Glarean Magazin

Heute vor … Jahren

Posted in Events, Heute vor ... Jahren, Musik by Walter Eigenmann on 15. August 2009

.

Woodstock 1969: 3 Days of Peace & Music

.

Woodstock_PosterTrocken hält die allwissende Wikipedia fest: «Das Woodstock Music and Art Festival war ein Musikfestival, das als musikalischer Höhepunkt der US-amerikanischen Hippiebewegung gilt. Es fand offiziell vom 15. bis 17. August 1969 statt, endete jedoch erst am Morgen des 18. August. Der Veranstaltungsort war eine Farm in Bethel im US-amerikanischen Bundesstaat New York.»
Doch schon Tage später, und erst recht heute, exakt 40 Jahre danach, ist deutlich: Woodstock war kein Konzert. Woodstock ist ein Mythos.

.

.

.

.

.

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Essays & Aufsätze, Heute vor ... Jahren, Joseph Haydn, Musik, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 30. April 2008

.

«Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde»

Über Joseph Haydns Oratorium «Die Schöpfung»


Walter Eigenmann

.

Die Schöpfung - Zweisprachige Erstausgabe 1800Am Abend des 30. April 1798 wohnt ein illustrer, allerdings nur privat geladender Kreis von Adeligen und Musik-Freunden, von «Gönnern und Kennern», quasi das gehobene Tout-Wien im fürstlichen Palais des Joseph Schwarzenberg der ersten Aufführung eines Werkes bei, das zum Inbegriff der Nach-Händelschen Oratorien-Komposition schlechthin wird, und das zum noch heute populärsten Stück seines Komponisten avanciert: «Die Schöpfung» von Joseph Haydn.
Hell begeistert reportiert der damalige Wiener Korrespondent des «Neuen teutschen Merkur» seine Eindrücke von diesem Konzert, bei dem Haydn dirigiert und Salieri am Flügel sitzt, nach Weimar: «Schon sind drei Tage seit dem glücklichen Abende verflossen, und noch klingt es in meinen Ohren, in meinem Herzen, noch engt der Empfindungen Menge selbst bey der Erinnerung die Brust mir. […] Die Musik hat eine Kraft der Darstellung, welche alle Vorstellung übertrifft; man wird hingerissen, sieht der Elemente Sturm, sieht es Licht werden, die gefallenen Geister tief in den Abgrund sinken, zittert beym Rollen des Donners, stimmt mit in den Feyergesang der himmlischen Bewohner. Die Sonne steigt, der Vögel frohes Lob begrüsst die steigende; der Pflanzen Grün entkeimt dem Boden, es rieselt silbern der kühle Bach, und vom Meersgrund auf schäumender Woge wälzt sich Leviathan empor.»

Das Oratorium

Joseph Haydns «Die Schöpfung» (im Verbund mit seinem zweiten Oratorium «Die Jahreszeiten» / 1801) leitet eine Wende ein in der europäischen Oratorien-Geschichte bis zur frühen Wiener Klassik. Haydns weltweiter Erfolg begünstigte die Pflege des Oratoriums nun auch außerhalb des sakralen Raums, und der «Schöpfung» aufgeklärter Optimismus, ihr insgesamt unpathetischer, zwar tief-, aber nie trübsinniger Duktus und ihre theologisch mehr den Freuden denn den Leiden des Irdischen zugewandte, das «Positive» der Genesis betonende Grundhaltung – beispielsweise negieren Haydn und der Freimaurer Van Swieten den «Sündenfall» völlig! – spannt eine Entwicklungslinie über Mendelssohns «Elias» (1846) und Schumanns märchenhaftem Erlösungs-Mythos in «Paradies und Peri» (1843) bis zu Liszts «Legende von der heiligen Elisabeth» (1862) und deren ideeller Stoffnähe zu Wagners «Tannhäuser».
Auch in Frankreich bleibt das Oratorium (Drame sacré, Mystère) im 19. Jahrhundert populär: Berlioz mit «L’Enfant du Christ» (1854), aber auch Saint-Saens oder Franck schaffen nach wie vor weltweit aufgeführte interessante Stücke dieser Gattung mit einem großen Orchesterapparat und weiterentwickelter, «romantischer» Satz-Technik (beispielsweise Leitmotivik).
Ein Blick zurück in die Vor-«Schöpfungs»-Zeit sieht als frühestes Zeugnis oratorischen Komponierens die italienische «geistliche Oper» eines Cavalieri («Rappresentazione di anima e di corpo» / Rom 1600) mit Rezitativen, Chören und Tänzen die Gattung begründen. Zentrale Figur dieser «nicht-szenischen Oper» mit geistlicher Thematik ist der «Testo», welcher in Rezitativen (Tenor mit Generalbass) den Text bzw. die Handlung für die verschiedenen Musik-Nummern vorträgt, und dessen Stoffe direkt aus den beiden Testamenten oder aus den Heiligen-Legenden stammen.
Die neugedichteten Partien fallen dann den Solisten oder dem Chor zu. Exemplarisch für diese Strukturierung sind im 17. Jahrhundert Carissimi («Oratorio latino») und dessen Nachfolger Stradella und Charpentier (in Frankreich). A. Scarlattis «Neapolitanische Schule führt dann – wieder nach Opern-Vorbild – das Secco- und Accompagnato-Rezitativ sowie die Da-Capo-Arie ins Oratorium ein; Höhepunkt dieser Entwicklung ist Georg Friedrich Händel mit seinen Oratorien «Esther», «Messias», «Judas Maccabäus» u.a. Johann S. Bachs Weihnachts-Oratorium schließlich geht aus der Schütz-Tradition und dessen oratorienartigen «Historien» hervor.

Lukas Cranach d.Ä - Adam und Eva

Das 20. Jahrhundert sieht weder in stilistischer noch in formaler oder besetzungstechnischer Hinsicht eine Neu-Orientierung der Oratorien-Komposition. (Die Bezeichnung «Oratorium» ist übrigens abgeleitet vom frühen «Oratorio», dem Bet-Saal, wo Bibel-Lesungen und sonstige andächtige Betrachtungen – mit geistlichen Liedern, sog. «Lauden» – veranstaltet wurden.) Als großartige, teils gar szenisch aufführbare oratorische Werke wären für diesen Zeitraum mindestens Honeggers «Le roi David», Strawinskys «Oedipus rex» oder Schönbergs «Die Jakobsleiter» anzumerken. (W.E.)

Joseph HaydnDer «Empfindungen Menge» des emphatischen Schreibers bei dem neuesten Opus des inzwischen als Symphoniker und Kammermusik-Genie berühmten, vor kurzem von zwei England-Reisen endgültig nach Wien zurückgekehrten Komponisten wird von all jenen geteilt, die am 7. und 10. Mai 1798 die (erneut privaten) Wiederholungen des Konzertes hören. Knapp ein Jahr später, am 19. März 1799, löst die erste öffentliche Aufführung im Hof-Theater (mit einem Riesenapparat von über 180 Musikern, ganz nach Händels monumentalem Vorbild in der Westminster Abbey) genau dieselbe ungeheure Faszination aus – «Die Schöpfung» geht endgültig auf ihren Siegeszug durch alle Kirchen und Konzertsäle der Welt.
Wesentlichen Anteil nicht am Erfolg, aber am Entstehen des Oratoriums hat der niederländisch gebürtige Musik-Mäzen, einflussreiche Österreich-Diplomat, wohlhabende Konzert-Veranstalter, erfolglose Komponist und schließliche Präfekt der Kaiserlichen Hof-Bibliothek, Baron Gottfried van Swieten. Dieser umtriebige Aristokrat, dem alle drei Wiener Klassiker regelmäßig finanzielle Zuwendungen, Subskriptionen, Kompositions-Aufträge und Auftritts-Möglichkeiten verdanken, gründet Ende der 1780er Jahre mit einer Reihe von Adligen – darunter die Grafen bzw. Fürsten Esterhazy, Liechtenstein, Lobkowitz, Kinsky, Auersperg, Lichnowsky, Trauttmannsdorff, Sinzendorf und Schwarzenberg – seine musikalische (auch Freimaurer-)«Gesellschaft der Associierten», welche jährlich mehrere ihrer sog. «Akademien» veranstaltet und dabei Werk um Werk (von Bach bis Beethoven) aus der Taufe hebt. Für Haydn übersetzt Van Swieten – Librettist und musikalischer Idee-Lieferant zugleich – den ursprünglich englischen Oratorien-Libretto-Text eines (im übrigen nicht näher bekannten) Lidley – dessen Quellen seinerseits das Buch Genesis, die Psalmen sowie John Miltons Epos «Paradise Lost» bilden – ins Deutsche. Die Schöpfung der TiereDas Libretto folgt in seinen beiden ersten Teilen dem biblischen Schöpfungsbericht über die Erschaffung von Himmel und Erde, Wasser und Land, Pflanzen und Gestirnen sowie der Erschaffung von Tier und Mensch, wobei die drei Erzengel die traditionelle Erzähler-Rolle des «Historicus» innehaben. Miltons Dichtung grundiert bei Haydn dann den dritten, «paradiesisch-idyllischen» Teil als Zitaten-Sammlung.
Während rein Rahmen-formal die schon bei Händel zu standardisierter Ausprägung geführte, bei Händel auch szenisch-dramaturgisch durchkomponierte gattungsspezifische Abfolge von Soli-, Chor- und Orchester-Passagen beibehalten wird, geraten Haydn die stilistischen, harmonischen, melodischen und satz- wie orchestertechnischen Aspekte dieses seines berühmtesten Alters-Werkes zur musikgeschichtlich bisher beispiellosen Höchstleistung. Haydns naiv-volkstümliche Frömmigkeit (in notabene vernunftbetonter «Aufklärungs»-Zeit) kontrastiert hier mit einer kompositorischen Raffinesse und einer Ausdrucksweite wie -tiefe, die weit über die «geordnete Klarheit» der Klassik hinaus in die tonmalerische «Programm-Musik» der Spätromantik weisen. Auf die zahllosen berühmtgewordenen Passagen dieser Partitur – vom «Chaos»-Urnebel der Ouvertüre bis zum grandios überhöhenden «Amen»-Schlusschor, vom C-Dur-«Licht» bis zum «Löwengebrüll» des tiefen Kontrafagotts, von den «Pastoral-»Oboen über das «Donnergrollen» im Blech bis hin zum Mücken-Schwirren in Streicher-Tremoli – sei hier nicht eingegangen, sondern die kompositorische Innovation nur anhand des Aspektes «Dynamik» gestreift, denn letztere erfährt in Haydns «Schöpfung» eine bedeutsame Entwicklung. Zwar hatte sich nämlich schon im Frühbarock (z.B. bei Locke) die dynamische Differenzierung des Einzeltones angebahnt, und in der Folge kennt Händel den Schwellmechanismus der Orgel, Rameau verwendet bereits graphische Zeichen fürs An- bzw. Abschwellen, und Stamitz’ «Mannheimer Schule» wurde u.a. bekannt durch ihr Orchester-Crescendo. Haydns «Schöpfungs»-Dynamik nun, jetzt bis in alle Einzelheiten ausgefeilt, führt einen Effekt in die Kirchenmusik ein, den ihm viele später nachmachen: Die überwältigende Wirkung des «Subito-piano» nach dem Forte bzw. Crescendieren. Beispielsweise im Chor (mit Terzett) «Der Herr ist groß» mit der zweimaligen dynamischen «Rückung» bei der Stelle «…und ewig bleibt sein Ruhm».

