Georges Perec: «Was für ein kleines Moped…» (Erzählung)
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«Na schön, sagten wir, es ist gelaufen»
Dr. Rainer Wedler
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Wenn es nicht so abgedroschen wäre, würde der Rezensent jetzt schreiben: Nach dem zweiten Buch, spätestens, kann man süchtig werden nach Perec. Nun ist Georges Perec schon einige Jahre tot, also nichts Neues mehr von ihm zu erwarten. Jetzt also habe ich mir das kleine Moped reingezogen. Ein Text, nicht einmal 80 Seiten, im Grunde nicht übersetzbar, ist von Eugen Helmlé kongenial ins Deutsche übertragen worden. Dem Diaphanes-Verlag ist zu danken, dass er mit «Was für ein kleines Moped mit verchromter Lenkstange steht dort im Hof?» bereits den fünften Titel dieses unverwechselbaren Franzosen neu auflegt. Gerade in diesem schmalen Buch ist der Einfluss zu erkennen, den der Kreis Oulipo um Raymond Queneau auf Perec gehabt hat.
Worum aber geht es? Das ist schnell erzählt. Auf dem Montparnasse treffen sich Tag für Tag ein paar Spezis bei reichlich Rotwein zu tiefgründigen Gesprächen über Helicop, Hegell und andere Sonderlinge. Abends stößt der Unteroffizier Henri Pollak dazu, der mit seinem petit velo jeden Tag zwischen der Kaserne und seiner Montparnasse-Holden hin- und herpendelt. Und dann das: Der Spezi Karasonstwas soll in den Algerienkrieg, den die Franzosen erst seit einigen Jahren nicht mehr Konflikt nennen. Karamagnole aber will sich nicht dazu bequemen, in den Djebels Algeriens herumzutoben. Also tagt der schräge Verein und berät, wie man Karabambuli aus der Patsche helfen kann. Ihm den Arm brechen, ihn auf verrückt trimmen, ihn einen Selbstmord vortäuschen lassen? Alles wird mit verquerer Akribie durchdekliniert und am Ende der Pseudo-Suicid unternommen, allerdings ohne den erhofften Erfolg zu zeitigen. Am Ende sitzt Karawick im Zug zur Verschiffung an die algerische Front.
All das hätte man auf einer Seite sagen können. Aber was ist Inhalt gegen die ungezügelte Sprachfantasie eines Perec? Da wird schwadroniert, bis die Schwarte kracht, und sprachgespielt, bis die Zunge zittert. Das Banale zieht das Hochgestochene zu sich herunter, dass einem schwindlich wird. Da wird tautologisiert, was das Zeug hält. Da mag es weit hergeholt sein, aber irgendwo ganz hinten im Hinterhirn klopft Rabelais an und sagt, grüß euch, ihr logorrhöen Brüder.

Dem Diaphanes-Verlag ist zu danken, dass er mit «Was für ein kleines Moped mit verchromter Lenkstange steht dort im Hof?» von Georges Perec bereits den fünften Titel dieses unverwechselbaren Franzosen neu auflegt. Nach Perec kann man süchtig werden.
Darüber und dahinter aber steht der Algerienkrieg, der die französische Jugend in Konfrontation zum Staat brachte, speziell natürlich zum Militär. Der Rezensent hat 1961 einige Wochen in einer Familie in Burgund verbracht, um seine miserablen Kenntnisse der Landessprache zu verbessern, was tatsächlich gelang, jedenfalls hat er sich viel auf der Straße, in Bistros und in Kinos herumgetrieben und erlebt, wie beim Auftauchen einer Uniform unflätige Bemerkungen gemacht, auch gepfiffen und gebuht wurde. Der Pazifismus ist das Lebensgefühl der französischen Jugend gewesen. Man darf auch nicht vergessen, dass der Indochinakrieg kaum beendet war, als in Nordafrika das Blutvergießen weiterging. Kein Wunder deshalb, dass Perec im «Vorspann» seines Buches verkünden kann: Ein von verschiedenen Militärakademien preisgekröntes Werk. Dem will der Rezensent nichts mehr hinzufügen. ■
Georges Perec: Was für ein kleines Moped mit verchromter Lenkstange steht dort im Hof? – Erzählung, Diaphanes Verlag, 80 Seiten, ISBN 978-3-03734-231-2
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