Glarean Magazin

H.Sarkowicz & A.Mentzer: «Schriftsteller im Nationalsozialismus»

Posted in Buch-Rezension, Hans-Sarkowicz, Jan Neidhardt, Literatur, Literatur-Rezensionen, Rezensionen by Walter Eigenmann on 20. Juli 2011

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Kompakte und präzise Darstellung eines heiklen Themas

Jan Neidhardt

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Wer sich mit der deutschen Literatur zur Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt, wird wahrscheinlich zunächst an die Schriftsteller denken, die als Emigranten Deutschland verlassen haben – meist gezwungenermaßen, wie Bertolt Brecht oder die Mann-Brüder, um nur zwei bekannte Namen zu nennen. Andererseits gab es auch noch eine Menge Schriftsteller, die nicht unbedingt mit dem Naziregime konform gingen, trotzdem in Deutschland blieben und teilweise auch weiter veröffentlichten – Stichwort «Innere Emigration», landläufig zum Beispiel verbunden mit Namen wie Erich Kästner oder Ricarda Huch.

Um den weiten Bogen zum umschreiben, den das neue Lexikon «Schriftsteller im Nationalsozialismus» der beiden Autoren Hans Sarkowicz und Alf Metzner  spannt, muss man zur Literatur jener Zeit die damals mengenmäßig weit überwiegenden systemkonformen Literaten mit hinzuzählen. Ein Bereich, dem sich die Literaturwissenschaft v.a. auch im populären Bereich eher ungern widmet. Schriftsteller wie Hans Grimm, Will Vesper oder Heinrich Anacker stehen in der Schmuddelecke jener Blut-und-Boden-Literatur, die heutzutage höchstens noch zeitgeschichtlich von Interesse sein kann.
Das Lexikon widmet sich in einer Gesamtschau einer Übersicht zu vielen der Autoren, die in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus erscheinen durften. Literaturgeschichtlich ist die Zeit sehr spannend und erstaunlich vielschichtig, das wird bei der Lektüre des Lexikons schnell klar. Es sei noch einmal betont: Nicht alles, was zwischen 1933 und 45 in Deutschland in Druck ging, war Nazi-Literatur. Teilweise durften selbst jüdische Autoren bis 1938 (natürlich unter erheblichen Schwierigkeiten) weiterhin veröffentlichen. Autoren der Nachkriegszeit haben damals ihre ersten Schreibversuche gemacht, zum Beispiel Marie Luise Kaschnitz, Wolfgang Koeppen, Max Frisch.

Hans Sarkowicz

Sarkowcz und Mentzer, die sich in ihrem Band mit einem sehr breiten Spektrum an Literatur beschäftigen, fällen keine Pauschalurteile, sondern stellen in alphabetischer Reihenfolge Gegner des NS-Regimes und berüchtigte Nazi-Literaten nebeneinander. Über diese Art der Zusammenstellung von 155 so unterschiedlichen Biographien lässt sich sicher streiten. Aber ich finde die Idee gelungen, wenn man etwas über die Lebensumstände jener Zeit nicht nur unter schriftstellerischen Gesichtspunkten erfahren möchte.
Nebeneinandergestellt ohne Wertung zeigen sich oft Parallelen in den Entwicklungen, die geschichtlich bestimmt sind. Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und die darauf folgende Phase der Weimarer Republik spielen fast immer eine Rolle, andererseits die persönlich Suche nach einer Sinngebung, die sich im künstlerisch-literarischen Schaffen niederschlägt. Spannend ist es, anhand dieses Buches besonders die gefeierten Nazidichter einmal näher unter die Lupe zu nehmen. Viele von ihnen, so zeigt sich, waren Konjunkturritter, die literarisch sonst kaum eine Chance gehabt hätten, größere Aufmerksamkeit zu erzielen. An ihrem Beispiel wird aber auch das Kompetenzgerangel im kulturellen Sektor des sog. Dritten Reiches deutlich, ebenso die Tatsache, das ein gefeierter Schriftsteller schnell unter die Räder kommen konnte, wenn er es sich mit einer der verschiedenen Schaltstellen der Macht verscherzt hatte.

«Schriftsteller im Nationalsozialismus» von Sarkowicz & Mentzer ist ein interessantes Projekt, indem es die Schriftsteller aus der Zeit des Nationalsozialismus in einem biographisch orientierten Lexikon verzeichnet. Gut geeignet für alle, die sich eine Übersicht verschaffen möchten, und für alle, die auch nach weiterführenden Informationen zu bestimmten Personen suchen.

Einen weiteren Punkt zeigt das Lexikon sehr gut auf, nämlich dass die Wirkung der Literatur jener Zeit nicht Punkt 1945 schlagartig aufhörte, sondern dass die Denkweise, die hier angestoßen wurde, weiter wirkte. Mehr noch, nicht nur die vermittelten Denkweisen wirkten weiter, auch Schriftsteller dieser Zeit waren «danach» weiter im Geschäft, wie zum Beispiel Hans Baumann, der Erfinder des berüchtigten Liedes «Es klappern die morschen Knochen», der nach dem Krieg als «Geläuterter» zahlreiche (und teils bis heute beliebte) Kinderbücher schrieb. Und schließlich blieben auch viele Bücher, die in jener Zeit verfasst wurden, auch besonders die vermeintlich unpolitischen, weiterhin erfolgreich, wurden teils in entschärften Versionen noch Jahre lang neu aufgelegt. Ein Thema also, dem man sich in seiner Komplexität sehr lange widmen kann.

Den Autoren ist hier ein wirkliches Kunststück gelungen: die Literatur von 1933 bis 1945 kompakt und präzise darzustellen. Der lexikalische Hauptteil enthält 155 Biographien, durchaus auch erzählerisch ausgestaltet und nicht bloße Aneinanderreihung von Eckdaten. Es gibt ein Werkverzeichnis (meist in Auswahl) und Hinweise zur Sekundärliteratur. Das Lexikon ist natürlich als Nachschlagewerk gedacht und auch geeignet, andererseits passt es auch hervorragend zum Querlesen und Schmökern. Viele Namen mit unglaublich spannendem und dabei zeittypischem Lebenslauf sagen uns heute nichts mehr, sind aber wichtig für das literarische Gesamtbild jener Zeit. Gewiss, bei 155 Autoren bleibt letztlich die Auswahl eine subjektive, das stellen Sarkowicz und Metzner auch gar nicht in Abrede. – Herausgekommen ist ein Buch, das man sicher schon als Standardwerk bezeichnen kann, das sich aber auch für jeden Literatur- und zeitgeschichtlich Interessierten abseits des wissenschaftlichen Kontextes eignet. ▀

Hans Sarkowicz, Alf Metzner: Schriftsteller im Nationalsozialismus – Ein Lexikon, Erweiterte Neuauflage, Insel Verlag, 676 Seiten, ISBN 978-3-458-17504-9

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