Notenbeispiel: Fugativer Chor-Satz (Engl. Fassung von «Die Himmel rühmen…»

Neben der höchst differenzierten Orchestertechnik, aber auch dem Haydn-typisch «eingänglichen», in der Stimmführung gleichwohl sehr emotionalen, fast «malenden» Arien-Melos der «Schöpfung» ist natürlich die spezielle Behandlung des mehrfach eingesetzten (Massen-)Chores in diesem Oratorium ein weiterer Grund für seine so erfolgreiche Rezeptions-Geschichte. Wiederum sei diesbezüglich nur ein Bereich sondiert, nämlich die Kontrapunktik – und abschließend der «frühromantische» Mendelssohn-Lehrer, Goethe-Vertoner, Orchester-Dirigent, «Liedertafel-»Gründer und Haydn-Zeitgenosse Carl F. Zelter (1756-1832) zitiert: «Die Arbeit an diesen Chören ist fast überall fugenartig. Die Themata sind faßlich, und die Kontrasubjekte und Reperkussionen treten frei und natürlich einher. Nirgends Dunkelheit oder Verwirrung, und selbst die Augmentationen sind klar und stark, obgleich nirgends streng. Der Ausdruck der Worte ist wahrer und kühner als in den Arien und Rezitativen, und die Instrumentalmusik über alle Beschreibung vortrefflich durch das Ganze gewirkt […] Baron Gottfried van SwietenWenn aber junge, arbeitslustige Harmonisten an allen fugierten Chören dieses Oratoriums eine gewisse Leichtigkeit, Schlüpfrigkeit oder übermütige Freiheit nicht verkennen mögen; wenn sie bemerken müssen, daß in diesem großen Werke keine einzige strikte Fuge vorhanden ist: so mögen sie sich des ungeachtet gesagt sein lassen, daß, so leicht und so voll und fließend zu arbeiten nur dem möglich ist, der eine strikte Fuge mit allen ihren Attributen aufzustellen weiß. Solche Beispiele großer Meister sind für junge Künstler so verführerisch, daß sie die Kunst, fugenartig arbeiten zu lernen, wozu, bei dem entschiedensten Talente, ein anhal­tender, jahrelanger Fleiß erfordert wird, gar zu gerne für eine leidige Schulfuchserei halten mögen. Es bedarf keines außerordentlichen Grades von Talent und Kunst, ein Stück hervorzubringen, in welchem man in eine Partitur von vielen Notensystemen ein Ding hineinpaßt, das Ungeübte um so eher für eine Fuge halten, je weniger es ihnen natürlich und gefällig scheint. Allein die Kunst, mit einem musikalischen Gedanken umzugehen, solchen auf eine interessante Art zu evolvieren und jede Stimme sprechen zu lassen, daß sie ein bedeutender Teil des Ganzen bleibe und das Ganze etwas Schönes sei, dazu gehört eine Übung im Fugensatze, die viel zu lange ist vernachlässigt worden; und zu Haydns unvergeßlichen Verdiensten gehört demnach auch dieses, daß seine trefflichen Kompositionen, ihr Feuer, ihre Wahrheit und Würze, großenteils dem schönen Gebrauche der Kontrapunkte und seiner Art zu fugieren zu danken haben; und Er, der mit seinem Genie und seiner ewig frischen Gedankenfülle alle seine Zeitgenossen hinter sich läßt, schämt sich nicht, seine Werke mit kontrapunktischen Schönheiten auszuschmücken, wodurch sie allen Veränderungen und Schicksalen der Zeit und Mode zum Trotz unsterblich bleiben werden, so lange die Musik eine Kunst heißt.»

MP3-Hörbeispiele

.

.

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Essays & Aufsätze, Heute vor ... Jahren, Jean Genet, Literatur, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 17. April 2008

.

Ungeheure Träume träumender Ungeheuer

Über «Die Zofen» von Jean Genet

Walter Eigenmann

.

Am 17. April 1947 hat das Pariser Théatre de l’Athéne auf seinem Spielplan die Uraufführung eines Stückes, dessen Autor im Säuglingsalter von seiner Mutter, einer Prostituierten, der Fürsorge übergeben wird, und der schon in seiner Jugendzeit als Strichjunge, vagabundierender Dieb, Schwulen-Zuhälter und schließlich als mehrjähriger Sträfling jenes Verworfenen-Leben lebt, das später zur zentralen Staffage, ja zur zelebrierten Unter- und Gegen-Welt des totalen Werte-Negierens in fast allen seinen Romanen und Stücken erhoben wird. Die Rede ist von dem französischen Schriftsteller, Dramatiker und Poeten Jean Genet (1910-1986) – und von seinem absurd-grotesken Prosa-Einakter «Die Zofen» (Les Bonnes).
Die Zofen, das sind die Schwestern Claire und Solange, welche dienend gleichsam zum lebenden Mobiliar in der reichen Salon-Welt einer «gnädigen Frau» erniedrigt sind, die aber, ist die Herrschaft aus dem Haus, zu eigenem Spiel und Traum umsiedeln, um dort ihren Herrschafts-Trieben, ihren Vergeltungs-Sehnsüchten, ihrer gegenseitigen Hass-Liebe und ihrem Vernichtungsrausch zu frönen.

