Vier Gedichte von Matthias Berger
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schiebt,
schiebt sich mir zu.
zieht,
zieht,
entzieht sich mir.
schillerndes schieben,
gurgelndes ziehen.
etwas
bedarf meiner nicht,
ferner als ich:
sinai.
dornbusch,
zypresse
und gischt.
riecht doch
nach mir.
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Erste Ode an den Klinikpetrus
Du
wagst ja
keinen Schritt vor die Tür.
Fürchtest
jedes Wellenspiel des Lebens.
Aber dein Herz
ist rein
wie bester kubanischer Tabak!
Nur du,
– nur du –
liebtest
die Multi-
morbide.
Wie hiess sie doch?
Die mit den asiatischen Augen…
Mit deinen Tränen um sie
salbt ER
seine müden Füsse,
und
auf Menschen wie dir
baut ER seine Kirche.
Dein unablässiger Rauch
ist IHM würdig und recht.
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kommunion
(für Paul Celan)
einmal
da traf ich ihn
da mahlte er
das korn des zweifels
das ich
aus den ähren
der gewissheit
geklaubt hatte
dann buk er
das wundbrot
brach es
und gab mir
einmal
da traf ich ihn
da presste er
die trauben der bitternis
die ich
vom weinstock
der gemeinschaft
geschnitten hatte
dann kelterte er
den schmerzwein
nahm den kelch
und gab mir
(Inspiriert von „Einmal“, Paul Celan, Atemwende 1967)
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Zweite Ode an den Klinikpetrus
Ich fürchte den Tod
– sagst du.
Aber
es war doch das Leben,
das dich gegürtet
und dich geführt,
wohin du nicht wolltest!
Den Tod sollst du
nicht fürchten.
Für dich
ist er
ein grobschlächtiger Engel.
Er umfängt dich
mit seinen Flügeln
aus geschlissenem Loden.
Sein Heiligenschein:
Das Glimmen
der stinkenden Zigarre
im zahnlosen Mund.
Furchtlos
wirst du ihm folgen
ins rauchverhangene
Paradies.
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Geb. 1961, aufgewachsen bei Bern, Studium der evang.-ref. Theologie in Bern und Nairobi, acht Jahre Gemeinde-Pfarramt, 4 Jahre Psychiatrieseelsorge, seit 2002 Gefängnis- und Spitalseelsorger im Kanton Zürich, schreibt Lyrik, Theaterstücke und Kunstwissenschaftliches, lebt in Zürich
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Drei Gedichte von Susanne Rasser
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Richtungsweisend
Atem schöpfen, die Schultern
ausrichten. Den Kopf, den Blick
nicht senken.
Die schlechten Karten
wie Trümpfe auf den Tisch
legen. Abstoßen.
Aufstehen. Die Sohlen vom Boden
lösen, den Schritt
abfedern. Und dann,
immer den eigenen Füßen
nach, sie zeigen unverwandt
nach vorn.
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Erstes Abendmahl
Nimm dir ein Herz,
gern auch meins,
fasse Fuß
im Mut.
Gib dem Zweifel
keinen Brösel
von dem Brot,
das ich buk,
das du nun
für uns brichst.
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Bankrotterklärung, abgerissen
Kein Haus. Kein Baum. Kein Kind.
Keinem Staat und auch der Kirche nicht.
Null Dienstbarkeitsgefühl. Kaum Machtgelüste.
Zig Träume in den Sand der Welt gesetzt.
Mal da, mal dort, mal schwer vermittelbar.
Gelebt: geliebt. Gelacht. Genossen.
Manch‘ Scherbe in den Fuß getreten,
somit aus dem Weg geräumt.
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Geb. 1965, lebt als Autorin von Lyrik, Erzählungen und Drehbüchern in Rauris/A
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Lyrik von Werner K. Bliß
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Drei Textminiaturen zur
Ausstellung Christoph Meckel
Zeichnungen und Grafiken,
Georg Scholz Haus Waldkirch / BRD
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am grashang
sagst du
mitten im winter
sagst du
kommt keine
flocke zu uns
denn das hornvieh
sagst du
am horizont
sehnt den sommer
während
der maulwurf
zimmertüren
in kindheiten
öffnet
eiszapfen wärmt
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dein gesicht
clarisse
dein lächeln
clarisse
schaukelt durch
dein haar
öffnet
bilder
augenherzen
zähmen elefantenzähne
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zurückschaukeln
in kindheitstage
ungefragt
halten
engel
hände
über sie
seitenblicke
handzarte
wärme
inmitten
verspäteter winter
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Geb. 1950, Pädagoge, zahlreiche Lyrik-Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Online-Portalen und Anthologien, lebt in Hausach/D
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Kurzprosa von Oliver Gassner
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Freudiana I & II
Oliver Gassner
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FREUDIANA I
Er holt mit der machete aus und schlägt in die grünen pflanzenleiber.
