Glarean Magazin

Das Wiener «Kollegium Kalksburg» feiert Jubiläum

Posted in Essays & Aufsätze, Glarean Magazin, Kollegium Kalksburg, Musik, Stephan Urban by Walter Eigenmann on 16. Juli 2011

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15 Jahre Selbstzerstörung im Dienste des Wienerliedes

Stephan Urban

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Das Kollegium Kalksburg im Wirtshaus…

Es gibt ja verschiedenartige Theorien, warum Wien eine derartig lebendige Independent-Musikszene hat – die wahrscheinlichste ist wohl, dass diese Stadt im Herzen Europas liegt und sich die hier beheimateten Musiker in alle Richtungen frei orientieren können. In diesem Sinne heißt es auch wohl teilweise zu Recht, dass östlich von Wien der Balkan beginnt.
Das sogenannte Wienerlied – das sich bei genauerer Betrachtung einer präzisen Definition ebenso erfolgreich entziehen kann wie die Enden des Regenbogens einer Erreichbarkeit – passt wohl auch nur in diese Stadt. Sein Spektrum reicht vom Straßenlied über Couplets und Spottlieder bis hin zum Kunstlied, primär geht es inhaltlich um ein Besingen der (zum Teil vermeintlichen) Vorteile Wiens, um Weinseligkeit, alkoholisch begründete Aggressionen und natürlich um die Darstellung des Wieners als Raunzer, als schwermütigen Melancholiker und prophylaktischen Pessimisten.
Gemeinhin gilt das typische Wienerlied spätestens seit dem legendären Schrammelquartett als dahingestorben, und alle selbst- oder fremdernannten Erneuerer haben mittlerweile eine große Zukunft hinter oder eine große Vergangenheit vor sich.

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Unbeugsame Gestalten aus dem Wiener Untergrund

Wir schreiben das Jahr 1996. Alle? Nein! Drei unbeugsame Gestalten aus dem Wiener Untergrund leisten erbitterten Widerstand und haben damit das Genre des Wienerliedes nicht nur wiederbelebt, sondern auch weiterentwickelt und außerdem völlig andere Musikrichtungen beinahe zappaesk und wie selbstverständlich integriert. Die Rede ist von Heinz Ditsch (Akkordeon, Singende Säge, Fagott, Gesang), Paul Skrepek (Kontragitarre, Schlagzeug, Gesang) und Wolfgang Vinzenz Wizlsperger (Gesang, Euphonium, Kammblasen und Moderation).
Gemeinsam mit dem umtriebigen Stefan Sterzinger bildeten Heinz Ditsch und Wolfgang Vinzenz Wizlsperger seit 1986 das nicht gerade erfolgsverwöhnte Blues-Trio «Franz Franz & the Melody Boys», welches 1992 durch Paul Skrepek am Schlagzeug verstärkt wurde. Aber zwei Jahre später war der Ofen aus, die Combo wurde einvernehmlich aufgelöst.

Texter, Kammbläser, Moderator, Sänger, Tenorhornist: Wolfgang Vinzenz Wizlsperger

In diese trostlose Situation hinein platzte nun 1996 bei Paul Skrepek ein Anruf der Veranstalter des «Herz-Ton-Festivals», die jenen wohl mit dessen Cousin Peter Paul Skrepek, Gitarrist der legendären Band von Hans Hölzel, weltweit besser bekannt als Falco, verwechselt hatten. Angefragt wurde, ob Herr Skrepek nicht so etwas wie moderne Wienerlieder für dieses Festival kreieren und diese auch zur Aufführung bringen könnte. Paul Skrepek schaltete schnell, sagte zu und aktivierte seine alten Mitstreiter.
Der Gruppenname war schnell gefunden; Von Paul Skrepeks Wohnzimmerfenster fällt der Blick direkt auf das Kollegium Kalksburg, eine Eliteschule, welche in unmittelbarer Nähe einer Trinkerheilanstalt liegt. W.V. Wizlsperger schrieb dann sogleich sein erstes großes Lied «Ois junga Mensch» und einen eher unanständigen Text zu einem angedeuteten Beatles-Thema namens «Vier Jahreszeiten». Zusätzlich studierte man noch «A oides Wossabangl» von Karl Savara & Rudi Schipper sowie «A scheene Leich» von Leibinger und Frankowski ein.
Das war natürlich zu wenig, um ein einstündiges Programm zu gestalten, aber die Zeit war knapp. So wurden die Lieder humorig in die Länge gezogen, und der stegreifstarke Herr Wizlsperger unterhielt das Publikum zwischen den Liedern mit überaus heiteren Moderationen. Das Konzert war der Geburtsschrei einer großartigen Formation, ein voller Erfolg – und gilt heute noch bei allen, die dabei gewesen sind, als legendär. Leider gibt es bis dato keine Aufzeichnung davon, ein Umstand, der sich dem Vernehmen nach aber bald ändern wird. Doch dazu später. Jedenfalls wurde das Erfolgsrezept weiterentwickelt und verfeinert – der Rest ist Geschichte…

