begriff, der im Zentrum des Schaffens eines der großen und dennoch weitgehend vernachlässigten Komponisten Europas steht: George Enescu.
«Enescu war doch im Wesentlichen Virtuose, ein phänomenaler Geiger» – so mag es bei der Namensnennung wohl schnell auf der Zunge liegen. Und das ist auch richtig, denn Enescu begann tatsächlich als Wunderkind. Geboren 1881, spielte er mit vier Jahren die Geige, mit sieben Jahren studierte er bereits bei Hellmesberger am Wiener Konservatorium, gleichzeitig Komposition bei Robert Fuchs, dem Lehrer Mahlers, Strauss’, Korngolds, Sibelius’ und vieler anderer mehr. 1894, also im Alter von 13 Jahren, ging er nach Paris, wo er zunächst von Jules Massenet und dann von Gabriel Fauré unterrichtet wurde. Dort lernte er Ravel, Florent Schmitt und Charles Koechlin kennen. Zwischendurch tritt er immer wieder als Solist auf, spielt Mendelssohns Violinkonzert und Sarasates «Faust-Fantasie». 1898 wird sein erstes großes Orchesterwerk, das «Poème Roumaine» op. 1, bei den Pariser Concerts Colonne gespielt, im gleichen Jahr beginnt er selbst zu dirigieren. Seiner kometenhaften Karriere ist keine Grenze gesetzt, er bleibt einer der berühmtesten Musiker seiner Zeit bis zu seinem Tod im Jahr 1955.

Geigen-Wunderkind und genialer Komponist: Georg Enescu (1881-1955)

Warum aber kennt man so wenig von ihm, warum wird so wenig von ihm gespielt? Die Antwort liegt in einem Phänomen begründet, das nicht nur einmal in der Musikgeschichte vorkommt: Ein überdurchschnittlich populäres Werk verstellt den Blick auf das Gesamtschaffen eines Komponisten und lässt ihn schnell in einer Schublade verschwinden. In Enescus Fall sind es zwei Werke, nämlich die beiden «Rumänischen Rhapsodien» op. 11. Was auf deren Komposition hin folgte, fasst der rumänische Komponist und Musikwissenschaftlicher Pascal Bentoiu treffend zusammen: «Damit wurde dem Komponisten Enescu also eine exotische, folkloristische Qualität zuerkannt und kurzerhand geschlussfolgert, er müsse ein pittoresker Vertreter einer ‘nationalen Schule’ sein. Das allein ist jedoch unweigerlich zu wenig und grundsätzlich falsch.» Aber er hat es doch selbst so gesagt, mag man entgegenhalten. Schließlich gibt es auch von Enescu Worte zu diesem Aspekt seines Werkes: «Ich schreibe […] im Charakter der Volksmusik. Ich sage bewusst nicht ‘im Stil’, denn das impliziert etwas Gemachtes oder Künstliches, wogegen ‘Charakter’ etwas Gegebenes meint, was von Anfang an da ist.» Und hier liegt nun das fundamentale Missverständnis, das dem Komponisten Enescu zum Verhängnis geworden ist. Seine «Rumänischen Rhapsodien» erscheinen wie «im Stil» der Volksmusik komponiert, schmissige, die Volksmusik abbildende Kunstmusik in der Nachfolge Liszts. Tatsächlich sind sie aber, wie auch der gesamte Rest des Schaffens Enescus, «im Charakter» der Volksmusik komponiert. Und dieser Charakter wird von Enescus mit dem Konzept der Heterophonie identifiziert.
Der Begriff, dessen Inhalt für Enescus Kompositionsweise höchst bedeutsam ist, bezeichnet «eine mehrstimmige Einstimmigkeit, d. h. eine Musikergruppe spielt simultan dieselbe Melodie, allerdings mit individuellen Abweichungen in den Details.» Tatsächlich ist es – und damit kommen wir zurück zum Anfang – ein metamorphotischer Kompositionsansatz, ein Ansatz der permanenten Veränderung, Verästelung und Verschlingung des zentralen melodischen Materials, ein Ansatz der sich besonders auch in den drei Symphonien widerspiegelt.