So bahnt er sich seinen weg.
Mit leisem zischen gibt die luft ihm raum.
Das knacken des schlags das feuchte geräusch wenn die klinge sich
wieder vom stengelfleisch löst klingen wie gebete in seinen
gottesohren.
Als er die augen öffnet klebt an der machete blut.
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FREUDIANA II
Das erste was man an ihm bemerkt ist die rechte hand im schwarzen
handschuh zur faust geballt. Im sessel sitzend hat er den ellenbogen
auf die lehne das kinn seitlich in die lederfaust gestützt. Scheinbar
teilnahmslos die lider halb geschlossen formen die lippen lautlos worte
einer vergessenen sprache, die ergrauten haare wollen nicht recht zur
jugendlich muskulösen Statur des fremden passen. Nur in den
hellgrauen augen des schmalen gesichts finden sich spuren von
schrecken schmerz leid. Er wird warten. Bis der junge mann zu ihm tritt
und ihn nach seinem leiden fragt. Und antworten. Unsterblichkeit.
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Geb. 1964 in Hegau/BRD, langjähriger Mitherausgeber der eingestellten Literaturzeitschrift ‘Wandler’, verschiedene Veröffentlichungen in deutschsprachigen Literaturzeitschriften, schreibt nach Ausflügen in Copy Art und experimentelle und digitale Literatur und nach einer Kreativpause wieder Gedichte.
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Drei Poesien von Magdalena Jagelke
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Zu lieben
Ich stand am Fenster ich warf Blumen. Traf eine Blume dort unten jemanden, ein Wunsch, ich flüsterte Herz antworte.
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Mär
es ist stets dieselbe Mär das fromme wildgewordene Volk treibt ihn durch das Dorf und es greift ihn das Volk schubst ihn in ein Feuer er jedoch fleht das fromme Volk an: ich will leben! lasst mich leben! das fromme Volk ist unbarmherzig es antwortet nein Bestie stirb! an dieser Stelle der stets selben Mär wird er wach und er schreit
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Herz
Das Herz ist umschlossen von Pöbeleien.
Es schimpft, lässt die Landschaft welken.
Es grölt schmerzt, ich spuck’s in die Aussicht.
Es folgt dem Zug. Ich bin auf der Flucht.
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Geb. 1974 in Polen, 1986 Auswanderung nach Norddeutschland, Studium der Anglistik, Publikationen in Buch-Anthologien und Literaturzeitschriften, lebt seit 2002 in Köln
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Lyrik von Johanna Klara Kuppe
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Seiltänzerin
die blüten im
korb blühen
nicht zartrosa das
kleid den kopf
gesenkt auf dem
seil schweben die
augen abschied angst
in den füßen
gestern sie weiß es
noch blühte das
all
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vielleicht hans
hans im glück heißen
alles schwere ab
geben gehen laufen
tauschen alles gegen
luft wind wiesen
unbekümmert
viele augenblicke hans
hans im glück
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Wien
blendet gold
weiß ratlos dein
herz schunkelt im
wiener wald
rote teppiche treppen
hinauf prickelt
sekt im rücken im
kino flimmert
weiter rosa blick
über die taiga
deine hand sucht
mein bein und höher
hinauf blaut der
himmel
stand by me winken
die statuen mit
fallenden blättern
stand by me
singst du ich lache
frost atmet im park
von schönbrunn
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Geb. 1948 in Wuppertal/D, Erzieherin, Musikalienhändlerin, Veröffentlichungen in verschiedenen Anthologien, lebt in Waiblingen/D
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Johanna Kuppe: Zwei Bild-Lyrismen
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im schatten insel
hafen im meer felsen
burg bruchstein
mauern schlüssel das
offene tor unter schwarz
pappeln ankert der
kahn unter schwarz
himmel vom weißen
balkon der blick:
