Glarean Magazin

Zitate der Woche

Posted in Herbert Marcuse, Ludwig Wittgenstein, Philosophie, Sprache, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 28. April 2008

.

Vom Sprechen im Alltag

Ludwig Wittgenstein vs Herbert Marcuse

Ludwig Wittgenstein«435. Wenn man fragt ‘Wie macht der Satz das, dass er darstellt?’ — so könnte die Antwort sein: ‘Weißt du es denn nicht? Du siehst es doch, wenn du ihn benützt.’ Es ist ja nichts verborgen.
Wie macht der Satz das? — Weißt du es denn nicht? Es ist ja nichts versteckt.
Aber auf die Antwort ‘Du weißt ja, wie es der Satz macht, es ist ja nichts verborgen’ möchte man erwidern: ‘Ja, aber es fließt alles so rasch vorüber, und ich möchte es gleichsam breiter auseinander gelegt sehen.’
436. Hier ist es leicht, in jene Sackgasse des Philosophierens zu geraten, wo man glaubt, die Schwierigkeit der Aufgabe liege darin, dass schwer erhaschbare Erscheinungen, die schnell entschlüpfende gegenwärtige Erfahrung oder dergleichen, von uns beschrieben werden sollen. Wo die gewöhnliche Sprache uns zu roh erscheint, und es scheint, als hätten wir es nicht mit den Phänomenen zu tun, von denen der Alltag redet, sondern ‘mit den leicht entschwindenden, die mit ihrem Auftauchen und Vergehen jene ersteren annähernd erzeugen’. (Augustinus: Manifestissima et usitatissima sunt, et eadem rursus nimis latent, et nova est inventio eorum.)»

(Aus Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen I, Suhrkamp Verlag 1971)

Herbert Marcuse«Wittgensteins endloses Sprachspiel mit Bausteinen oder Herr Schulze und Herr Müller, die sich unterhalten, können als Beispiele dienen. Trotz der einfachen Klarheit des Beispiels bleiben die Sprecher und ihre Situation unbestimmt. Sie sind X und Y, wie vertraut sie auch miteinander plaudern. Im wirklichen Universum der Sprache aber sind X und Y ‘Geister’. Sie existieren nicht; sie sind das Produkt des analytischen Philosophen. Natürlich ist das Gespräch von X und Y völlig verständlich, und der Sprachanalytiker appelliert mit Recht an das normale Verständnis gewöhnlicher Menschen. Aber in Wirklichkeit verstehen wir einander nur durch ganze Bereiche des Mißverständnisses und Widerspruchs hindurch. Das wirkliche Universum der Alltagssprache ist das des Kampfes ums Dasein.»

(Aus Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch, Luchterhand Verlag 1967)

Folgen

Erhalte jeden neuen Beitrag in deinen Posteingang.

Schließe dich 102 Followern an