Glarean Magazin

Musik und Schule

Posted in Glossen, Jürg Seiberth, Musik, Pantalone, Schul-Musik by Walter Eigenmann on 28. September 2007

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Die Musik braucht die Schule nicht!

Ein Pamphlet von «Pantalone» 

Es mag paradox klingen, aber den Jugendlichen ist die Musik so wichtig, dass sie es nicht ertragen, wenn die Schule sie vereinnahmt. Deshalb wird die Schulmusik nicht ernst genommen, das ist die Krise der Schulmusik. –

Pantalone ging skeptisch an den Anlass, dessen Thema die Schweizer Volksinitiative «jugend+musik» war. Musik ist  doch ein Allerweltsthema. Alle würden sich auf die Schultern klopfen. Wer hat denn etwas gegen Musik?

Aber die Veranstaltung war gut. Es gab Harfenmusik, schön, fein, aber auch ein wenig neckisch und stachlig. Pantalone wurde es warm ums Herz. Musik ist die Grundlage aller Poesie. Schön auch, dass es in der Schweiz diese Initiative gibt, und dass die Schweizer  in den nächsten Monaten weiter über Musik diskutieren werden. Niemand ist gegen Musik, solange es nicht an die Ressourcen geht, ans Geld und an die Zeit.

 Zum Beispiel an die Schulzeit. Der Musikunterricht an den Schulen wird marginalisiert, ihr Gewicht in der LehrerInnenausbildung nimmt ab. Hector Herzig (Bild), der Präsident des Verbandes Musikschulen Schweiz, lieβ sich zur Aussage hinreiβen, wenn Musikerziehung derart vernachläβigt werde, müsse man sich nicht wundern, wenn die pubertierende Jugend «keine Affinität zur Musik» habe.

Da musste Pantalone intervenieren: In keinem Lebensalter ist die Affinität zur Musik gröβer als in der Pubertät. Die Krise des Musikunterrichts hat ihre Ursache nicht darin, dass sich die Jugend nicht für Musik interessiert. Im Gegenteil, Musik ist das wichtigste im Leben der Jugendlichen. Pantalone vermutet, dass das schon in der Steinzeit so war, und er ist sicher, dass es heute so ist.

«Musik soll neben der Schule stattfinden!»

Merkwürdig findet Pantalone, dass es Leute gibt, die denken, die Musik sei auf die Schule angewiesen. Es mag paradox klingen, aber den Jugendlichen ist die Musik so wichtig, dass sie es nicht ertragen, wenn die Schule sie vereinnahmt. Pantalone ist überzeugt: So wichtig es ist, dass die Musik ihren Platz in der Primarschule hat, für die SekundarschülerInnen muss die Musik hauptsächlich neben der Schule stattfinden, im Kreis von Freunden, in der Disco, im Bandkeller, und vor allem auch in den Musikschulen.

Die Musikschule wiederum tut gut daran, sich von der Schule zu distanzieren. In der Musikschule passiert nicht das gleiche wie in der Schule. Deshalb sind auch private Musikschulen (z.B. die Basler Musikwerkstatt) so beliebt und so erfolgreich. Die pubertierenden Jugendlichen suchen Musik und sie suchen Menschen, die sie in die Geheimnisse der Musik einweihen, aber sie suchen das alles nicht in der Schule.

Vielleicht braucht die Schule die Musik, die Musik braucht die Schule nicht. Die Musik braucht auch keine Lobby, aber die Lobby braucht offenbar die Musik. Pantalone ist natürlich für die Initiative, denn wie gesagt: Musik ist die Grundlage aller Poesie. Aber Musik ist nicht primär ein Schulthema. Es geht um Menschen und um Musik. Die Musikausbildung, das Musizieren, das Musikhören kann und muss auch und vor allem auβerhalb der Schule massiv gefördert werden.

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Pantalone
ist eine Maske von Jürg Seiberth, geb. 1955, freier Autor und Texter, Hobbymusiker und Musikschulrat, lebt in Arlesheim. «Die Musik braucht die Schule nicht» erschien zuerst in seinem Weblog «Pantalones Poetik»

Splitter

Posted in Glossen, Musik, Splitter, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 15. September 2007

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«Klassik – wer hört sich sowas
eigentlich noch freiwillig an?»
 

(Thread-Titel in einem groβen deutschen Musik-Forum) 

Seit Jahren beklagen führende «öffentliche» Kulturträger im Bereich «Klassik» (Opernhäuser, Orchester, Tonträger-Firmen, Musikschulen usw.) einen kontinuierlichen Rückgang sowohl des Publikums als auch der aktiv Musizierenden – und damit einhergehend eine dramatische «Vergreisung» der Klassik-Hörerschaft. Zitat des Bonner Kultur-Forschungszentrums: «Alarmierend ist der zunehmende Wegfall von Besuchergruppen mittleren Alters und jüngeren Senioren. Dies hat Auswirkungen auch auf die Jugend, die heute wesentlich seltener über das Elternhaus an die Klassik herangeführt wird als früher. 1965 gingen noch 58% der Bevölkerung im Alter bis 40 Jahre mindestens einmal jährlich in die Oper, heute sind es nur noch 26%».
Auch rein kommerziell verzeichnet die Klassik» eine mittlerweile ungebremste Talfahrt, wie die Statistik beweist.