ohne begrenzung
weite sicht
(zu Arnold Böcklin: Toteninsel – 1883 / Bild rechts)
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………………….sitzen auf der PIAZZA
………………….stehen im langen
………………….SCHATTEN wortlos die
………………….türme der kathedrale
………………….ansonsten
………………….LEERE die steine
………………….dösen am mittag faul im
………………….folgsamen rhythmus zeit
………………….loser ZEIT schwanken
………………….KOPFLOS die KÖPFE ab
………………….gelegt im bunt
………………….gelackten gedanken
………………….kasten vertrocknen
………………….die wörter
………………….(zu Giorgio de Chirico:
………… Die beunruhigenden Musen –
………………….1917 / Bild links)
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Geb. 1948 in Wuppertal/D, Erzieherin, Musikalienhändlerin, Veröffentlichungen in verschiedenen Anthologien, lebt in Waiblingen/D
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Lyrik von Martin Kirchhoff
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Klaipeda. Rundgang
Stimmenvoll, die Klänge,
sagen, werden getragen
ins Gehör, die Fragen
Worte, Sprache, die Klänge
hier, fremd mir,
Sprache, kräftiger Stier
Tauche ein, die Klänge
schweben, Träume erleben,
Worte, tiefe Orte
Stimmenvoll, die Kultur
hören, Sprache kann betören,
Klänge, gleich Chören
Tauche ein, Sprache fremd,
bester Wein, den niemand kennt;
schöner Klang, heimisch hier
Gesänge, fremd und in mir
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Bahnhof der Lufttrinker
Halb erblindet unter der Brücke
Bahnareal, Schienen, Gräser
S-Bahnen humpeln eisern dahin
Bettler, Mensch, Arbeitsloser
rattert der Zug, rattert die Zeit, rattert die Luft
es steigen Menschen in die Vergangenheit der Leere
es geht was kommt, alle wissen was keiner weiß
rattert das Leben, rattert der Traum, rattert das Sein
Halb sehend unter der Brücke
Ruinen, Flächen, Schotter
Gestalten stolpern glaubend umher
Lieder, Morgenrot, Hoffnung
vergeht was ist, vergeht was glaubt, vergeht was vergangen ist
es kommen die Toten in die Zukunft der Gegenwart
es kommt was geht, alle wissen was keiner sagt
vergeht der Tod, vergeht das Nichts, vergeht der Schein
Schräge Vögel im Bahnhof der Lufttrinker
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Ankunft
Wellen, die Boten,
sie becircen meine Seele,
die Möwen rufen
sie zaubern mir Flügel
Ein grünes Boot legt an
Wind, der Flüsterer,
er nimmt meine Seele,
die Gedanken schweben
sie zaubern mir Farben
Ein grünes Boot legt ab
Seele, der Sucher,
nimmt an die Wellen,
die Gedanken zaubern
sie rufen die Möwen
Eine Seele kommt an
Seele wird Welle
Welle wird Bote
Bote wird Möwe
Sie rufen mich
Angekommen im Meer
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Geb. 1954 in Leonberg/D, zahlreiche Lyrik- und Prosa-Publikationen in Büchern, Zeitschriften und Anthologien, verschiedene Literaturpreise, lebt als Zeitungskorrektor in Leonberg
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Lyrik von Klaus Martens
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Was Herbst heißt
Herbst heißt Enden vor dem Schluss,
Wandlung der Farben zum Ende hin,
zum Saftrückfluss, zum Fall, zum Abfall,
zunächst dekorativ auf Stein geweht
oder ausharrendem Gras,
das nicht mehr wächst, doch irgendwie grün ist,
totgrün, nicht lebendgrün,
totrotes Laub, schwarz umrandet,
schlechte Nachrichten an die Hockenden
im Boden, in Hecken und Verstecken,
die nicht entfliehen können –
die Ausharrer übers Enden hinaus,
Gewinner, Verlierer in der Wetterlotterie,
oder wie abgeschlagene Tannen im
Januar, gefühlsbekränzte Tote
vom Leben allzubald verbrannt.
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Der Himmel ist blau
Es weht kalt vom Garten herein.
Sonne und Himmelsblau täuschen.
Das Kreuzbein sitzt fest –
Herbstschmerz. Masseure
haben Hochbetrieb.
Im Takt von zwanzig Minuten
wird das Bein gestreckt, gehoben,
werden Wirbel geknetet,
dann der nächste arme Kerl.