Der Mord als Katharsis

Jean-Genet-Glarean-Magazin

Jean Genet im Herbst 1982

Ihr Mord-Plan, die Herrin zu vergiften, nachdem sie deren Geliebten bereits anonym denunziert und (wie sie meinen) für immer ins Gefängnis gebracht haben, ist der erste Schritt zur eigenen Erlösung, die das soziale Gefüge neutralisieren und die beiden Zofen selber im phantastmagorischen Rollen-Spiel als Dienerin und als Herrin installieren soll. Claire (als neue Herrin) und Solange verstricken sich qualvoll leidend und lüstern genießend zugleich in ihre grausam-lustvolle Traum-Flucht hin zur selbstgewählten Knechtschaft, die sie befreien soll. Der Zofen genüsslich-morbide Spiel-Lust an der Unterwerfung wie der Unterdrückung macht sie zu «Ungeheuern – wie wir selber, wenn wir dieses oder jenes träumen» (Genet). Als die psychologisch konsequent vorangetriebene Apotheose dieser Liebe-Hass- und Herrschaft-Unterwerfung-Ambivalenz naht, kippt die erst gespielt-virtuelle Identitäts-Flucht der beiden Zofen in die tragische Realität: Herrin ist nun Claire, und diese trinkt das für die «Gnädige» bestimmt Gift, «während Solange unbeweglich mit dem Gesicht zum Publikum steht, die Hände überkreuzt, als ob sie Handschellen trüge».
Der «Komödiant und Märtyrer Saint Genet», wie Sartre in seinem gleichnamigen umfangreichen Essay diesen sowohl biographisch wie literarisch solitären Skandal-Autoren nennt, interpretiert selber «Die Zofen» weder als Sozialkritiker noch als Psychologe oder gar Moralist, sondern als Poet: «Ich versuchte, eine Distanzierung zu erreichen, die gleichzeitig einen deklamatorischen Ton zulassen und es ermöglichen sollte, das Theatralische ins Theater zu bringen. Ich hoffte, dadurch die Charaktere abzuschaffen… und sie durch Symbole ersetzen zu können, die so weit wie möglich von dem entfernt sein sollten, was sie eigentlich verkörperten, und doch wieder eng damit verknüpft, um als einziges Bindemittel zwischen Autor und Publikum dienen zu können. Kurz, ich wollte erreichen, dass die Figuren auf der Bühne nur noch Metaphern dessen waren, was sie darstellen sollten.» Die selbstimaginierte Hass- und Ekel-Eskalation der Zofen wird so zur Zelebrierung eines Rituals, welches das Verbrechen als reinigende Kult-Handlung zentriert: Der Mord als Katharsis.
Auf die (im biographischen Kontext durchaus naheliegende) Frage, warum er nie einen Mord verübt habe, entgegnete einmal der homosexuelle Kriminelle und ewige Flüchtling Genet entwaffnend: «Wahrscheinlich, weil ich meine Bücher geschrieben habe». Und die Kompromisslosigkeit, mit welcher dieser Autor – dessen Leben sich vor einem bürgerlichen Blick wie ein einziger tragischer Witz ausbreitet – die überhöhende wie krankhaft überhöhte Leidensfähigkeit seiner Protagonisten bis zur bitteren Neige auskostet, wird nur noch übertroffen durch die absurden, schier irrealen Trivialitäten, welche all diese Düsternis und dieses Scheitern in Genets teils perversen, teils ins Religiös-Heilige gesteigerten Welt(en) auszulösen vermögen. Dass sich der Existenzialist Sartre und der frühe Cocteau sowie in der Folge solche namhaften Underground- und Beat-Schriftsteller wie Allen Ginsberg, William Burroughs, Jack Kerouac oder Gregory Corso bis zu Charles Bukowski auf Jean Genet als einen ihrer literarischen Animateure berufen, ist also keineswegs zufällig.

Die zwei Schwestern

Die Inspiration für seinen «Zofen»-Handlungsrahmen holte sich Genet bei einem wahren Mordfall im französischen Städtchen Mans, wo die beiden Geschwister Christine (28) und Léa Papin (21) schon lange in einem bürgerlichen, äußert streng geführten Haushalt in der Provinzstadt Mans als Dienst-Mädchen angestellt waren. Wie sich die Tragödie abspielte, schildert Edmund White in seinem Buch «Jean Genet» (München 1993):
«Eines Tages versagte die Elektrizität im Haus. Da die Familie nicht da war, trugen die Dienstmädchen die Verantwortung. Als Mutter und Tochter nach Hause kamen, beschimpften sie die Schwestern, die in einem Wutanfall Mutter und Tochter die Augen auskratzten und sie töteten. Dann verstümmelten sie die Leichen und badeten die eine im Blut der anderen. Nach getaner Arbeit wuschen sie ihre Werkzeuge, nahmen ein Bad und legten sich im Bett zur Ruhe mit den Worten: ‘Da haben wir uns aber was geleistet!’
Die Schwestern waren immer unzertrennlich gewesen, selbst in ihren Ferien. Bei ihrem Prozess waren sie außerstande, ein Motiv für ihr Verbrechen zu nennen. Ihr einziges Interesse war, die Schande gemeinsam zu tragen. Nach fünf Monaten im Gefängnis, während derer sie von ihrer jüngeren Schwester getrennt war, brach Christine zusammen und versuchte, diesmal sich selbst die Augen auszukratzen. Als sie in eine Zwangsjacke gesteckt wurde, machte sie obszöne Verrenkungen, dann fiel sie in Schwermut.
Nachdem die beiden Mädchen zur Guillotine geführt wurden, sank Christine auf die Knie.»

Pakt mit dem Teufel

Von «NotreDame-des-fleurs» (1944) und seiner ständigen Konfrontation mit der Problematik des Tötens über «Le balcon» (1957) mit der zentralen Intention «Die Welt ist ein Bordell» bis hin zu der gigantomanen, theatralisch nicht mehr zu bewältigenden Totentanz-Opulenz der «Paravents» (1961) – Genet nannte diese seine «Wände» maßlos verniedlichend ein «Märchenspiel», ein «Fest, gewidmet den Lebenden wie den Toten» – durchzieht dabei das gesamte umfangreiche Genet-Oeuvre eine omnipräsente Spur der gewaltsamsten Obszönität und der obsessivsten Missachtung aller gesellschaftlich determinierten Moralität. Anders als etwa Henry Miller, dessen übersteigerte «literarische Sexualität» (zumindest anfänglich) banalste monetäre Ursachen hatte, ist Genet der wahrhaft Besessene, der Bilder-Junkie, der Apotheotiker auch der phallischen (präziser: homo-erotischen) Virilität, dem aller Unterleib zu Kopf steigt. Jean Genet, das ist ein einziger permanenter Tabu-Bruch, und das an Leib und Seele.
Zurecht ist in der Genet-Forschung auf die nicht nur thematische, sondern auch stilistische Parallelität Genets zur ebenfalls barock-opulenten Monströsität eines seiner «Vorgänger», nämlich des Marquis de Sade hingewiesen worden. Gleich wie bei jenem – und wieder anders als bei Miller – kommt die Prosa, kommen auch die Dramen Genets, bei all ihrer pervers-kriminellen Narration, seltsam reflektorisch daher, Dialoge und Schilderungen sind seitenweise versetzt mit quasi-philosophischen Exkursen – irritierende Reflexionen, welche die Symbolik einzelner Handlungsstränge selten erklären, meist vielmehr vorantreiben. In zwanghafter Fatalität breitet so fast jedes Genet-Werk je eine eigene wahrliche Ästhetik des Bösen aus – Der «Querelle»-Verfilmer Rainer Werner Fassbinder nennt das 1982 den «Pakt mit dem Teufel» -, die desillusionierende Analyse menschlichen Zusammenlebens wird zur buchstäblichen Sprach-Gewalt. In einem Geschwister-Dialog der «Zofen» wird das exemplarisch im Hinblick auf menschliche Bindungen formuliert: «Ich möchte dir helfen. Ich möchte dich trösten, aber ich weiß, ich ekle dich an. Ich stoße dich ab. Ich weiß es, weil du mich anekelst. Liebe in Knechtschaft ist keine Liebe.»
Zwar sind die «Zofen» in ihrer psychopathischen Individualsphäre ein Drei-Personen-Binnenstück, aber deren unentrinnbar verstrickender Identitäts-Zwiespalt, eines der großen Leit-Motive Genets, hat Genet selber hochtransponiert in seine eigene, post-literarische Lebens-Phase, da er sich vornehmlich als politischer Aktivist betätigte: Als Vietnamkrieg-Gegner, aber auch als RAF-Sympathisant; als Arafat-Freund im palästinenischen Freiheitskampf, aber auch – weltweit kritisiert – als «einfühlsamer» Versteher des «Dichters» Hitler, über den er (nur ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg!) schreibt: «Dichter, der er war, verstand er, sich des Bösen zu bedienen. Er zerstörte um der Zerstörung willen, er tötete, um zu töten.» Und: «Der Führer schickte seine schönsten Männer in den Tod. Das war die einzige Möglichkeit, die er hatte, um sie alle zu besitzen.»
Hier wird noch beim späten Genet ein zweites lebenslanges literarisches Motiv dieses Allegorien-Hymnikers auf den Punkt gebracht: Die Entindividualisierung der Protagonisten, die am Ende ihres Umwandlungsprozesses nur noch als existenzielle Nacktheiten vorhanden sind – als «Inszenierung ihrer äußerlichen Form», wie es die Genet-Analytikerin Michaela Wünsch einmal formulierte.

Wie fast alle seine Stücke wurde «Die Zofen» – der Dramen-Erstling Genets – vom schockierten zeitgenössischen Theater-Publikum nicht verstanden, sondern boykottiert, die Erstaufführung geriet zum Desaster, auch für den Regisseur Louis Jouvet. Noch war die Zeit 1947 nicht reif für einen Jean Genet – nicht für den Heiligen, und nicht für den Sünder. ■

.

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Heute vor ... Jahren, Islam, Literatur, Salman Rushdie, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 14. März 2008

.

