Interessante Buch- und Musik-Novitäten – kurz vorgestellt
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«Hit-Session»: Weihnachtslieder für Keyboard
In Fortsetzung seiner neuen, bereits umfangreichen Serie «Hit-Session» veröffentlichte der Musik-Verlag Bosworth nun unter dem Titel «Keyboard – Weihnachtslieder» eine Sammlung der beliebtesten Christmas-Songs aus aller Welt. Neben zahlreichen traditionellen, vorwiegend europäischen Weisen – von «Adeste Fideles» bis «Zu Bethlehem geboren», von «Feliz Navidad» bis zu «Stille Nacht» – versammelte der Verlag auch eine Fülle englischsprachiger bzw. amerikanischer Christmas-Hits. Als Autor(inn)en fungieren hier so berühmte Song-Makers wie Mariah Carey, Boney M, John Lennon, Bryan Adams, Elvis Presley, Chris Rea oder Celine Dion, um nur wenige zu nennen, und Titel wie «Last Christmas», «Jingle Bell Rock», «Driving home for Christmas», «Happy X-mas (War is over)», «Sleigh ride», «Rudolph, the red-noised Reindeer», «Winter wonderland» oder «Let it snow» gehören auch hierzulande längst zum festen Weihnachtslieder-Kanon. Jeder Song beinhaltet neben den obligaten Akkord- und Tempo-Angaben auch die Strophentexte, er ist ausserdem in handlichem Format gedruckt und mit sehr praktikabler Spiralheftung versehen. Für Unterrichtszwecke hätte man sich noch die Fingersätze der einstimmigen Keyboard-Notationen gewünscht, aber insgesamt: Empfehlenswert. ■
Hit-Session: Keyboard Weihnachtslieder, 100 Weihnachtslieder, 140 Seiten, Bosworth Musikverlag, ISBN 978-3-86543-703-7
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Hans Sahl: «Der Mann, der sich selbst besuchte» – Erzählungen
Mit dem vierten Sahl-Band «Der Mann, der sich selbst besuchte» schließt der Luchterhand-Verlag seine sehr verdienstvolle Werkausgabe Hans Sahls ab. Das Buch, basierend auf dem bereits vor 25 Jahren in deutscher Sprache publizierten Band «Umsteigen nach Babylon», enthält sämtliche Erzählungen des Autors, darunter auch eine Reihe von bislang unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass, sowie seine bereits zu Sahls Lebzeiten bekanntgewordenen Glossen. Diese oft an entlegenen Stellen veröffentlichten Miniaturen in dieser Ausgabe wieder verfügbar zu machen ist ein besonderes Verdienst dieser jüngsten und letzten Sahl-Anthologie. Zurecht ist der Verlag stolz darauf, mit dieser Edition das erzählerische Werk Sahls in seiner Gesamtheit neu erschlossen zu haben – und damit das Werk «eines großen Autors», der in die Emigration getrieben wurde, und der «doch auch in der Ferne nichts von seinem Witz und seiner moralischen Feinfühligkeit verlor». Für literarisch besonders Interessierte und für jeden Freund hochstehender Kurzprosa unbedingt ein Favorit für das Buchgeschenk unterm Weihnachtsbaum! ■
Hans Sahl: Der Mann, der sich selbst besuchte, Erzählungen und Glossen, 416 Seiten, Luchterhand Verlag, ISBN 978-3-630-87293-3
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Sarah Lark: «Die Insel der roten Mangroven» – Roman
Auf Jamaika schreibt man das Jahr 1753: Deirdre, die Tochter der Engländerin Nora Fortnam und des Sklaven Akwasi lebt behütet auf einer Plantage. Bis sie den jungen Arzt Victor Dufresne kennenlernt und heiratet. Gmeinsam schifft man sich ein nach Saint-Domingue auf der Insel Hispaniola – um sich dort plötzlich dramatischen Verwicklungen ausgesetzt zu sehen.