Dabei ist es nur Herbst. Es wird
kälter, die Natur (der Körper)
zieht sich zusammen, die Sehnen,
die Gelenke schleifen,
und es schmerzt im Herbst,
ein weiterer Abschied von Wärme
und Jugend und Gelenkigkeit,
doch der Himmel bleibt sonnig
und blau. Kälte weht herein
aus dem schon verlorenen Garten.
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Geb. 1944 in Kirchdorf/D, Studium der Anglistik und Germanistik in Göttingen, Promotion 1979, zwischen 1979 und 1989 Lehraufträge an den Universitäten Göttingen, Münster und Kassel, zahlreiche literaturwissenschatliche und übersetzerische Publikationen in Büchern und Zeitschriften, Mitglied des PEN Deutschland, diverse Lyrik-Veröffentlichungen, lebt als emer. Universitätsprofessor in Saarbrücken/D
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Lyrik von Julietta Fix
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Ein Fest
Da steht einer den du kennst
am Rand, an den Zaun gelehnt,
die Hände in den Taschen
Da streift ein leichter Wind
über den Platz und wirbelt Sand
auf bis unter die Achseln
Da duftet es nach Früchten
gebackenem Brot und Humus
auf den Bänken sitzen Fremde
Da geht dir ein Lied durch den
Kopf von irgendwoher nach irgend
wohin rutscht es weg
Da stehst du auf und lehnst dich
an den Zaun, vergräbst die Hände
in den Taschen
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Die innere Behörde
Das Sprechen ist ein Tier
und das Ofenrohr der Bote
Gestern aß ich die Krümel
vom Tisch und morgen
fange ich mit den Stuhlbeinen
an.
Als die Tage noch 24 Stunden
bargen, schliefen die dicken
Käfer in den Kacheln.
Heute sprengt die Sonne
die Panzer, lässt Luft an die
Haut.
Schwach ist das Licht, sehnig
der Bogen über den Augen. Innen
weht eine Fahne, Zeichen aus
Zeiten in denen das Wichtigste
nicht geschah. Ein Tausendfüßler
erinnert sich.
Hoch oben auf der Straße die
den roten Staub aufwirbelt zieht
eine Karawane. Esel sind stoisch.
Die Tage werden kürzer. Der Panzer
strickt sich ein neues Kleid. Außen
nichts.
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Platz
Im Vorhaus brennt die Zugluft. Kahle
Wände die Röhren unter Putz. Das Licht
scheint unerbittlich.
Silberfische in den Fugen amüsieren sich
in kalkigem Wasser. Feste feiern wie sie fallen.
Das Tempo zeigt Geduld. In den dunklen
Treppenhäusern segeln bunte Kissen
von oben nach unten.
Platz bedeutet nicht unbedingt Platz.
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Geb. 1957 in Würzburg/D, Prosa- und Lyrik-Veröffentlichungen in Buch-Anthologien und Zeitschriften, lebt als freie Autorin und Herausgeberin von FixPoetry in Hamburg
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Drei Worte-Gedichte von Wolfgang Luley
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Zufall
gedichte
schreiben ein zufall
ein zu fall bringen
von ballast
ein sich ballen ein sich aus
balancieren und ein
stimmen mit worten
ein brückenschlagen beiderseits
ohne beschwörungen und schwurbezeugungen
einander begegnen
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Am Puls der Wörter
Ich lebe
über Moden gehend
abseits
aber ich höre stets
den Puls der Wörter
und werde verstimmt
vom Rauschen der Laute
Ich: richtend gerichtet
von den bleibenden
den wahren Worten
wie eine
verstimmte Laute
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Sprache
Die Sprache ist mein Feld
und das Wort mein Pflug.
Die Sprache ist mein Gefälle
und das Wort mein Seil.
Die Sprache ist meine Fülle
und das Wort mein Plan.
Die Sprache ist mein Feld
und das Wort mein Stein.
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Geb. 1975 in Mannheim; Japanische Lyrik; Ernste und heitere Kurzprosa; Mitglied des Bundesverbandes junger Autorinnen und Autoren
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Lyrik von Klaus Martens
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Mondgedicht
Ein wenig eingedellt, unten links,
Altersschatten über den Backen,
unter den Augen, auf jeden Fall:
Bald prall, voll, Cortison-Mond –
Mondgesicht, wie man sich’s vorstellt,
alterslos-alt, ausgefüllt, eingefüllt
wie ein Formular, Antrag auf Ope –
ration, einmal im Mond, Botox –
Mondverzicht bei tiefer Wolke,
doch Mond ist Pflicht, ich liebe dich,
wenn Mondlicht ist, so hell und rund,
ich: blind und dumm, mondsüchtig.