Orient gegen Okzident? – Der Fall Salman Rushdie

Walter Eigenmann

.

die-satanischen-verse.jpgAm 14. März 1989 geht ein Schrei der Entrüstung und des Entsetzens durch die gesamte aufgeklärte Welt: Der Islam, fundamentalistisch personifiziert in dem Teheraner Imam Ruhollah Ibn Mustafa Musawi Khomeini, gibt den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie, einen der bedeutendsten Intellektuellen des Westens, buchstäblich zum Abschuss frei. Der Mullah Khomeini, seit seiner Rückkehr aus dem Pariser Exil (am 1. Februar 1979) Irans oberster religiöser wie politischer Führer und absolutistischer Theokrat mit faktisch uneingeschränkter Machtbefugnis, ruft in einer Fatwa die Moslems der ganzen Welt dazu auf, Rushdie zu ermorden. Denn dieser habe in seinem Buch «Die satanischen Verse» Blasphemie wider den Propheten Mohammed betrieben. Khomeini: «Ich ersuche alle tapferen Muslime, ihn, gleich wo sie ihn finden, schnell zu töten, damit nie wieder jemand wagt, die Heiligen des Islam zu beleidigen. Jeder, der bei dem Versuch, Rushdie umzubringen, selbst ums Leben kommt, ist, so Gott will, ein Märtyrer.» (Ulrich Encke: Ayatollah Khomeini 1989, Seite 172)
ayatollah-ruhollah-khomeini.jpgUm ihrem Mord-Aufruf Nachdruck zu verleihen, setzen der Ayatollah (rechts) und seine radikalen Theokraten eine Kopf-Prämie von drei Millionen US-Dollar aus. Das Blutgeld wird später sogar verdoppelt, die Fatwa nach dem Tode Khomeinis (am 3. Juni 1989) von den hohen Mullahs Chamenei und Rafsandjani ausdrücklich bekräftigt. Rushdie muss in den Untergrund abtauchen, vom britischen Geheimdienst unter Polizeischutz gestellt, er wechselt ständig den Wohnsitz, ununterbrochene Mord-Drohungen zwingen den Schriftsteller in die totale Isolation. Gleichzeitig sind verschiedene Rushdie-Verleger Repressalien und Anschlägen ausgesetzt, sein dänischer Verleger entgeht nur knapp einem Attentat, und dem fundamentalistischen Islam-Fanatismus fallen schließlich der italienische und der japanische Rushdie-Übersetzer zum Opfer, die in Mailand niedergestochen bzw. in Tokio ermordet werden. Zehn Jahre lang lebt der berühmte Autor der «Mitternachtskinder» (1981) und von «Scham und Schande» (1983) nun an streng geheimen Orten, 30 Mal wechselt er in dieser Zeit sein Versteck, und wo immer er sich (für kurze Augenblicke) zeigt, gilt die höchste Sicherheitsstufe – derweil ein Mann im britischen Fernsehen vor einem Millionen-Publikum öffentlich bekennt: «Ihn zu töten ist eine Ehre für mich, für jeden guten Moslem!».
salman-rushdie.jpgSalman Rushdie (links) findet sich indes mit diesem Leben nicht ab, er entschuldigt sich schon früh, erklärt gegenüber der Islamischen Glaubensgemeinschaft sein «Bedauern über die Besorgnis, die die Veröffentlichung aufrichtigen Anhängern des Islam bereitet hat». Und bald nach der Verhängung der Fatwa regt sich weltweiter Widerstand gegen das Todes-Urteil, Prominente und bekannte Politiker (darunter auch US-Präsident Clinton) setzen sich für ihn ein, ebenso einhellig die großen Schriftsteller- sowie andere starke Verbände.
Heute ist der bedeutende, von zahlreichen Institutionen geehrte Vertreter des «Magischen Realismus» wieder quasi auf freiem Fuß, und seine weltweit heiß «umkämpften» und darum höchst erfolgreich verkauften «Satanischen Verse» dürften ihn längst zum Millionär gemacht haben. Doch obwohl 1998 der eher liberale iranische Staatspräsident Chatami am Rande der UN-Vollversammlung erklärt, dass man den Fall Salman Rushdie offiziell als «völlig abgeschlossen» betrachte, und dass überhaupt die iranische Regierung nie Mörder für die Beseitigung des Dichters gedungen habe, ist der Fatwa-Mordruf gegen Rushdie bis zum heutigen Tage nicht offiziell zurückgenommen worden. Vor einigen Monaten wurde Rushdie von Königin Elisabeth II. zum Ritter geschlagen; Islamisten drohen inzwischen erneut mit Anschlägen…
Solcher hasserfüllten, totalitär-ideologischen, den humanistischen Kern des Korans negierenden, mittelalterlichen Barbarei hält der «realistische Phantast» und große Islam-Kenner, aber auch erklärte Freidenker Salman Rushdie entgegen: «Redefreiheit ist das Entscheidende, um sie dreht sich alles. Redefreiheit ist das Leben.» ■

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Daniel Auber, Heute vor ... Jahren, Musik, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 29. Februar 2008

.

«Die Stumme von Portici»:
Vom Duett zur Revolution

Walter Eigenmann

auber_autograph.jpgAm 29. Februar 1828 führt das berühmte Ensemble der altehrwürdigen Opéra National de Paris ein Musik-Theater-Werk erstmals auf, das gleich bei der Premiere stilbildende Musik- und zwei Jahre später gar politische Welt-Geschichte schreibt: «Die Stumme von Portici» («La Muette de Portici») von Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871).
Die Faszination des zeitgenössischen Publikums ob dieser ersten wirklichen «Grand Opéra» mit ihren vielhundert-köpfigen Massenszenen, mit ihrem melodisch und rhythmisch effektvoll auftrumpfenden, das französische Kolorit betonenden Orchesterapparat, mit ihrer alle damaligen Hilfsmittel ausschöpfenden Bühnen-Technik, ihren Lichter- und Bilder-Orgien, ihrer gewaltigen Kulissen-Staffage und mit ihrer schier «totalitär» wirkenden, ganz auf dekorative Dramatik zielenden Regie-Führung muss eine ungeheure gewesen sein.
Librettist des zweieinhalbstündigen Fünf-Akters und dessen tragischer Dreiecks-Liebesgeschichte um den Revolutionär Masaniello, das stumme Fischermädchen Fenella und den Militär-Prinzen Alfonso ist Eugéne Scribe, der bis dato keine historischen, sondern ausschließlich komische Opern-Texte (u.a. auch für die Komponisten Meyerbeer und Boïeldieu) verfasst hatte. Zur Grundlage seiner «Muette»-Handlung nimmt Scribe den von Tommaso Aniello angeführten neapolitanischen Fischer-Aufstand im Jahre 1647.
Ist also der revolutionäre Gedanke schon im Stoff selber explizit angelegt, so bedarf es im politisch angespannt-labilen Europa anfangs des 19. Jahrhunderts nur weniger, theatralisch wirkungsvoller massensuggestiver Funken, die Pulverfässer explodieren zu lassen.

auber_stumme_paris-1828.jpg

Einer dieser Funken zündet 1830 in Brüssel: Nach dem zweiten Akt einer Aufführung von Aubers «Stummen», genaugenommen nach dem berühmten Freiheits-Duett zwischen Fischer-Führer Masaniello und seinem früheren Mit-Revoluzzer bzw. späteren Todfeind Pietro, lassen sich die aufgewühlten Opern-Besucher derart vom aufpeitschenden Bühnengeschehen mitreißen, dass sie aus dem Theater auf die Straße strömen, vereint mit den Massen die Polizei-Direktion und den Justiz-Palast stürmen und schließlich die Druckerei des Regierungsblattes verwüsten. Der belgische Revolutionskampf ist lanciert, er wird zur Unabhängigkeit des Landes von Holland führen.
Einmal mehr ist also in der Opern-Geschichte eine rein fiktive musiktheatralische Figur (hier die Stumme Fenella) zum Massen-Symbolträger nationaler (ggf. auch nationalistischer) Strömungen geworden – nur diesmal mit noch nie dagewesener realpolitischer Konsequenz. (Übrigens sorgt «Die Stumme von Portici» nicht nur in Brüssel für Aufruhr; auch nach Aufführungen dieser Oper in Mailand, Warschau und Kassel kommt es zu politischen Spannungen und Unruhen.)
daniel-francois-auber.jpgAuber selbst ist dabei mitnichten ein Revolutionär. Der Sohn eines Offiziers Ludwigs XVI. und späteren Kunsthändlers schreibt an die fünfzig – heute allerdings kaum mehr gespielte – Opern, wovon die wichtigsten (u.a. «La bergére châtelaine», «Die Gesandtin», «Die Cirkassierin», «Réves d’amour» und v.a. «Fra Diavolo» als sein unbestrittenes musikalisches Opus magnum) dem komischen Genre zuzurechnen sind. Umso solitärer Gehalt und Wirkung seines Polit-Dramas «La Muette de Portici», dessen gesellschaftliche Bedeutung von den politischeren Köpfen unter Aubers Komponisten-Kollegen schon bald gewürdigt wird. Beispielsweise von Richard Wagner, der später über die «Stumme» schreibt: «Es muss etwas Besonderes, fast Dämonisches dabei im Spiele gewesen sein […] Diese stürmende Tatkraft, dieses Meer von Empfindungen und Leidenschaften, gemalt in den glühendsten Farben, durchdrungen von den eigensten Melodien, gemischt von Grazie und Gewalt… Anmut und Heroismus: Ist dies alles nicht die wahrhafte Verkörperung der letzten Geschichte der französischen Revolution?»