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Eine Band voller Atmosphäre, Humor, Betroffenheit und Anmut

Das erste Kalksburg-Album 1997: «Bessa wiads nimma»

Nach weiteren erfolgreichen Auftritten erschien 1997 das erste Album «Bessa wiads nimma» (Besser wird es nicht mehr). Es wurde ein regionaler Erfolg und erntete hervorragende Kritiken. In der ursprünglichen Form ist es schon lange nicht mehr erhältlich, wurde aber kürzlich – aufgemascherlt durch viele, aber unverzichtbare Bonustracks – neu aufgelegt.
Auf diesen Lorbeeren ruhte man sich keineswegs aus, eine Zusammenarbeit mit dem Koehne String Quartet führte 1998 zu dem ebenfalls längst vergriffenen Album «Oid und blad» (Alt und dick), das nur 22 pralle Minuten lang war und 2005 neu aufgelegt wurde. Durch wertvolles Zusatzmaterial erreicht die CD nun eine Spielzeit von 48 Minuten.
1999 wurde das Album «Sis Wos Se Bittls» produziert, das unter anderem einige in Mundart übertragene Beatles-Covers enthielt (aber auch z.B. eine Live-Version des Gassenhauers «Hinz und Kunz»). Die Rechte-Inhaber einiger der darauf vertretenen Songs verweigerten allerdings die Freigabe, und so war dieses Album nie offiziell erhältlich, steht aber auf der Website der Künstler als Gratisdownload zur Verfügung. Wer einmal z.B. «Yesterday» als «Blosndee» (Blasentee) gehört hat, wird das Original nie mehr ohne Erheiterung hören können. 2000 erschien schließlich, ebenfalls sehr ambitioniert, «S spüt si o» (Es spielt sich ab), bei dem erstmals der großartige Klarinettist Martin Zrost mitwirkte.

Ambitioniertes Konzept-Projekt: «A Höd is a Schiggsoi» (2003)

Mit dem 2003 aufgelegten Konzeptalbum «A Höd is a Schiggsoi» (Ein Held zu sein ist ein Schicksal) legten die drei Musikanarchisten ihr wohl ambitioniertestes Werk vor – ein Album, das offenbar geboren werden wollte, das Homers Odyssee in die Wirtshäuser verlegte, ein dringliches Werk, das wie kein anderes zeigt, dass bei dieser Formation immer große Kunst entsteht, egal, was da herausgelassen wird. Martin Zrost steuerte ein entfesseltes Klarinettenspiel bei, und die japanische Performance-Künstlerin Yoshie Maruoka verzauberte mit verbindenden Texten die eigenartigen Gesamtstimmung des Albums.
2005 erschien «Imma des Söwe» (immer das Selbe), eine Platte, auf dem die drei Herren wieder mehr zu den wienerischen Wurzeln zurückkehren, das aber trotzdem mehr als nur einen Hauch von globalen Weltmusikeinflüssen beinhaltet.
2008 wurde das meiner Meinung nach zugänglichste Album «Wiad scho wean» (wird schon werden) veröffentlicht, das erstmals eine Georg-Danzer-Cover-Version (Ruaf mi net au) enthielt und in weitere – bisher leider nur live zu hörende – großartige Interpretationen von Liedern dieses zumeist völlig unterschätzten österreichischen Musikers ausarten sollte.