Sarah Lark – Pseudonym einer deutschen Bestseller-Autorin – legt hier den zweiten Band ihrer erfolgreichen Karibik-Saga vor – und bedient sich bei fast allen publikumswirksamen Ingredienzien des Genres: Historisch bewegter Hintergrund, exotischer Schauplatz, grandiose Heldenhaftigkeit, und selbstverständlich ein sattes Maß an Herz-Schmerz. Für Kenner und Geniesser des sog. Historischen Romanes sind die «Mangroven» kein Muss, doch für Lark-Fans sicher ein neuer Höhepunkt des Lesespaßes. ■
Sarah Lark: Die Insel der roten Mangroven, Roman, 668 Seiten, Lübbe Verlag, ISBN 978-3-7857-2460-6
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Weitere Rezensionen im Glarean Magazin
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Hans Sahl: «Die Gedichte»
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«…was sonst jeder Beschreibung spottet»
Walter Eigenmann
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Ein Mann, den manche für weise
hielten, erklärte, nach Auschwitz
wäre kein Gedicht mehr möglich.
Der weise Mann scheint
keine hohe Meinung
von Gedichten gehabt zu haben –
als wären es Seelentröster
für empfindsame Buchhalter
oder bemalte Butzenscheiben,
durch die man die Welt sieht.
Wir glauben, dass Gedichte
überhaupt erst jetzt wieder möglich
geworden sind, insofern nämlich als
nur im Gedicht sich sagen lässt,
was sonst
jeder Beschreibung spottet.
Hans Sahl, der Autor dieses Gedichtes «Memo», schrieb so in seinem zweiten zu Lebzeiten eigenhändig redigierten Lyrik-Band «Wir sind die Letzten» (1933-1975). Und die Zeilen fokussieren programmatisch, was mit Sahl einer der fruchtbarsten und zugleich am wenigsten bekannten Exil- und Nachkriegs-Lyriker deutscher Sprache zu sagen hatte. Sein lyrisches Schaffen legt nun der Luchterhand Verlag in einer Gesamtausgabe «Die Gedichte» vor – und dokumentiert damit erstmals vollständig eine Lyriker-Stimme von hoher Intensität und Authentizität.
Es scheint, als wäre diesem Schriftsteller, Übersetzer, Theaterkritiker und Kulturkorrespondent einfach alles zu Lyrik geronnen, was an Biographischem zugestoßen ist – Poesie als lebenslängliche Konstante.
Schon 1926 schreibt der 24-Jährige:
Ich wäre gern in einer Zeit geboren
Mit Blumenmustern, bunt gestickten Decken
Gedämpftem Saitenspiel von Schlossemporen
Und Schäferspielen hinter Taxushecken.
[…]
Doch weil ich nun in diese Zeit verschlagen,
will ich sie auch mit Anstand für mich brauchen
und seine Meinung zu den Dingen sagen
und zu ihr stehn und meine Pfeife rauchen.
Dann Jahre später, 1943 in New York, als Geflüchteter:
Ja, ich bin allein, und ich weiß es
Viele sind wie ich, aber es kümmert sie nicht
und sie zeugen Kinder nach altem Brauch
sitzen in eisgekühlten Palästen
gehen umher und tragen bunte Krawatten
wie das Gesetz es befahl
Ich aber bin gefangen im Stein
Schließlich 1973 der zurückgekehrte Mahnende:
Wir, die wir unsre Zeit vertrödelten
aus begreiflichen Gründen
sind zu Trödlern des Unbegreiflichen geworden
Unser Schicksal steht unter Denkmalschutz
Unser bester Kunde ist das
schlechte Gewissen der Nachwelt
Greift zu, bedient euch
Wir sind die Letzten
Fragt uns aus
Wir sind zuständig
Und endlich ganz zum Schluss, ungefähr ein Jahr vor seinem Tod:
Ich gehe langsam aus der Zeit heraus
in eine Zukunft jenseits aller Sterne
und was ich war und bin und immer bleiben werde
geht mit mir ohne Ungeduld und Eile
als wäre ich nie gewesen oder kaum.