Heute vor … Jahren

Posted in Edvard Grieg, Henrik Ibsen, Heute vor ... Jahren, Literatur, Musik, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 24. Februar 2008

.

Peer Gynt: Metamorphose eines Taugenichts

Walter Eigenmann

.

solveigh-christiana-1876.jpgAm 24. Februar 1876 hat im norwegischen Oslo eines der bekanntesten Stücke Henrik Ibsens seine Premiere: Das «Dramatische Gedicht» Peer Gynt. Basierend auf der zwischen 1845 und 1848 erschienenen Feenmärchen-Sammlung «Huldre-Eventyr og Folkesagn» von P. Ch. Asbjørnsen (und in gewisser formaler Nachfolge von Byrons «Manfred») schildert Ibsens Vers-Epos die vieljährige Metamorphose des lügnerischen, nichtsnutzigen Bauernlümmels und nachmaligen Sklavenhändlers Peer Gynt hin zum moralisch geläuterten, durch eine weltweite, skurril-phantastisch-absurde Abenteuer-Odysee verarmten, aber seelisch gereiften Mann, der sich schließlich sogar der unverbrüchlichen Liebe des «ewig Weiblichen», verkörpert in der lebenslänglich wartenden und leidenden Solvejgh, würdig erweist.
Der «nordische Faust», wie man Ibsens mythisch ausladenden Peer-Gynt-Monolog um Trolle, Königstöchter, afrikanische Irrenhäuser und mephistophelische «Knopfgießer» schon bald auch nennt, entsteht 1867 auf Ischia, ist vordergründig eine langwierige Identitätssuche und -findung des Titelhelden, hintergründig aber ebenso eine fulminante literarische Abrechnung des Dichters mit der selbstzufriedenen Cliquen-Wirtschaft und Willenschwäche seiner norwegischen Landsleute.

grieg-und-ibsen-1905.jpg

Weniger die ethischen Intentionen des Stückes denn seine verschiedenen nationalromantisch kolorierten, allerdings kritisch gebrochenen Ingredienzen inspirieren schon kurz nach Erscheinen die Komponisten – allen voran Edvard Grieg, der von Ibsen eingeladen wurde, eine umfangreiche Partitur zur Theater-Fassung des Gynt-Stoffes beizusteuern. Autograph der Doch die höchst unterschiedlichen künstlerischen Naturelle der beiden Genies – der reserviert-kühl-introvertierte Ibsen teilt Grieg exakte Vorstellungen von der musikalischen Gestaltung seines «Peer Gynt» mit! – führt zu einer stilistisch nicht adäquaten Komposition Griegs. Dieser betont ausgerechnet die norwegischen Farben des «Peer Gynt», illustriert Peers Welt-Reisen mit mancherlei klanglichen Exotismen aus Opern des 19. Jahrhunderts, lässt gar ganze Spring-Tänze aufführen, und schafft vor allem anrührende Seufzer-Elegien zu den verschiedenen, unter Peers Ignoranz leidenden Frauengestalten. (Später bekennt Grieg, Ibsens Auftrag nicht zuletzt auch aus Geldnot-Gründen angenommen zu haben…)
In der Gunst des breiten Publikums ganz obenauf schwimmt dabei noch immer die den Suiten-Zyklus eröffnende «Morgenstimmung» (Bild: Faksimile der ersten Partitur-Seite). Berühmt, aber kaum je zusammen mit dem Drama aufgeführt werden aus Griegs zweiteiligem Suiten-Extrakt außerdem «Solvejgs Lied», «Åses Tod» und «Ingrids Klage». ■

Hörbeispiel: In der Halle des Bergkönigs (aus Edvard Grieg: Peer Gynt Suite / Youtube)

.

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Bernd A. Zimmermann, Essays & Aufsätze, Heute vor ... Jahren, Musik, Oper, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 15. Februar 2008

.

Der Opfergang der Ungezählten:
Bernd A. Zimmermanns «Die Soldaten»

Walter Eigenmann

.

zimmermann_die-soldaten.jpgAm 15. Februar 1965 erlebt die Oper «Die Soldaten» von Bernd A. Zimmermann in Köln ihre Uraufführung. Zimmermanns Werk, eines der engagiertesten, experimentellsten und radikalsten Stücke des neueren Musik-Theaters, hat Jakob M. R Lenz’ «Komödie» über eine von der Soldateska zunächst verführte, dann fallengelassene, schließlich vergewaltigte und in die Gosse getriebene Bürgerstochter zum Gegenstand.
Der Komponist veröffentlicht Ende der 40-er Jahre seine ersten Werke. Und schon früh informiert sich der seinen Lebensunterhalt vorerst als Arrangeur und als Film- wie Hörspiel-Komponist verdienende Zimmermann bei den «Darmstädter Ferienkursen» über den neuesten Stand der (atonalen) Avantgarde-Techniken. 1957 wird er schließlich als Nachfolger von Frank Martin als Dozent für Komposition an die Musik-Hochschule Köln berufen. (Zu seinen ersten Schülern gehören Peter Michael Braun, Georg Kröll und Manfred Niehaus, später kommen Silvio Foretic, Georg Höller, Heinz Martin Lonquich, Dimitri Terzakis u. a. hinzu.)

Bernd Alois Zimmermann_Die Soldaten

Mehrschichtige Collage-Technik (2. Akt / Intermezzo)

Seine «Soldaten» (Bild oben: Aufführungsplakat) stellen enorme technische, personelle und musikalische Anforderungen. Zimmermann schichtet darin mit drei verschiedenen Orchester-Ensembles musikalisch mehrere Handlungsstränge simultan über- und nebeneinander, verschränkt Jazz-Elemente mit Barock-Chorälen, enthebt die althergebrachte Theater-Trinität von Ort, Handlung und Zeit ihrer eindeutigen Zuordnung, arbeitet mit stilistisch unterschiedlichsten Musik- und Szene-Collagen, um seine musikdramatische Konzeption von der «Kugelgestalt der Zeit» zu verdeutlichen: «Späteres wird voraus- und Früheres hintangesetzt» (Zimmermann). Dabei realisiert das Werk inhaltlich wie technisch die Theater-Vision seines Schöpfers: «Das neue Theater muss ein Großraumgefüge, vielfältig moduliert sein; (…) insgesamt eine Großformation, die einer ganzen Stadtlandschaft ihr Gepräge zu verleihen vermag: Als Dokumentation einer geistigen, kulturellen Freiheit, die Theater als elementarsten Ort der Begegnung im weitesten Umfang begreift.»
bernd-alois-zimmermann.jpgZimmermann selbst, wiewohl vielseitig theologisch, literarisch und moralphilosophisch interessiert, verneinte, dass die Sozialkritik am menschenzerstörenden Soldaten-Milieu eine besondere Rolle in diesem seinem Hauptwerk spiele. Doch anfangs 1946 schreibt er mit Blick auf das zurückliegende letzte Kriegsjahr, und fast alttestamentarisch: «O Deutschland, was ist aus Dir geworden? Wie ist Dein Volk zuschanden geworden, an sich selbst zunichte gegangen, wie wütet selbst Dein Volk gegen das eigenen Blut…[…] Ist es nicht Angst und Not, Unsicherheit und Schrecken, die am Horizonte unserer Zukunft stehen wie dunkle Wetter und Wolken vor der untergehenden Sonne?» Die pessimistische Grundhaltung, eine permanente Trauer um das «zwecklos geopferte und sinnlos dahingegangene… der Opfergang der Ungezählten» durchzieht das gesamte spätere Leben und Lebenswerk des Musikers Zimmermann. Am Schluss seiner «Soldaten», wo verschiedene Tonband-Einspielungen die Szene erweitern, ertönen bei der letzten Szene zwischen Marie und ihrem Vater Militärkommandos in den Sprachen der sieben hauptsächlich am Zweiten Weltkrieg beteiligten Ländern, unter Beimischung von angreifenden Fliegern, Panzern, Raketengeschossen und Bomben-Detonationen. «Das, was mich vor allem zu den ‘Soldaten’ geführt hat, ist der Umstand […], wie in einer exemplarischen, alle Beteiligten umfassenden Situation Menschen […], wie wir ihnen zu allen Zeiten begegnen können, einem Geschehen unterworfen sind, dem sie nicht entgehen können: Unschuldig schuldig.» bemerkt Zimmermann mal zu seiner Oper.

Szene aus einer «Soldaten»-Aufführung in Salzburg

Das zweieinhalbstündige Werk, hochexpressive Bühnenmusik und schwer zu realisieren, wurde vom damaligen Kölner Opern-Chef Wolfgang Sawallisch als «unspielbar» abgelehnt. Inzwischen ist es dennoch erstaunlicherweise zu einem der erfolgreichsten Vertreter seiner Gattung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts avanciert.
Bernd Alois Zimmermann starb am 10. August 1970 in Frechen-Königsdorf bei Köln; einer unheilbaren Krankheit wegen wählte er den Freitod. ■

.

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Friedrich Schiller, Heute vor ... Jahren, Literatur, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 13. Januar 2008

.