Auslauf-Modell Klassik?

Das Problem ist gigantisch komplex, und man müsste ne Riesenmenge akademischer Diszipline (von der Neurophysiologie über die Kunsthistorik bis hin zur Musiksoziologie) involvieren, um ihm auch nur ansatzsweise gerecht zu werden. Wenn man aber einfach oberflächlich den einigermaβen beängstigenden Befund mit simplen Stichworten versehen will, drängen sich auf:

1. Adäquate Rezeption von Kunstmusik (was der Volksmund eben landläufig als «Klassik» bezeichnet), hat – so versnobt-elitär das rüberkommt – mit Bildung zu tun. Wer bei «Ta-Ta-Ta-Taaaa…» an «Karajan» oder «Schicksal» oder «Waldo de los Rios» denkt statt an Motiv-Entwicklung in der Sonaten-Form, der kann anstelle von Beethoven auch gleich einen Film über Bernhardiner-Zucht einlegen.

2. Die Politiker (nicht nur in der Schweiz…) reißen sich den Kultur-Sparstift nur so aus der Hand. Die Schamlosigkeit, mit der sie die schulische Musik-Erziehung zusammenstreichen, wird nur noch überboten von der Obszönität der TV-Werbe-Industrie beim Verwursten von «Classic-Highlights».

3. «Klassische» Kunstmusik bedarf u.a. einer gewissen – ja: Muße. Anders ist die notwendige Kompetenz und Intimität für dieses fundamentale, menschheitsgeschichtlich völlig unverzichtbare Kulturphänomen nicht herstellbar. Doch daran ist in unserem Wettbewerb-zerfressenen Wirtschaftsbetrieb der Börsen-Maximierung bei den wenigsten «Normalbürgern» zu denken: Nach einem 9-Stunden-Tag (voller Angst um den Arbeitsplatz) zieht man sich nicht noch einen «schwierigen» Rihm oder Stockhausen rein – da reicht’s allenfalls für was leichtes Melodisches, lieber überhaupt nur Rhythmisches, am besten gleich «Rap»…

4. Man mag die klavierspielende «Höhere Tochter» von anno altundstaub belächeln – doch sie musizierte wenigstens. Heutzutage sind die Zeiten eines breiten Bildungsbürgertums, dem die aktive Beschäftigung mit zeitgenössischer(!) Musik noch gesellschaftliche Verpflichtung war, endgültig vorbei – gewichen der neuen Generation omnipotent konsumierender L’oreal-Jugend, welche die Noten durchaus noch kennt, nämlich die Banknoten, und die als hörgeschädigte Headphone-Autistiker allenfalls noch den Bass-Bereich des riesigen Musikstile-Spektrums mitkriegt.

5. Eine Konsequenz von 1 bis 4 ist, dass der «Klassik» langsam aber sicher die Hörer ausgehen müssen. Nur wer das Glück hatte und in jungen Jahren musikalische Sozialisation erfahren durfte, geht als Erwachsener in die Oper oder in die Sinfonie. (Die Rezeption von Avantgarde-Musik ist wieder ein anderes, immenses Thema).

6. Ist also die Frage tatsächlich legitimiert, ob die Gesellschaft auf das Faszinosum «Klassische Musik» mit seinem unendlichen geistes-geschichtlichen Reichtum auch verzichten könnte?

Ja, warum eigentlich nicht!
Wenn bei Musik genau wie bei Yogurts alleine noch das Verfallsdatum zählt – und genau dies suggeriert die moderne «Hit»-Kultur -, ist’s womöglich wirklich besser, wir lassen Bach & Co. sein. Denn schlieβlich: Eine Gesellschaft hat nicht nur die Politiker, sondern auch die Musik, die sie verdient…  Walter Eigenmann

Das Musik-Pamphlet

Posted in Glossen, Musik, Peter Androsch, Wolfgang A. Mozart by Walter Eigenmann on 12. Juli 2007

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Mozart?

Eine Glosse

Peter Androsch

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mozartkugeln_wien.jpgViele haben im letzten Jahr ein Mozart-Moratorium vorgeschlagen. Leider erfolglos, denn Mozart ist längst zu einem Pfropf im Flaschenhals der Musikwelt geworden. Er verstopft den Betrieb im Konzert, in der Oper, in Rundfunk und Fernsehen, und der Tonträgerproduktion. Er ist Knoblauch und Kreuz all derer, die den Teufel des Unbekannten und Neuen austreiben wollen!

Die Kunst (und damit die Kunstmusik) muß uns doch zu einem neuen Blick auf die Welt bringen, zu einer Wahr-Nehmung, ja zur Möglichkeit einer neuen Welt an sich! Sie muß uns die Möglichkeit geben, mehr unserer sinnlichen Potentiale zu entdecken und auszuschöpfen, und damit die Chance zu bekommen, mehr Mensch zu werden! Mensch(licher) zu werden!

