Glarean Magazin

Hiromi Kawakami: «Am Meer ist es wärmer»

Posted in Buch-Rezension, Günter Nawe, Hiromi Kawakami, Literatur, Rezensionen by Walter Eigenmann on 11. August 2010

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Eine Hauch von Melancholie

Günter Nawe

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Selbst dreizehn Jahre später hat Kei das Verschwinden ihres Ehemanns Rei noch nicht verwunden. Seit dreizehn Jahren lebt sie mit ihrer (und Reis) Tochter sowie ihrer Mutter zusammen. Mit Seiji ist sie eine neue Bindung eingegangen. Das Verhältnis zu ihrer pubertierenden Tochter ist nicht einfach. Und das Leben ohne Rei ohnehin nicht.
«Auch nachdem er mich verlassen hatte, liebte ich ihn noch. Ich konnte nicht aufhören, ihn zu lieben. Es war schwierig, jemanden zu lieben, der nicht da war». «Aber eigentlich wusste ich immer noch nicht, was das Wort Liebe bedeutet». – So Kei über ihre Empfindungen.

Eine seltsame Geschichte von Liebe und Sehnsucht also. Von körperlicher Distanz und emotionaler Nähe. Und von der Suche nach dem Geliebten. Der «Sehnsuchtsort» heißt Manazuru und liegt am Meer. Er ist auf einer der letzten Tagebuchseiten von Rei notiert. Diesen Ort sucht Kei in regelmäßigen Abständen auf. Hier erlebt Kei Hoffnung auf Wahrheit und die Angst vor der Erinnerung. Hier – am Meer, das zugleich eine großartige Metapher in diesem Buch ist – muss sie um den Verlust ihrer Sinne bangen. Vorstellung und Realität klaffen auseinander. Und «was wirklich ist, weiß sowieso kein Mensch».

Hiromi Kawakami

Mit großer Meisterschaft beschreibt Hiromi Kawakami diese Liebesgeschichte, die gleichzeitig eine Geschichte auf der Suche nach sich selbst ist. Mit äußerster Genauigkeit, mit großartiger Zurückhaltung und vielleicht gerade deshalb mit großer Intensität lässt sie den Leser teilhaben an dieser seltsamen Geschichte. Und über allem liegt ein Hauch von Melancholie. Der Roman hat etwas Schwebendes, etwas Unwirkliches und ist doch eine sehr reale Geschichte. Der Leser erinnert sich an frühere, erfolgreiche Bücher diese Autorin («Herr Nakano und die Frauen», «Der Himmel ist blau») und an die Bücher von Murakami – obwohl Hiromi Kawakami einen ganz eigenen Ton hat. Und so ist der Autorin ein besonderes, fantastisches Buch gelungen, eine wunderbare Liebesgeschichte, sinnlich und warm und voll tiefer Symbolik. Eine der schönsten Liebesgeschichten, die wir in den letzten Jahren lesen konnten.

Seltsam ist die Geschichte auch, weil Kei auf der Suche nach Rei einer Frau aus einer anderen Welt begegnet. Erst als ein Hauch, ein Schatten, dann immer näher und körperlicher wird diese Frau zu ihrer ständigen Begleiterin. Woher kommt sie? Aus der Welt, in der auch Rei ist? Was weiß die Frau, die anfangs so etwas wie eine Bedrohung für Kei darstellt? Findet Kei bei ihr die Lösung?

Hiromi Kawakami erzählt eine Liebesgeschichte der besonderen Art; eine Geschichte von Nähe und Ferne. Der Autorin ist ein wunderbares, ein beeindruckendes Buch gelungen; eine der schönsten Liebesgeschichten, die wir in den letzten Jahren lesen konnten.

Resignation und Hoffnung also erlebt die etwa 40-jährige Kei, die an einem Roman schreibt. Ist es die Geschichte von Hiromi Kawakami? Ein Roman, in dem Kei auch von ihrer Vergangenheit mit Rei erzählt und von ihrem Leben mit Momo, Reis Tochter. Auch mit ihr, die sie liebt, kämpft sie um Nähe. Eine Nähe, die ihr Momo verweigert. Was wiederum mit dem Verschwinden des Vaters zusammenhängt…

Was also ist mit Rei? Wo ist Rei? «Ob mein Mann sterben wollte? Oder war er verschwunden, weil er leben wollte?» Auch die unbekannte Frau will es nicht wissen. Und so bleibt am Ende für Kei nur, ihren Mann für tot erklären zu lassen. Die Hoffnung aber bleibt. «Rei, irgendwann in ferner Zukunft können auch wir uns wiedersehen… Aus dem Nichts kommen wir, und ins Nichts kehren wir zurück.» ■

Hiromi Kawakami, Am Meer ist es wärmer, Roman, 208 Seiten, Hanser Verlag, ISBN 978-3-446-23553-3

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Leseproben

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