Beifallssturm für Schillers «Die Räuber»

schiller_die-rauber_titelblatt-1781.jpgAm 13. Januar 1782 wird Friedrich Schillers (bereits 1781 anonym veröffentlichtes) erstes Drama «Die Räuber» in Mannheim uraufgeführt. Das in fünf Akte gegliederte Trauerspiel um die beiden adligen, aber moralisch und intellektuell höchst ungleichen Brüder Karl und Franz Moor thematisiert den Konflikt zwischen Gesetz und Freiheit, avanciert mit seiner leidenschaftlichen Emotionalität, seiner stilistisch vielfältigen, emphatischen Sprachgewalt und seiner politischen «Aufbruch-Stimmung» zu einem Schlüsselwerk des Sturm und Drang – und erntet bei seiner Erstaufführung begeisterte Beifallsstürme.
Denn in seiner Anklage gegen Despotie und in seiner kompromisslosen Forderung nach Freiheitlichkeit auch des Individuums trifft «Die Räuber» am Vorabend der Französischen Revolution den Zeitgeist in seinem Kern. Schiller selbst (1784 in seiner «Rheinischen Thalia») über die poetische Genesis seines ersten bedeutenden Theaterstückes:
«Ein seltsamer Mißverstand der Natur hat mich in meinem Geburtsort zum Dichter verurteilt. Neigung für Poesie ‘beleidigte’ die Gesetze des Instituts, worin ich erzogen ward, und widersprach dem Plan seines Stifters. Acht Jahre lang rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel; aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig und stark wie die erste Liebe. hammer_dierauber_glarean-magazin.jpgWas sie ersticken sollte, fachte sie an. Verhältnissen zu entfliehen, die mir zur Folter waren, schweifte mein Herz in eine Idealenwelt aus -aber unbekannt mit der wirklichen, von welcher mich eiserne Stäbe schieden, unbekannt mit den Menschen (denn die vierhundert, die mich umgaben, waren ein einziges Geschöpf, der getreue Abguß eines und eben dieses Modells, von welchem die plastische Natur sich feierlich lossagte), unbekannt mit den Neigungen freier, sich selbst überlassener Wesen; denn hier kam nur eine zur Reife, eine, die ich jetzo nicht nennen will; jede übrige Kraft des Willens erschlaffte, indem eine einzige sich konvulsivisch spannte; jede Eigenheit, jede Ausgelassenheit der tausendfach spielenden Natur ging in dem regelmäßigen Tempo der herrschenden Ordnung verloren -unbekannt mit dem schönen Geschlechte. ..unbekannt mit Menschen und Menschenschicksal, mußte mein Pinsel notwendig die mittlere Linie zwischen Engel und Teufel verfehlen, mußte er ein Ungeheuer hervorbringen, das zum Glück in der Welt nicht vorhanden war, dem ich nur darum Unsterblichkeit wünschen möchte, um das Beispiel einer Geburt zu verewigen, die der naturwidrige Beischlaf der Subordination und des Genius in die Welt setzte. Ich meine die ‘Räuber’.» (Walter Eigenmann)

Blog-Links zum Thema

Hausarbeiten.de : Die Figur der Amalia

Heute vor … Jahren

Posted in Heute vor ... Jahren, Literatur, Oskar Maria Graf by Walter Eigenmann on 8. Januar 2008

.

Wider die «braune Mordbande»:
Der Bayer Oskar Maria Graf

graf_unruhe-um-einen-friedfertigen.jpgAm 8. Januar 1947 erscheint in New York der Roman «Unruhe um einen Friedfertigen» von Oskar Maria Graf. Graf, einer der großen deutschen Volks-schriftsteller, dessen Geschichten sich vor allem durch wortgewaltige, urwüchsige Komik auszeichnen, wird 1894 in Berg bei Starnberg geboren. 1938 flieht der heimatverwurzelte Dichter vor der «braunen Mordbande» (Graf) ins amerikanische Exil nach New York. Allerdings kann er sich dort niemals wirklich einleben, bleibt auch im multikulturellen New York bewusst «made in Bavaria», verweigert sich gar dem Englischen, und läuft durch Manhattans Straßenschluchten in bayerischer Tracht mit «Lederhosn».
Doch im Gegensatz zum berühmten Mit-Bayer Ludwig Thoma, der mit antisemitischen Äußerungen nie geizte, verschreibt sich Graf lange vor der NS-Barbarei in Deutschland einer antifaschistischen, humanistischen Lebenseinstellung, schließt sich der linken Arbeiterbewegung an und spart seine Einstellung auch in seinen literarischen Werken nicht aus.
«Unruhe um einen Friedfertigen» stellt einen der Höhepunkte der deutschsprachigen Exil-Literatur dar. Graf entwirft darin das eindringliche Zeit-Panorama der Entwicklung eines beschaulichen bayerischen Dorfes in der Weimarer Republik bis zur Entstehung der Hitlerei. Im Dorf Aufing wird der Schuster Julius Kraus plötzlich mit seiner jüdischen Herkunft konfrontiert… (Walter Eigenmann)

.

Blog-Links zum Thema

Poem-Projekt: O.M.G- Bücherverbrennung

Buster: O.M.G – Der religiöse Sozialist

Heute vor … Jahren

Posted in Heute vor ... Jahren, Isaac Asimov, Literatur, Science-Fiction, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 2. Januar 2008

.

Der «Gute Doktor» und seine Roboter: Isaak Asimov

Walter Eigenmann

.

Am 2. Januar 1920 wird im russischen Petrovichi der US-amerikanische Schriftsteller Isaac Asimov geboren. Asimovs Roboter-Storys sind seit Jahrzehnten Glanz-Stücke und Vorbild zugleich des literarischen Science-Fiction-Genres. Der Bestseller-Autor propagiert bereits in seiner frühen, erstmals 1942 erschienenen Erzählung «Runaround» drei grundlegende Gesetze der Robotik: 1. Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen; 2. Ein Roboter muss den Befehlen eines Menschen gehorchen, es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum ersten Gesetz; 3. Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange dieser Schutz nicht dem Ersten oder Zweiten Gesetz widerspricht. Später, z.B. in der berühmten, 1950 publizierten Kurzgeschichten-Sammlung «Ich, der Roboter» handelt Asimov verschiedene Aspekte dieser Gesetze ab und variiert bzw. erweitert sie.
Star Trek - Screen ShotDas umfangreiche und vielschichtige Oeuvre Isaak Asimovs inspiriert schon zu dessen Lebzeiten eine Fülle von Nachfolgern und Werken, und nicht nur in der SF-Szene, sondern in fast allen künstlerischen Bereichen, von der Literatur bis zum Theater, von der Malerei bis zum Film. Asimov selbst wirkt bei einer Vielzahl von Projekten und Organisationen mit. Ab 1979 ist er beispielsweise «Special Science Consultant» bei der Entstehung des Film-Kassenschlagers «Star Trek» (Bild rechts), außerdem ernennen ihn der bekannte Hochintelligenten-Verein «Mensa» und die internationale «Skeptiker-Vereinigung», eine «Gesellschaft zur Förderung von wissenschaftlichem und skeptischem Denken», zu ihrem Ehren-Vizepräsidenten. 1985 wird er Präsident der «American Humanist Association» – eine Position, die er bis zu seinem Tode innehat.
Der in New York aufwachsende, ab 1951 als Dozent für Biochemie an der medizinischen Fakultät der Universität Boston lehrende Wissenschaftler gibt seine Professur 1958 auf, um hauptberuflich zu schreiben. Insgesamt veröffentlicht der vielseitig interessierte und äußerst produktive Autor in der Folge über 500 Bücher und mehr als 1’600 Essays, darunter auch verschiedentlich über die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.
Das Spektrum seines Schaffens beschränkt sich bei weitem nicht auf Science Fiction. Vielmehr entwickelt sich der «Gute Doktor», wie ihn seine nach Millionen zählende Anhänger- bzw. Leserschaft inzwischen nennt, zu einer Art modernem Universal-Gelehrten: Ein Lehrbuch der Biochemie, Bücher über die Bibel und William Shakespeare, Werke über die griechische und römische Geschichte und Sachbücher über naturwissenschaftliche Themen aus fast allen Gebieten gehören zu seinem Oeuvre.
Isaac Asimov (auf dem Bild unten an einer internationalen Konferenz im November 1974 in Newark) stirbt am 6. April 1992 an Herz- und Nierenversagen als Folge einer Aids-Infektion, die er sich 1983 durch eine Bluttransfusion (anlässlich einer Bypass-Operation) zugezogen hatte.

isaak-asimov.jpg


Blog-Links zum Autor

Gizmodo.de: Auf den Spuren von Isaak Asimov

Movie-Fan: I-Robot-Filmkritik

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Heute vor ... Jahren, Musical, Musik by Walter Eigenmann on 27. Dezember 2007

.