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Treibholz
Dieses fast enthäutete Stück Holz von einem vergessenen Strand
kann nicht mit einer in Bewegung erstarrten Schlange
verwechselt werden, die kieferartige Spreizung an einem Ende ist
kein zahnlos aufgerissenes Maul.
Hier und da sind braun gefleckte Fetzen Rinde fest geblieben
über dem hell und glatt gespülten Leib des gewundenen Holzes.
In den Gabelungen der zwei abgesplitterten Äste nisten –
ja, was? – ein fast versenktes, flaches, graues Steinchen
und, am Kopfende des leicht gewordenen Körpers, ein wohl runder
Stein, die auf dem Holzweg mitgenommen worden sind
und nun, nachdem sie beinah Teil geworden waren,
Kugellager fehlender Gelenke, Ruhe haben.
Ich hab verstohlen an dem Fund geschnuppert, ob nach Jahren noch
Geruch von Meer und Tang und Salz als feiner Hauch
vorhanden wären, ausgelöst aus brauner Haut durch meinen warmen Atem,
doch war da nichts zu spüren; der Rest blieb Ansichtssache.
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Fernweh
Alles drängt sich
in Bella Coola,
in Ashtabula
in Ganz-weit-weg.
Such den Nachbarn
in Owajema,
in Iwo Jima –
schon vor dir da.
Ach, bleib Zuhause
in Posemuckel,
in Huckelriede,
wenn du dich traust.
Erzähl von Bären
in deinem Zimmer
oder auch immer,
wohin du schaust.
Alles drängt sich
in deinem Kopfe,
unter dem Schopfe,
es ist ganz nah.
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Geb. 1944 in Kirchdorf/D, Studium der Anglistik und Germanistik in Göttingen, Promotion 1979, zwischen 1979 und 1989 Lehraufträge an den Universitäten Göttingen, Münster und Kassel, zahlreiche literaturwissenschatliche und übersetzerische Publikationen in Büchern und Zeitschriften, Mitglied des PEN Deutschland, diverse Lyrik-Veröffentlichungen, lebt als emer. Universitätsprofessor in Saarbrücken/D
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Steffen M. Diebold: 4 Jahreszeiten-Gedichte
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Pflegeheim
Was bleibt vom Tage
Stopfei und Nadel,
ein Fingerhut?
Aus dem Nähkästchen
geplaudert ein Leben
lang viel Lärm
um nichts.
Die Stehlampe der Zimmerecke,
ein paar vergilbter Fotos Alben
ein Stein, ein Epitaph –
ist es denn rechtens,
dass die Kinder vor den Eltern gehen?
Radio, Sessel, Stuhl und Bett
das Zimmer ist geräumt
noch vor die Asche
sich im Wind zerstreut.
Das Türschild abmontiert,
entsorgt die angebrochenen
«Korega-Tabs» unter den Briefen
das Grußwort der Stadt.
Was bleibt –
ein Leibfell aus Katzenhaar, das Brillenetui,
und an der Wand
«Jesus als Hirte».
Was bleibt –
an jenem Märzmorgen, der
Eiswind in den Haaren
der Kondolenten im Gegenwert
von Sperlingstränen.
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Terrassensommer
An langen Spießen spreizen
oleanderrote Kelche
instruieren zur Landung
ansetzende Paarflügler.
Lauer Wind
schüttelt die Falter
vom Flieder, und im Teich
schlendert ein toter
Fisch unter den Stein.
Am gallischen Tontopf
schwillt dekorativ
der Holzhahn, überhaupt viel
Terracotta und mediterranes
Art Deco, stilvoll drapiert,
die weniger geistvolle Amsel
stillt ihren Durst am
«Baseng» während ein dreister
Spatz über die Steingutkübel
scheißt, was für ein blendender
Sommer!
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Dienstfahrt ins Wochenende
Durch die Schatten der Frühe
fällt der Schweif des Septembers,
die Nebel lichten über
Ostrach und Upflamör.