Die drei «Kalksburger» Heinz Ditsch, Paul Skrepek und Wolfgang Vinzenz Wizlsperger beim Wiener Heurigen

Im Herbst 2010 führte dann die Zusammenarbeit mit Martin Zrost und Oskar Aichinger (Piano) zu dem wohl bisher ehrgeizigsten Projekt des Klangkombinats Kalksburg, dessen musikalischer Output sich nunmehr weit vom Wienerlied entfernt. Verstärkt mit Thomas Berghammer (Trompete), Hannes Enzlberger (Bass), Christian Gonsior (Saxofon) und Clemens Hofer (Posaune) trat man z.B. mehrmals im Wiener Jazz-Club Porgy & Bess auf. Paul Skrepek bedient statt der Kontragitarre in dieser Formation das Schlagzeug und zeigt dabei, dass er ein absoluter Weltklasse-Drummer ist, der selbst in dieser «Big-Band» Akzente setzen kann.
Eigene Lieder aus der bisherigen glorreichen Vergangenheit werden ebenso verabreicht wie neues Material, völlig respektlos zeigt man dem «Buena Vista Social Club» vor, wie man sowas in Wahrheit herbläst und welche Texte da wirklich dazu gesungen werden müssen; «Arrivederci Roma» wird gespielt wie eine Schallplatte, die dauernd hängen bleibt und dann weiterspringt, das Original wird dadurch für alle Zeiten unanhörbar, und man kann nur staunen, wie spielerisch derart schwierige Aufgaben gelöst werden.
Zudem gibt’s Brachiales in jeder Form, dass es nur so kracht, und nicht mal vor Robert Stolz, Udo Jürgens oder Adamo wird halt gemacht. Eine Band also, die eine Fülle an Atmosphäre, Humor, Betroffenheit und musikalischer Anmut bereitstellt.

Das Trio verstärkt zum Klangkombinat mit Thomas Berghammer (Trompete), Hannes Enzlberger (Bass), Christian Gonsior (Saxofon) und Clemens Hofer (Posaune) im Radio-Kulturhaus des ORF

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Dreitägige Band-Jubiläumsfeier im Spittelberg-Theater

Mitte September wird im Wiener «Theater am Spittelberg» drei Tage lang das Bandjubiläum gefeiert werden. Am ersten Tag wird in der Urformation gegeigt, am zweiten Tag wird «A Höd is a Schiggsoi» aufgeführt, am dritten Tag soll – chronologisch korrekt – das Klangkombinat aufspielen. Dem Hörensagen nach wird bei dieser Gelegenheit ein neues Album präsentiert, dem als Bonus-CD das legendäre erste Konzert beiliegen soll.
Wenn nun ein wenig der Eindruck entstanden ist, dass das Kollegium Kalksburg in erster Linie eine Cover-Band sei, so möchte ich diesen in aller Deutlichkeit zurechtrücken. Alle drei Musiker schreiben eigenständige Lieder, die einerseits der Wiener Tradition verpflichtet sind, andererseits einen unverkennbaren Stil aufweisen und durch den ganz eigenen Sound dieser Formation ein Eigenleben entwickeln, wie man das sonst nur bei den ganz Großen findet. Auch die Texte des Kollegiums, für die primär W.V. Wizlsperger verantwortlich zeichnet, führen dort weiter, wo z.B. ein Helmut Qualtinger aufhören musste – und das auch noch mit Riesenschritten: Sie sind Paradebeispiele dafür, wie sich hundsordinäre Ausdrücke, Weinerlichkeit und Weinseeligkeit, verkaterte Aggression, banale Einsichten, große Weisheiten und aussichtslose Tragödien zu großer Kunst ausformen können.
Nicht zuletzt durch die Tätigkeit dieser drei Gestalten hat das Wienerlied wieder in der österreichischen Musikkultur Fuß gefasst, und Formationen wie «Die Strottern» oder auch die «Mondscheinbrüder» zeigen mittlerweile auf, dass neues Publikum für diese Musikform interessiert werden kann. Auf die Entwicklungen der nächsten 15 Jahre darf man also gespannt sein. ▀

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