Nein, Formalismus, Hermetik, abstrakte Ästhetik oder besondere Artistik ist dem Schaffen dieses zeitlebens moralisch wie politisch hochbeteiligten Bekenntnis-Lyrikers nicht zuzuordnen. Wohl aber bilderreichste, fast sinnlich greifbare Metaphorik – und immer seine Omnipräsenz der Aufrichtigkeit und der Unbestechlichkeit:
Gib dich zufrieden mit dem
was du noch hast
deinen Mund, deine Gebeine
freue dich darüber
weine.
Zähle nicht bis drei.
Eins genügt.
Vielleicht auch zwei
Bei drei wird’s schon wer
bei drei gibt’s dich nimmermehr.
Da fressen dich die Raben.
Amen.(aus «Dann», 1985)
Schicksal, Liebe, Nacht, Gott, Ich, Zeit, Herz, Lust, Tod – solche Jahrtausende alt-mächtigen Wörter auch am Ende des katastrophalen 20. Jahrhunderts noch mitten in den Lauf der eigenen und aller Dinge zu stellen scheute sich Sahl nie; er wusste um ihre Wirkung aus dem Munde eines Dichters, der sie hautnaher als die meisten zu spüren bekommen hatte:
De Profundis
Ich bin der Zeit und ihrem Reim entfremdet,
Es hat die Zeit mir meinen Reim entwendet.Wo Welten stürzen, Völker sich vernichten,
Kann sich das Wort zum Reim nicht mehr verdichten.Wer wagt es noch, das Grauen zu besingen,
Dem Ungereimten Reime zu entringen,Wer, der noch Worte hat, im Wort zu wildern,
Den Knochenfraß der Sprache zu bebildernUnd leichten Sinn’s, wo alle Worte fehlen,
Den Totentanz nach Silben abzuzählen?Ich bin dem Reim in dieser Zeit entfremdet,
Es hat die Zeit mir meinen Reim entwendet.Schwer ist mein Mund, und meine Lippen finden
Die Kraft nicht mehr, die Sätze zu verbinden.Hier liege ich, verworfen von Epochen,
Es ist das letzte Wort noch nicht gesprochen,Es ist der letzte Reim noch nicht gefunden
Auf diesen Jammer und auf diese Wunden.Der tiefste Schrei, den je ein Mensch vernommen,
Er wird von uns, aus unserem Schweigen kommen.
Der 31-jährige Sahl muss, als Sohn eines jüdischen Industriellen in Dresden geboren, vor der Hitlerei fliehen – auf einem Fluchtweg, den so mancher Emigrant vor ihm schon gegangen war: Frankreich, Portugal, dann an die amerikanische Ostküste, nach New York. Hier entstehen – und werden gar gedruckt! – seine «Hellen Nächte», der Lyrik-Erstling. Er erscheint allerdings erst 1942, aufgrund des überzeugten Verlegers Barthold Fles – da ist Autor Sahl (bis anhin «nur» Kulturkorrespondent, Feuilletonist und Kurzprosaist) bereits ein 40-jähriger, doch nahezu unbekannter Literat. Ungeachtet der misslichen Situation der Publikationsmöglichkeit für Lyrik in Amerika schreibt und schreibt Sahl jedoch weiter, einfach für die Schublade, Gedicht an Gedicht, zum Beispiel:
Selbstportrait
Was bleiben wird von mir? Nur Dunkelheiten,
Und ein Gesicht, das manchmal schüchtern lachte
Und sich Gedanken über dies und jenes machte
Und in den Abend sah und zu gewissen ZeitenSich über fremde Züge liebend neigte
Und Worte sagte, die man ihm nicht glaubte,
Und nichts verstand und manchmal sich erlaubte
Ein Mensch zu sein und keine Reue zeigte.Was bleiben wird? Nur dies. Ein Unterfangen,
Zu groß begonnen und dann abgebrochen,
Ein Wort, verwundert in die Nacht gesprochen
Und mit den andern in die Nacht gegangen.