Vom Weißdorn bewacht
steht ein Feldkreuz,
und Schneemarbeln lauschen
dem Lachen der Vögel.
Gegen weitläufige Himmel
ziehen die Wiesen,
dort schimmert rotäugig
das Obst im Gebälk.
Lichtfäden zittern
am Fachwerk.
Aus den Augen keil
mir den glimmenden Span,
wärmende Heimat
halt Hof
wieder.
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Hotelpool im Winter
Tauwassergesättigt, ihre
Bobbies an den Pool geräkelt,
sie zwitschern einen,
den andern legen sie
flach mann
und Sekt, schmeckt
frau herrlich.
Whirlperlen im Delta,
während draußen Frau Holle
die Flauschhemdchen schüttelt,
dralle Mädchen, alle
in zu engen
Eisbärkostümchen, Zuckerrüben
mit weißen
Kapuzen.
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Geb. 1967, Studium der Rechtswissenschaften, der historischen Hilfswissenschaften und der Pharmazie in Tübingen, Frankfurt und Göteborg, verheiratet, zwei Töchter; Kompositionen von Klavierliedern und für gemischten Chor (a capella), zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, verschiedene Auszeichnungen, lebt, arbeitet und dichtet am Fuß der Schwäbischen Alb.
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Lyrik von René Oberholzer
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Punta Scario
Die Gedichte pfeifen ums Haus
Peitschen an die Fensterscheiben
Ich lasse sie hinein
Sie rasen durch mich hindurch
Wenn sie verschwunden sind
Schreibe ich sie an die Wände
Dann ist es fast unendlich ruhig
Ich schaue mich lange im Spiegel an
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Dämmerung
Die Mittagsgedichte sitzen tief im Sofa
Sind breit und schwer
Würden sich gerne mitteilen
Doch die Sonne steht hoch
Erst wenn sie untergeht
Gehen die Gedichte nach draussen
Beginnen zu schreien
Und immer schneller zu laufen
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Einseitig
Der Himmel hängt
Voller Gedichte
Ich habe sie
Für dich aufgehängt
Du wartest nur
Auf den nächsten Regen
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René Oberholzer
Geb. 1963 in St. Gallen/Schweiz, schreibt seit 1986 Lyrik, seit 1991 auch Prosa, lebt und arbeitet als Sekundarlehrer, Autor und Performer in Wil/Schweiz
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Lyrik von Charlotte Ueckert
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Beim Hindernislauf
Ist die Liebe ganz vorn
In die Weite geworfen
Die Beine und immer kurz
Vor einem Sturz
Sie will siegen
Und zieht mich
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Ein Spruch
Nach all dem Hunger
Auf unverschämtes Glück
Gewöhnt
An die Wiederholungen
Der Jahreszeiten
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Die Ratten sind weg
es gab eine Zeit
da nagten sie unter den Bohlen
im Haus
da liefen sie
über Terrasse und Gras
und tanzten in der Garage
Die Ratten sind weg
seit einiger Zeit singen
wieder die Vögel
und der Apfelbaum
blüht auch noch einmal
und für alle sieben mageren
Jahre siebenmal üppig
Die Ratten sind weg
ich werde auf den Kompost
Kartoffelschalen werfen
und die Tür kann ich öffnen
Scherenschleifern und Zeugen Jehovas
und die Bäume wiegen
das Gewicht heruntergefallener Träume
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Wie Sprache funktioniert
Abends kommen die Bienenfresser
Mit spitzen Schreien
Segeln sie scharf unter Wolkengeball
Bis in die Gassen fast
In die Fenster und mir um die Ohren
So klein flattrig
In liebenswürdigem Schnitt
Spielende Kinder die ein Lächeln wollen
Und mich aus dem Verstummen
In Worte zwingen
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Geb. 1944 in Oldenburg/D, Studium der Literaturwissenschaft, Psychologie und Kunstgeschichte, wissenschaftliche Mitarbeit an der Universität Hamburg in den Bereichen Exilliteratur und Nachkriegsliteratur, verschiedene Buchpublikationen, Herausgeberin von Anthologien, Mitglied des PEN, lebt als freie Autorin in Hamburg
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Drei Zeit-Gedichte von Matthias Berger
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Wochenbett
Ich sah
wie sich
ein Härchen
vom Lid
des Säuglings
löste
Alles
eine Frage
der
Zeit
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noch nicht
in der wehmut
des
noch nicht
fällt
jeder
kiesel