Die Geburtsstunde des Musicals: «Show Boat»

show-boat_usa.jpgVor exakt 80 Jahren, am 27. Dezember 1927 führt das Ziegfeld Theatre in New York das erste Musical der Musiktheater-Geschichte auf: «Show Boat» des Komponisten Jerome Kerne und des Drehbuch-Texters Oscar Hammerstein.
Das Stück um den Mississippi-Kapitän Haws und seine äußerst vielfältig-kontroverse Passagier-Schar auf ihrem Theater-Schiff entpuppt sich schnell als einer der allergrößten Erfolge der US-amerikanischen Musical-History. Mit dem Werk emanzipiert sich die unterhaltende amerikanische Musik-Bühne endgültig von ihrem biederen Vorbild der europäischen Operette. Mehrfache Verfilmungen und seit 1927 ununterbrochene Aufführungen auf allen großen Stages der Welt beweisen den offensichtlich nach wie vor ungebrochenen Reiz und die musikalische Frische der teils quirligen, teils sentimentalen, teils sozialkritischen «Cotton-Blossom»-Story von Kern & Hammerstein.
Autorin Edna Ferber, auf deren gleichnamigem Roman der Bühnenstoff basiert, soll zunächst entrüstet über die Zumutung gewesen sein, dass ihr «Show Boat» als Grundlage für eine der damals üblichen seichten Nummern-Revues herhalte, deren Handlungen bloß als triviale Gerüste für effektvolle Musik-Potpourris zu dienen pflegten. Komponist Kern suchte indes nach neuen Formen des musikalischen Entertainment-Theaters und konnte Ferber schließlich überzeugen.
ol-man-river.jpgMaßgeblich zum durchschlagenden Erfolg der Südstaaten-Tragikomödie trugen nicht nur ihre damals neuen und schockierenden Themata wie Alkoholismus, Rassenhass oder Frauen-Emanzipation, sondern trägt v.a. die melodische und harmonische Qualität der «Show-Boat»-Songs bei: Titel wie «Can’t Help Lovin’ Dat Man», «Make Believe», «You Are Love», oder der Evergreen «Ol’ Man River» (Bild&Film-Ausschnitt/1936) gehören zu den größten Hits, die das amerikanische Musical hervorgebracht hat. (Walter Eigenmann)

.

BBBlog-Links zum Thema

Hausarbeiten.de: Das amerikanische Musical

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Claude Debussy, Heute vor ... Jahren, Musik by Walter Eigenmann on 22. Dezember 2007

.

Atmosphärische Musik-Erotik:
«Prélude a l’après-midi d’un faune»

.

Am 22. Dezember 1894 wird in der Pariser «Société nationale de Musique» Claude Debussys «Prélude a l’après-midi d’un faune» uraufgeführt. Dieses impressionistische Schlüsselwerk der Neuen Musik im 20. Jahrhundert basiert in seinem Gefühlsgehalt auf dem berühmten symbolistischen Mallarmé-Gedicht «L’Après-midi d’un faune» (1865) und entbehrt laut Debussy aller Narrativität, sei also nicht Schilderung, sondern Stimmung:

prelude-a-lapres-midi-dun-faune.jpg

«La musique de ce Prélude est une très libre illustration du beau poème de Mallarmé. Elle ne désire guère résumer ce poème, mais veut suggérer les différentes atmosphères, au milieu desquelles évoluent les désirs, et les rêves de l’Egipan, par cette brûlante après-midi. Fatigué de poursuivre nymphes craintives et naïades timides, il s’abandonne à un sommet voluptueux qu’anime le rêve d’un désir enfin réalisé: la possession complète de la nature entière.»

debussy_barberinischer-faun.jpg

«Erotische Stimmung eines Fauns im Zustand des Dämmerns»: Der Barberinische Faun

Das Orchesterstück von ca. 10-minütiger Dauer, instrumentiert mit 3 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 1 Englischhorn, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Harfen, 2 Cymbales antiques oder Crotales und Streichquintett, sorgte sofort für diametral unterschiedliche Einschätzungen durch Debussys komponierende Zeitgenossen. (Saint-Saëns: «Debussy hat das Fehlen von Stil und Logik kultiviert…»)

Heute steht allerdings der hohe ästhetische und musikhistorische Rang von Debussys impressionistischer Evokation der «erotischen Stimmungen eines Fauns im Zustand des Dämmerns» außer Frage; Pierre Boulez erhob das Werk gar zum Ausgangspunkt der musikalischen Moderne überhaupt: «C’est avec la flûte du faune que commence une respiration nouvelle de l’art musical […], on peut dire que la musique moderne commence avec L’Après-midi d’un Faune.» (we/07)

Hörbeispiel: «Prélude a l’après-midi d’un faune» (Stokowksi/Youtube)

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Antonín Dvořák, Heute vor ... Jahren, Musik by Walter Eigenmann on 16. Dezember 2007

.

Antonín Dvořák: «Aus der Neuen Welt»

dvorak_neunte_autograph_erstersatz.jpgAm 16. Dezember 1893 hört die Welt erstmals eine der berühmtesten Sinfonien der Musik-Geschichte: Unter der Leitung des deutschen Dirigenten Anton Seidl wird in der New Yorker Carnegie Hall vom Orchester der Philharmonischen Gesellschaft die 9. Sinfonie in e-moll von Antonín Dvořák uraufgeführt.
Was an der während Dvoraks dreijährigem Amerika-Aufenthalt entstandenen Neunten wirklich «amerikanisch» ist, hat der Komponist selber noch vor der Uraufführung klargestellt: «Es ist der Geist von Neger- und Indianer-Melodien, den ich in meiner neuen Symphonie zu reproduzieren bestrebt war. Ich habe keine einzige jener Melodien benützt. Ich habe einfach charakteristische Themen geschrieben, indem ich ihnen Eigenarten der indianischen Musik eingeprägt habe, und indem ich diese Themen als Gegenstand verwendete, entwickelte ich sie mit Hilfe aller Errungenschaften des modernen Rhythmus, der Harmonisierung, des Kontrapunktes und der orchestralen Farben.» (Dvorak im «New York Herald» vom 12. Dezember 1893). (we/07)

dvorak_neunte_urauffuehrung.jpg

Hörprobe: 4. Satz

.

.

Heute vor … Jahren

Posted in Heute vor ... Jahren, Max Euwe, Partien, Schach, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 15. Dezember 2007

.

Schach-Amateur Euwe wird Weltmeister

euwe-aljechin_1935.jpgAm 15. Dezember 1935 gewinnt in Amsterdam der 34-jährige holländische Mathematik-Lehrer und Versicherungs-Statistiker Max Euwe als Amateur die Schach-Weltmeisterschaft. Mit dem denkbar knappsten Ergebnis von 15,5 zu 14,5 Punkten schlägt er als Herausforderer das zu dieser Zeit als unbesiegbar geltende exil-russische Schach-Genie Alexander Aljechin (Bild: Nach der 24. Runde, rechts Aljechin)
Für das Match wurde eine Kampfbörse von 10’000 Dollar ausgesetzt, es begann am 3. Oktober in Amsterdam und wurde anschließend in mehreren verschiedenen Städten Hollands fortgesetzt. Aljechin ging schon bald (wie erwartet) mit 6:3 in Führung, doch der zähe und geduldige Holländer kämpfte sich wieder heran und gewann schließlich nach 9 Siegen, 8 Niederlagen und 13 Unentschieden.
Eine der schönsten Partien spielten die beiden in Zandvoort (in der 26. Runde), wonach der als Journalist vor Ort berichtende Großmeister S. Tartakower sie auf den bis heute verbreiteten Ehrennamen «Die Perle von Zandvoort» taufte:

M. Euwe – A. Aljechin, WM-Match, Zandvoort 1935
(26. Partie, A90/Holländische Verteidigung)

1.d4 e6 2.c4 f5 3.g3 Lb4+ 4.Ld2 Le7 5.Lg2 Sf6 6.Sc3 O-O 7.Sf3 Se4 8.O-O b6 9.Dc2 Lb7 10.Se5 Sxc3 11.Lxc3 Lxg2 12.Kxg2 Dc8 13.d5 d6 14.Sd3 e5 15.Kh1 c6 16.Db3 Kh8 17.f4 e4 18.Sb4 c5 19.Sc2 Sd7 20.Se3 Lf6 21.Sxf5 Lxc3 22.Sxd6 Db8 23.Sxe4 Lf6 24.Sd2 g5 25.e4 gxf4 26.gxf4 Ld4 27.e5 De8 28.e6 Tg8 29.Sf3 Dg6 30.Tg1 Lxg1 31.Txg1 Df6 32.Sg5 Tg7 33.exd7 Txd7 34.De3 Te7 35.Se6 Tf8 36.De5 Dxe5 37.fxe5 Tf5 38.Te1 h6 39.Sd8 Tf2 40.e6 Td2 41.Sc6 Te8 42.e7 b5 43.Sd8 Kg7 44.Sb7 Kf6 45.Te6+ Kg5 46.Sd6 Txe7 47.Se4+ 1:0

euwe-zentrum-amsterdam.jpgBereits im Vorfeld der Weltmeisterschaft löste der stille und bescheidene, nach allen Augenzeugen-Berichten stets ausnehmend fair kämpfende Gentleman Euwe in seinem Heimatland eine wahre Schach-Euphorie aus, er wurde gefeiert wie ein Star und verhalf dem Königlichen Spiel zu einer bis anhin noch nicht dagewesenen Verbreitung (Bild: Euwe-Statue im «Max-Euwe-Zentrum» Amsterdam).
In der Folge publizierte der schachtheoretisch äußerst profunde, stets den logisch-wissenschaftlichen Aspekt des Schachs betonende Systematiker eine Fülle von Eröffnungs-, Mittelspiel- und Endspiel-Monographien. In der gesamten Schach-Welt als herausragende Persönlichkeit anerkannt, wählte ihn 1970 die Internationale Schachföderation FIDE zu ihrem Präsidenten. Eine seiner letzten großen Herausforderungen war deshalb die Organisation des «Jahrhundert-Matchs» mitten im Kalten Krieg zwischen dem Amerikaner Bobby Fischer und dem Russen Boris Spassky 1972 in Reykjavik/Island. (Walter Eigenmann)

Heute vor … Jahren

Posted in Erotik, Heute vor ... Jahren, Lady Chatterley, Literatur by Walter Eigenmann on 14. Dezember 2007

.

