Neue Studien zu Jean Sibelius
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Tomi Mäkelä: «Poesie in der Luft»
Tomi Mäkeläs Buch ist seit mehr als 40 Jahren die erste zusammenfassende originale Publikation zu Leben und Werk von Jean Sibelius in deutscher Sprache. Das Buch enthält zahlreiche kaum bekannte und teilweise erstmals gedruckte Abbildungen. Eine ausführliche Darstellung der wichtigsten Strömungen der Sibelius-Rezeption im 20. Jahrhundert und eine Sibelius-Chronologie schließen den umfangreichen Band ab.
«Poesie in der Luft» ist der Versuch, Sibelius und sein kompositorisches Werk aus der Perspektive seiner bildungsbürgerlichen Herkunft und seiner regionalen, ganz und gar nicht provinziellen Zeitumstände zu sehen. Insofern entwirft der Autor beziehungsreich das Psychogramm eines modernen Künstlers. Die Selbstfindung des Komponisten lässt sich durchaus mit der Entwicklung anderer Kunstschaffenden seiner Generation vergleichen.
Mäkeläs Ergebnisse revidieren das Bild vom exotisch-naiven Naturmenschen und zeigen Sibelius in seiner kreativen Individualität, die sich bewusst an den mitteleuropäischen Strömungen seiner Zeit orientiert. Im Mittelpunkt der Werkbetrachtungen stehen Gattungen wie Symphonie, Kammermusik und Vokalmusik, mit denen Sibelius heute Weltgeltung erlangt hat. (Verlagsinfo)
Tomi Mäkelä: Poesie in der Luft, Jean Sibelius – Studien zu Leben und Werk, Breitkopf & Härtel, 512 Seiten, ISBN 978-3765103636
Zum 50. Todesjahr von Jan Sibelius
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Das sternenglitzernde Genie
Eine kleine Euphorie
Jürgen Kirschner
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Vor 50 Jahren stirbt ein Musik-Genie: Jan Sibelius, der mit richtigem Namen Johann Julius Christian Sibelius gerufen wird, verlässt im September 1957 im Alter von 92 Jahren die Bühne der Welt. Eine Bühne, die er für Finnland errichtet hat. Das Land am nördlichen Rand Europas wird durch seine exzentrischen, klassischen Kompositionen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt – und weiter auf den Olymp der Musikgötter erhoben, wie er selber auch.
Der am 8. Dezember 1865 in der finnischen Provinz Hämeen lääni, in der Stadt Hämeenlinna, die mit schwedischem Namen auch Tavestehus genannt wird, geborene Jean, wächst zweisprachig auf. Neben seiner schwedischen Muttersprache muss er erst noch die urgrische Sprache Finnlands lernen. Während andere Musiker nicht von ihrem Faible oder gar ihrer Besessenheit loskommen, beendet Jean Sibelius seine künstlerische Schaffensperiode bereits in den letzten 20er Jahren des ausklingenden Jahrtausends, gut 30 Jahre vor seinem Tod. Er hat der Fachwelt doch nur mal eben zeigen wollen, wo es weiterhin lang geht. Er durchbricht Grenzen und neue Weiten in Sphären, die so nie zuvor auch nur erahnt wurden.
Das Genie, das die Musik der Klassik so grundlegend ins Wanken bringt und dabei doch kaum Nachahmer findet, die auch nur ansatzweise seinen Stil kopieren oder gar fortführen können, beendet auf dem Höhepunkt der persönlichen Karriere seine Kunst. Er zieht sich von den Bühnen der Welt, die für ihn selber nur kleine Bühnen waren, zurück.
Gut drei Jahre studiert Sibelius auch in Berlin und Wien. Zu seinen Lehrmeistern gehören neben Robert Fuchs auch Martin Wegelius und Albert Becker. Doch Komponist ist er damit noch lange nicht. Mit seiner Rückkehr aus der Fremde 1891 lehrt er an der Universität in Helsinki Musik. Anerkennung findet er, Johan Julius Christian, zuerst nur bei seinen Studenten, als Musiker der späteren Romantik und vornehmlich finnischer Volksmusik.
Doch dann kommt der Tag, an dem er seine Rente bezieht. Nun hat der finanziell abgesicherte Musikus Zeit, sich seinen eigenen Kompositionen und Werken zu widmen. Was er schließlich in Noten zu Papier bringt, lässt die Erde erbeben, die Fachwelt der Musikszene, sowie auch das Publikum in Grazie erstarren und Konzertsäle erzittern.
Extreme musikalische Gegensätze, die sich in einer so offenen, klaren Reinheit und Einfachheit spiegeln, und dabei höchste Konzentration erfordern, hat es bisher noch nicht gegeben. Der finnische Musik-Rebell erinnert an den einstigen jungen Mozart vergangener Jahrhunderte. Da kommt jemand, und die Musik ist nicht mehr das, was sie zuvor noch war. Es gelten plötzlich neue Maßstäbe. Doch nicht nur als einfacher Komponist der höchsten Riege wird Jean bekannt. Auch seine musikalischen Interpretationen der nordisch-finnischen Mythologie sorgen für Aufsehen. Wer das schwierige, finnische Nationalepos der Kalevala – das Land Kalevas – so gekonnt in Noten küren kann wie dieser Mann, der muss zwangsläufig mehr in seinen Adern haben. Da fließt nicht Blut, da strömen Noten und Melodien im Rhythmus wilder Orchester, so göttlich, als würde der Himmel vor Freude seine Zustimmung geben.
1953 wird das sternenglitzernde Genie der Szene mit dem nach ihm benannten Sibelius-Preis, als erster Preisträger, ausgezeichnet. Weitere Ehrungen erhält er dadurch, dass nach ihm der Sibelius-Park und das Sibelius-Haus, ein heutiges Museum in Hämeenlinna, sowie die Sibelius-Akademie in Helsinki benannt werden.
1957 verliert Finnland, das rückständige Arbeiter- und Bauernland vergangener Zeiten, am Rande der Zivilisation und in sich zerrissenes Armenhaus des Kontinents zwischen den wie schon so oft in seiner Geschichte kalten Kriegsmächten im Osten und Westen, seinen Friedensbotschafter der Musik in einem sich neu formierenden Europa auf der Schwelle hin zur Zukunft. ■
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Jürgen Kirschner
Geb. 1964 in Heggen/BRD, als freier Publizist und Schriftsteller zahlreiche Lyrik-, Prosa- und essayistische Publikationen in Anthologien und Zeitschriften
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