dir
zu
auch der
stundenschlag
wirft
gegenwart
in die
stille
in ihr
werden
deine augen
kelche
für farben
noch
verkrustet
dein blick
nicht
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ekstase – gravitation
heraustreten
aus dem brachland –
einen lerchenjubel lang
im himmel
aber
finden
lungenflügel
keinen
halt
pflugversuche wagen
erdling –
trittsicher
werden
und wieder
heraustreten –
nur
einen lerchenjubel lang
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Geb. 1961, aufgewachsen bei Bern, Studium der evang.-ref. Theologie in Bern und Nairobi, acht Jahre Gemeinde-Pfarramt, 4 Jahre Psychiatrieseelsorge, seit 2002 Gefängnis- und Spitalseelsorger im Kanton Zürich, lebt in Zürich
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Lyrik von Bruno Schlatter
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Höhenwegkoller
angesichts des Schweißes
keine Überraschung
Schritt um Schritt
den Beizen zu
Hummeln ficken Rotklee
Erdgrillen schnurren
im Gebüsch klapperts
wie Schlangen
Meckernde Ziegen
abseits der Gemsställe
plötzlich riecht es nach Walderdbeeren
Kurze Halte
hoch über dem Tal
Blick auf Alpen
und Bahn
Donnernde Bäche
stieben über Felsen
aus verkarsteten Höhen
Baumlosigkeit
öffnet die Erde schutzlos
der Erosion
Trampelpfade
bieten Anrissstellen
Sommervogelballett
umschwirrt kalkweiße Beine
setzt sich wieder zu gemeinsamem Tratsch
bereit zu neuen Aufführungen
für nächste Wanderer
Glühende Sonne
brennt die Köpfe leer
hochrote Glatzen
leuchten im Schweißmeer
Da und dort
rutscht der Berg
centimeterweise pro Tag
bis der letzte Geduldsfaden
in einem Gewitter reißt
und alles gleitet
Haus und Schober
Wald und Weide
ineinanderkeilt
sich überschlägt am steilen Hang
purzelt über die Klippe
und fällt in die Schlucht
Die Berggeister
tanzen ihren Siegestaumel
gegen übermütige Zivilisation
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Geb. 1964 in Schöftland/CH, Pädagogik-Studium zum Sekundarlehrer, umfangreiche Tätigkeit als Musiker, bildender Künstler und Literat, lebt in Rombach/CH
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Erich Schirhuber: Zwei Lyrismen
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Glück hinter Sonnenbrillen
an der Wand vor
dem Wind
geschützt die langsam sinkende
Sonne im Gesicht
hinter den Sonnenbrillen sie
wärmt durch das Hemd sie
macht die Straßenlaternen zu
Schattenrissen
Tauben picken die Reste der
Kekse und der Chips von
den Tischen
vor ein paar Stunden noch
gab es einen Wolkenbruch und
was für einen die paar Lachen
sind noch zu sehen
und man denkt
das Leben könnte doch schön sein
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Hafenrundgang
hier legten früher die Galeeren
an die Galeeren aus
Leptis Magna aus Appolonia
aus Paphos und Caesarea
der Kanal ist voll mir grünem
Schlamm sodass man das Wasser
kaum vermutet
an den Pinien wachsen
Pflanzen empor
parasitäre Gewächse die
üppig gedeihen und hinter
dem Zaun beginnt
das Nachmittagstrainung
von Aquileia Calcio
auf dem grünen Rasen wie man
sagt
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Erich Schirhuber
Geb.1955 in Vöslau/A, Studium der Germanistik, Dr. phil, Lyrik- und Prosa-Veröffentlichungen in Büchern und Zeitschriften und in ORF und RAI, etliche Preise, lebt als Bibliothekar und Autor in Wien
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Lyrik von Martin Kirchhoff
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Die Veranda war überflüssig
Holzhaus im Hügeltal
Qualm manchmal
Weißrauch vom Kamin
wie schnell, dann schwarz
Käutzchenrufe einer Nacht
sonnenblumenhell
schon und verflogen
Dann ging die Veranda
Bei den Sternen
sah ich sie nicht
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Halbleergetrunken der Wein
rote Pfütze auf dem Parkett
Scherben zerborstener Römer
wie Diamanten im Lichtschein
Tinte geschrieben auf der Wand
Linien, Silben zum Wort
Atemluft, die dünngeworden
auf dem Boden liegt und stirbt
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Engel
von der Grauwand
springe nicht gen Himmel
Rosen blühen zum Westen
am Portal
in jeder Wüste
ein rotes Blatt
für dich
Engel der Mauer
Rosenöl und Regentropfen
benetzen dein Gesicht
fürchte dich nicht
springe
in die Herzen
Engel der Zeit!