«Mozart ist Universum»
(Bin Ebisawa, Jap. Mozart-Forscher)

Die ewige Wiederholung, die Variation des Gleichen wird uns nicht dazu bringen, sondern sie wird uns in unserer Saturiertheit bestärken und den dicken Hintern noch etwas fetter machen. Gerade deswegen sind alle glücklich: Immer das Gleiche hören und die Direktoren, die Sänger, die Musiker, die Werbungsleute dürfen immer das Gleiche machen. Der kapitalistische Musikverwertungsbetrieb ist überhaupt am glücklichsten, weil er ohne Investitionen einen «Markt» bedienen darf.

Stellen Sie sich vor, daß die Literatur, die Malerei oder die Bildhauerei sich von einem Künstler des 18. Jahrhunderts erdrücken ließen! Lächerlich würden das alle finden! Ist es auch.

Beenden wir den absurden Kult um das Originalgenie! Befreien wir uns von Mozart!

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peter_androsch.jpgPeter Androsch
Geb. 1963 in Wels/A,  Veröffentlichung zahlreicher CDs und anderer Publikationen,  ist in Oper und Musiktheater tätig, schreibt Orchester- Kammer-, Bühnen-, Ballett-, Chor- und Filmmusik, aber auch Elektroakustisches, Leitung der Sparte Musik für Linz als Europäische Kulturhauptstadt 2009

Schach-Glosse von Reinhard Scharnagl

Posted in Computer-Schach, Glossen, Reinhard Scharnagl, Schach by Walter Eigenmann on 12. Juni 2007

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Elo- oder Computer-Schach?

Reinhard Scharnagl

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In den Anfängen einer Computerschach-Euphorie, als es noch in Kaufhäusern bestaunte Schachcomputer gab (Bild: Der «Chess Chellenger» von Fidelity, eines der ersten Tischgeräte überhaupt), investierten faszinierte Fans kleine Vermögen in solche Geräte und ließen sie Gladiatoren gleich gegeneinander antreten – im sicheren Wissen, dass sie danach stets wieder unverletzt für eine nächste Partie bereit stünden.

schachcomputer_chess_challenger.jpg

Wie haben sich die Zeiten geändert! Eigentlich beachtet man heute nur noch gerätelose Programme. Bei denen fällt ein Beiseite-Schieben auch nicht mehr so auf, wie wenn ausgemusterte Tischgeräte in eine Ecke gestellt wurden. Mühevoll von Hand durchgeführte Tests gegen Mitbewerber tut man sich nun nicht mehr an. Man lässt in automatisierten Turnieren die Engines (= der rechnende, «denkende» Teil eines Schachprogrammes) gegeneinander antreten. Es interessiert allein nur noch das Elo-Ranking und die Anzahl dazu gespielter Partien, am besten also Blitz (= max. 5 Min./Spieler). Wozu sich die Partien überhaupt anschauen?

In Maschinenräumen von Online-Servern werden Top-Computer aufeinander losgelassen wie arabische Rennkamele. Dass zwei Drittel dort identische Programme verwenden, ist ohne Belang. Man kennt sich aber dafür aus mit Hardwaretuning, Wenigsteiner-Tabellen und optimalen Betriebssystemen. Das Antwortzeitverhalten einer DSL-Verbindung wird optimiert, die dann trotzdem beim drohenden Verlust der Remis-Breite mitunter rechtzeitig zum Zusammenbrechen «motiviert» wird. Ich habe so meine Vorstellungen, was solche Stellvertreterkriege kompensieren sollen, aber etwas Positives scheint es nicht zu sein.

server_maschinen_schach.jpg

ScreenShot einer typischen 3-Minuten-Blitz-Partie(…) im «Maschinenraum»
eines bekannten Online-Schach-Servers (mit zwei identischen Gegnern und
völlig irreführenden Elo-Zahlen…)

Die wirklichen Interessenten an der Entwicklung des Computerschachs sind zwischenzeitlich sehr rar geworden. Sich Partien zwischen Engines näher zu betrachten, welche nicht unter den Top 25 residieren, scheint völlig aus der Mode zu kommen. Gab es früher einmal Tester, die qualifiziert auf bestimmte Schwächen und Stärken entstehender Programme eingingen, so wird heute allein schon das Fehlen einer Standard-Protokoll Unterstützung wie des UCI zum K.o.-Kriterium. Man ist bequem geworden.

Eigengewächse an Schachprogrammen mit eigener GUI oder gar der Unterstützung von Varianten (z.B. Chess960) und anderen Brettgeometrien haben es so heute schwer, überhaupt noch auf Interesse zu stoßen. Doch wo sonst als jenseits ausgetretener Trampelpfade sind Neuerungen zu erwarten? Und: wer hofft überhaupt noch auf etwas Derartiges?

Nichts erscheint so interessant wie eine neue CPU, intelligenteres Caching, kompaktere Table-Bases oder der Erwerb einer aktuellen Nummer Eins der Ranking-Liste. Und all das hat mit Computerschach nicht das Mindeste zu tun… ■

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