Eine der wenigen Aufnahmen der 3 Symphonien Enescus ist nun bei EMI in der Niedrigpreisserie «20th Century Classics» neu aufgelegt worden – und man möchte sagen: zum Glück. Der amerikanische Dirigent Lawrence Foster setzt sich schon lange für Enescu ein, er hat seine Orchestersuiten ebenso eingespielt wie die faszinierende Oper «Oedipe» und in den frühen Neunzigern die ersten beiden Symphonien. Eine Aufnahme der dritten Symphonie folgte 2004. Diese drei Aufnahmen sind hier versammelt und man fragt sich beim Hören wieder erstaunt: Warum ist diese Musik kein Bestseller? Die forsche, lebenslustige, energiegeladene Erste, die in ihrem Kopfsatz zunächst eine Nähe zu Richard Strauss und dem frühen Franz Schmidt offenbart, um im zweiten, mysteriösen Satz eher eine Verbindung zur französischen Schule herzustellen, ist ein grandioser, mitreißender Erstling. Fantastisch ist dann die Zweite, die die wohl vernachlässigtste des Triptychons ist. Allein zu verfolgen wie Enescu den Weg von den ersten schumannesken Takten hin bis zu einer irisierenden Klanglichkeit à la Ravel beschreitet und sich dann bis zu geradezu Mahlerscher Grübelei vortastet, ist höchst spannend. Wenn er dann im zweiten, elegischen Satz eine Oboenmelodie anheben lässt, die  Rachmaninow nicht hätte schöner komponieren können, dann ist man sprachlos angesichts der Tatsache, dass das kaum jemand hört. Und Vorsicht: Die sich einstellenden Assoziationen sprechen nicht von Eklektizismus oder mangelnder stilistischer Selbstfindung des Komponisten. Der Hörer ist vielmehr konfrontiert mit einem Personalstil, der die unterschiedlichsten stilistischen Strömungen der Zeit wie in einem Brennglas bündelt. Farbig, abwechslungsreich, harmonisch und motivisch dicht gearbeitet. Die dritte Symphonie dann insgesamt eher dunkel, von der Zeit sprechend, in der sie entstand (1916-21), die Möglichkeiten des normalen Symphonieorchesters mittels Celesta, Klavier, Harmonium, Orgel und vokalisierendem Chor erweiternd.

Die Einspielungen der Enescu-Symphonien unter Lawrence Foster sind ein guter Ausgangspunkt, um das Werk dieses vernachlässigten Komponisten kennen zu lernen. Interpretatorisch und klanglich auf höchstem Niveau sind sie ein beredtes Plädoyer für die Kompositionskunst des großen Rumänen.

Lawrence Foster scheint, wie es «The Telegraph» einmal schrieb, auf die Welt gekommen zu sein, um Enescu zu dirigieren. Tatsächlich fällt es nicht schwer, diesem Kompliment zuzustimmen, denn der amerikanische Dirigent, der hier zum einen das Orchestre Philharmonique de Monte Carlo (Symphonie Nr. 1 & 2) zum anderen das Orchestre National de Lyon dirigiert, versteht es mühelos die Qualitäten dieser Kompositionen mit einer Selbstverständlichkeit deutlich zu machen, die ihresgleichen sucht. Dort, wo es Gennadi Rotzhdestvenskys Einspielung bei Chandos an Leidenschaftlichkeit und Engagement mangelt, dort wo Cristian Mandeals Zugriff mit der «George Enescu Philharmonie Bukarest» vielleicht etwas grob ist, dort überall punktet Foster. Die Aufnahme klingt gut, ist durchsichtig und schlicht hinreißend musiziert. Besonders die Interpretation der dritten Symphonie, die kompositorisch und inhaltlich wahrscheinlich die komplexeste ist, sticht positiv heraus. Fosters Ausformung der Bilder des Krieges, die der erste Satz unmittelbar evoziert, die Momente des Zurücksinkens in fast leere, karge und nachdenkliche Abschnitte bis hin zur Verklärung im letzten Satz, in dem der «Choeur de chambre Les Éléments» dann noch balsamisch vokalisierend hinzutritt: Das allein ist den Kauf dieser Doppel-CD wert. Einziger Wermutstropfen: Fosters Einspielung der großartigen symphonischen Dichtung «Vox maris», die in der Originalausgabe enthalten ist, fehlt. Stattdessen hat EMI die dritte Violinsonate op. 25 hinzugefügt, die hier – obschon sie ein höchst attraktives Werk ist und von Valery Sokolov und Svetlana Kosenko auch höchst anregend (besonders im ersten Satz) interpretiert wird – doch ein wenig wie ein Fremdkörper wirkt. ■

George Enescu: Symphonien Nr. 1-3  – Orchestre Philharmonique de Monte Carlo, Orchestra National de Lyon, Lawrence Foster,  EMI, 2 Audio CD

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