Glarean Magazin

Berg-Gedichte (1)

Posted in Arabische Lyrik, Ibn Chafadscha, Literatur, Lyrik by Walter Eigenmann on 19. Januar 2009

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picos-de-europa

Picos-de-Europa-Massiv (Foto: Apeu.net)

Stolz steht der Berg wie eines Pferdes Widerrist.
Er sperrt den Windhauch ab mit seinem großen
Skelett und sucht die Nacht zu ihrer Frist
Mit spitzen Schultern kalt zurückzustoßen.

Er steht allein im Land gleich dem Gelehrten,
Der aller Dinge Wahrheit sucht zu finden,
Lässt sich von Wolken einen schwarzen Turban winden,
Zu dem die Blitze rote Federn ihm bescherten.

Ich schrie ihn herzzerreißend an. Er blieb voll Schweigen.
Doch eines Nachts ward er von selbst zum Sprecher:
«Wie lang noch bin ich Zuflucht der Verbrecher
Und der Asketen, die schon Gott zu eigen?

Wie viele Winde hab ich abgefangen.
Wie oft hab ich das Meer zurückgehalten.
Wie viele Wandrer sind vorbeigegangen
Und hielten, Mann und Roß, die Rast in meinen Falten.

All diese Wesen traf schon längst der große Schauer.
Der Tod ist ihres Schicksals Peitschentreiber.
Der Wälder Rauschen ist das Stöhnen meiner Trauer,
Der Tauben Sang der Schrei der Klageweiber.»

So sprach der Berg. Ich weinte, sah sein Leiden
Und rief: «Leb wohl. Die einen müssen wandern.
Ewig zu bleiben, Freund, ist das Geschick der andern,
Doch beide sind dazu verdammt, zu scheiden.»

Ibn Chafadscha (Alcira/Spanien 1058-1139)
(Ü: Janheinz Jahn)

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