Gleichzeitig ist der Dichter Sahl ein bedeutender Übersetzer, widmet sich vielbeachtet insbesondere den Amerikanern Maxwell Anderson, Arthur Miller, Thornton Wilder und Tennessee Williams. Schließlich geht er 1953 nach Deutschland zurück – wo der Sozialist Sahl im rechtskonservativen Adenauer-Klima, aber auch wegen Zerwürfnissen mit linksideologisch Bornierten zu einer literarischen Unperson wird, von der das kulturelle Europa keinerlei Notiz nimmt. Sahl ist abermals Emigrant, diesmal im eigenen Land. Wie hatte er damals in «Marseille III» geklagt?
Warum bin ich nicht längst schon ausgezogen
Aus diesem Loch, wo mich die Würmer fressen
Und tote Seelen umgehn im Gemäuer?
Fern über dem Atlantik ziehn Gewitter,
Es kam schon lange nichts mehr mit dem Clipper,
Man gibt mich auf, bald bin dich ganz vergessen
Und will nichts mehr und streck’ mich nach der Decke
In dem Hottel, in dem ich hier verrecke.
Erneut flieht Sahl, diesmal nicht ums Leben bangend, sondern enttäuscht über die Ignoranz des Literaturbetriebes der frühen 50-er Jahre links wie rechts, geht 1953 zum zweiten Mal in die USA, wo Gedichte entstehen wie:
Schlaflos in New York
Hörst du
sehr fern in der Nacht
die apokalyptischen Rosse
den Schlaflosen wecken?
Kamen sie,
um ihn zu erschrecken
mit dem Gedröhn
ihrer Propeller?
Siehe,
es wird schon heller
hinter dem Fenster,
aber unter dem Bett
schläft noch immer
das Dunkel,
schläft die Nacht
mit offenen Augen.
Und wartet
auf dich.
1989 kehrt schließlich der in jeder Beziehung ewige Exilant endgültig in sein Geburtsland zurück, wo er inzwischen erkannt und bekannt wurde. Doch der Ton des nun 87-jährigen Dichters ist bitter und mischt sich mit Angriffslust. «Zu spät», antwortet der Zurückgekehrte auf die Bemerkung, dass mittlerweile doch eine Wiederentdeckung des Vergessenen stattgefunden habe – und in seinen Zeilen «Exil» heißt es:
Es ist so gar nichts mehr dazu zu sagen.
Der Staub verweht.
Ich habe meinen Kragen hochgeschlagen.
Es ist schon spät.Die Winde kreischt. Sie haben ihn begraben.
Es ist so gar nichts mehr dazu zu sagen.
Zu spät.
Das kulturoffizielle Deutschland ehrt zu schlechter Letzt den Heimgekehrten mit verschiedenen Auszeichnungen, u.a. 1982 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz und in seinem Todesjahr mit dem Lessing-Preis des Freistaates Sachsen. Doch angekommen in einem allgemeinen literarischen Bewusstsein oder gar im Deutschunterricht ist er als einer der wichtigsten Lyriker der Nachkriegszeit noch immer nicht.
In dieser Situation leistet das nun vorliegende, umfassende lyrische Sahl-Kompendium wertvollste Mitarbeit. Der Band weist Hans Sahl aus als einen hochsensiblen Stenographen eines ganzen Jahrhunderts, als einen, der gezwungen war, künstlerisch mitzuschreiben bei all dem vielen, auch vielen Ungeheuerlichen, das in seine Zeit fiel. Bleibt zu hoffen, dass diese Edition der beiden Herausgeber Nils Kern und Klaus Siblewski eine – endlich – breite Sahl-Rehabilitation einläutet. ■
Hans Sahl, Die Gedichte, Luchterhand Verlag, 336 Seiten, ISBN 978-3-630-87288-9
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