«Lady Chatterley» erregt

lady-chatterley.jpgAm 14. Dezember 1928 erscheint «Lady Chatterley» (Bild: Szenen-Foto aus dem gleichnamigen Film von Pascale Ferran, Frankreich 2006) des englischen Romanciers D.H. Lawrence – und erregt augenblicklich die Gemüter der gesamten literarischen Welt. Denn er beschreibt, wie sich eine adelige Lady von ihrem impotenten Mann abwendet und bei einem Wildhüter außereheliche Erfüllung findet – exzessive Sex-Beschreibungen inklusive.
Wegen seines angeblich pornographischen Charakters wird das Werk sofort zensiert. Bis in die 50 Jahre bleiben vollständige Ausgaben in den USA und Großbritannien verboten.
Doch schon bald zählt Lawrence’s «Lady» zu den meistgelesenen Erotic-Sellern überhaupt. Bei der «hohen» Literaturkritik hinterlässt der damals skandalöse, heutzutage eher als «brav» empfundene Roman allerdings Zwiespalt. Kurt Tucholsky (zum Beispiel): «450 Seiten und so viel Arbeit und so viel Wagemut … und so wenig Liebe…» (gm/07)

Heute vor … Jahren

Posted in Heute vor ... Jahren, Karl Kraus, Literatur, Politik&Gesellschaft by Walter Eigenmann on 13. Dezember 2007

.

Karl Kraus: «Die letzten Tage der Menschheit»

kraus-die-fackel.jpgAm 13. Dezember 1918 veröffentlicht der österreichische Schriftsteller sowie Zeit- und Sprach-Kritiker Karl Kraus in seiner Zeitschrift «Die Fackel» (Bild: 1.Umschlag-Seite der Urausgabe vom April 1899) den ersten Teil seines dramatischen Hauptwerkes «Die letzten Tage der Menschheit».
Das Stück montiert dokumentarische Einzelszenen zu einer Apokalypse des (eben beendeten) Ersten Weltkrieges. Allerdings ist es keineswegs ein Sammelsurium von Kampf-Schilderungen. Die wirklichen Schrecken des Krieges manifestieren sich nach Kraus im Verhalten jener Menschen, die in ihrer Ignoranz den Ernst und die Tragik des Krieges nicht wahrhaben wollen, sondern sich fernab vom eigentlichen Kriegsschauplatz an ihm bereichern und ihn mit falschen Phrasen beschönigen: Journalisten, Händler, hohe Militärs, die sich fern vom Schlachtfeld im Ruhm ihres militärischen Ranges baden. Kraus entlarvt die Phraseologie und die Worthülsen («Der Krieg ist ausgebrochen»), und er zeigt, wer vom Krieg profitiert. (we/07)

Das Lied von der Presse

Im Anfang war die Presse
und dann erschien die Welt.
Im eigenen Interesse
hat sie sich uns gesellt.
Nach unserer Vorbereitung
sieht Gott, daß es gelingt,
und so die Welt zur Zeitung
er bringt […]
Sie lesen, was erschienen,
sie denken, was man meint.
Noch mehr lässt sich verdienen,
wenn etwas nicht erscheint.

Karl Kraus

Heute vor … Jahren

Posted in Carl Zuckmayer, Heute vor ... Jahren, Literatur, Nazi-Deutschland, Politik&Gesellschaft by Walter Eigenmann on 12. Dezember 2007

.

Carl Zuckmayer: «Des Teufels General»

carl-zuckmayer.jpg

Carl Zuckmayer

zuckmayer-des-teufels-general-film.jpgAm 12. Dezember 1946 wird Carl Zuckmayers Drama «Des Teufels General» am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt. Das Stück, 1945 in Zuckmayers amerikanischem Exil entstanden, thematisiert den Gewissenskonflikt des Luftwaffen-Generals Harras – dessen reales Vorbild der NS-Generaloberst Ernst Udet ist -, welcher sich Hitlers Wehrmacht aus fliegerischer Besessenheit verschrieben hat, aber im Dezember 1941 erkennt, daß er mitschuldig wurde an Krieg und Unmenschlichkeit. Harras sühnt sein moralisches Versagen, indem er durch seinen Tod den charaktervolleren Freund, der durch Sabotage Widerstand geleistet hat, dem Zugriff der SS-Mörder entzieht.
Kritische Köpfe (auch des damaligen Widerstandes) werfen Zuckmayer bis heute vor, er habe die Gestalt Harras’ idealisiert. Befürworter hingegen anerkennen die «literaturpolitische» Leistung des Dramas, welches unmittelbar nach der Nazi-Barbarei eine öffentliche Diskussion um die Möglichkeiten des aktiven Widerstands bzw. der passiven Duldung entfachte. Vor allem bei den jüngeren Deutschen weckte Zuckmayer, der sich selbst den Gesprächen in vielen Städten stellte, ein Bewusstsein von offenen und freien Reden.
Zuckmayer selbst war sich im Klaren darüber, dass sein Dreiakter zu bewussten Fehlinterpretationen benutzt werden konnte. Zehn Jahre nach der enthusiastisch gefeierten Londoner Aufführung zog der Autor das Stück von sämtlichen deutschen Bühnen zurück. Zuckmayer: «Es wäre allzuleicht, im positiven oder negativen Sinne, das Stück heute als ‘Entschuldigung’ eines gewissen Mitmachertyps misszuverstehen. Sein Inhalt ist jedoch die tragische Situation und schließlich die tragische Entscheidung von unbescholtenen Menschen, die gezwungen sind, oder sich, wie Harras, aus Leichtsinn dazu hergegeben haben, einer ihnen verhassten Gewaltherrschaft zu dienen.» (we/07)

des-teufels-general-urauffuehrung.jpg

Heute vor … Jahren

Posted in Hector Berlioz, Heute vor ... Jahren, Musik by Walter Eigenmann on 11. Dezember 2007

.

Hector Berlioz, Schöpfer der
Sinfonischen Programm-Musik

hector-berlioz.jpgAm 11. Dezember 1803 wird im französischen La Côte-Saint-André der Komponist Hector Berlioz geboren. Die Musikwelt verehrt den anfänglich völlig unverstandenen Schöpfer der «Symphonie fantastique» und von «La Damnation de Faust» inzwischen als den genialen Begründer der Sinfonischen Programm-Musik sowie der modernen Orchester-Instrumentation.
Berlioz selbst wollte sich als Klassik-Vollender in der Beethoven-Nachfolge verstanden wissen, die Musikwissenschaft indes wies v.a. seinen enormen Einfluss auf die Romantik (z.B. Liszt, Wagner, Strauß) nach.
Die späten Lebensjahre des erklärten Agnostikers, doch spirituell vielseitig Interessierten sind überschattet von zahlreichen seelischen und körperlichen Schicksalsschlägen, und mit dem Tod seiner zweiten Frau Marie Recio 1862 beginnen Jahre der Isolation und der Resignation. In einem Brief schreibt er: «Ich beeile mich, alle Fäden, die mich mit der Kunst verknüpfen, zu lösen oder zu zerschneiden, damit ich jederzeit zum Tod sagen kann: ‘Wann du willst!’»
Hector Berlioz stirbt, zuerst wochenlang bettlägerig, schließlich vollständig gelähmt, am 8. März 1869 in Paris. (we/07)

 

 

berlioz-rakoczy-march.jpg

Heute vor … Jahren

Posted in Heute vor ... Jahren, John Lennon, Musik by Walter Eigenmann on 8. Dezember 2007

.

John Lennon erschossen

john-lennon.jpgAm Abend des 8. Dezember 1980 wird in New York City der führende Kopf der Beatles John Lennon von dem geisteskranken US-Amerikaner Mark David Chapman erschossen.
Chapman, der heute in einem Hochsicherheitsggefängnis im Staat New York sitzt und bislang vergeblich darauf hofft, dass man seine Haft zur Bewährung aussetzt, erklärte selbst, er habe John Lennon getötet, weil er ein «Jemand sein wollte». (we/07)

John Lennon: «Imagine»

Folgen

Erhalte jeden neuen Beitrag in deinen Posteingang.

Schließe dich 102 Followern an