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Geb. 1954 in Leonberg/D, 1984 erste Text-Veröffentlichungen, seither zahlreiche Lyrik- und Prosa-Publikationen in Büchern und Anthologien, verschiedene Literaturpreise, lebt als Zeitungskorrektor in Leonberg
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Lyrik von Ueli Schenker
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Besuchszeit
Sie schweigen so freundlich
spielen Karten vergessen was
sie hätten werden können
ruf dich her wie einen Hund
auf knappe Zeichen reagierst du
prompt ich spende eine Runde
da du mit strammen Schritten
schon das Weite suchst erst auf
der Brücke wartest Blätter fallen
lässt in den Kanal wir kehren
am anderen Ufer zurück weil
der Nebel durch die Köpfe zieht
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Cafè Santé
Eine weitere Behandlung erübrigt sich
sagt der Spezialist vor lauter Freude
gönne ich mir ein Stück Torte Zeit genug
mich von Osteuropäerinnen entspannt
bedienen zu lassen nachzudenken
über Treppensteigen Probealarm
eine Operation wäre das grössere Übel
morgen hole ich Stöcke fange von vorn an
man hat nie ausgelernt überhaupt haben
Sirenen die längeren Beine als Lügen
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Falschmünzer
Bitte einen Franken für zwei
wärest du mir schon früher
begegnet hätte ich dich
nicht beim Beutel genommen
danke für die Aufmerksamkeit
bin in Eile mein Zug fährt
gleich denk ruhig weiter sag
keinem was ich werde er-
wischt bevor dir ein Licht auf-
geht lies morgen die Zeitung
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Galerie
Leihgaben fallen aus
dem Rahmen Lust auf
gemeinsame Sache mit
weiblicher Aufsicht Flucht-
gedanken kein Durchgang
zur Toilette wegen Umbaus
wir danken für Ihr Verständnis
kommen Sie gut nach Hause
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Geb. 1937 in Zürich, war Gymnasiallehrer für Englisch und Deutsch, zahlreiche Lyrik- und Theater-Publikationen, verschiedene Literaturauszeichnungen, lebt in Meggen/CH
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Drei «Schweizer Texte» von Hans Gysi
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Direkte Demokratie
die ehrenrettung
flankierender
maßnahmen wird
ins auge gefasst
die zustimmung
zur brechung von
höchstwerten wird
beschlossen und
zur ausführung
empfohlen
dem leitenden
ausschuss des
in kraft gesetzten
souveräns respektive
der vom volk
gewählten
vertreter des
selben
provisorisch
weitergegeben
bis die experten-
kommission
zuhanden des
leitenden ausschusses
verbindliche
empfehlungen
weitergibt.
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700 Jahre Schweiz
tage der konsolen und
schirmständer
tage der raumfahrt:
auch astronauten
mit ch-pass
können jetzt
in den weltraum
einfach hinten
anstehen bitte
die krawatte brauchen
sie nicht mehr
wenn sie erst einmal
in der rakete sitzen
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Aktion Fichen, CH 1990
mann auf straße
verteilt coupons
von closett-papier
sagt:
sie sind ein unbeschriebenes
blatt
&
spülen bitte
&
fichez-moi la paix
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Geb. 1953 in Arosa/CH, Studium phil I zum Sekundarlehrer, Ausbildung zum Theaterpädagogen an der Schauspielakademie Zürich, Lyrik- und Prosa-Veröffentlichungen in Büchern und Zeitschriften; lebt als Regisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Theaterpädagoge in Märstetten/CH
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Lyrik von Tanja Dückers
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Gliwice (Gleiwitz)
Verrostete Eisenbahnwaggons
Unkraut auf dem Bahnsteig
kniehohes Gedankenversteck
Auf dem allerletzten Meter Bahnsteig
nicht-mehr-hier und noch-nicht-fort
dieser frisch geputzte Glaskasten
mit der Leuchtenden
Marienfigur
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Lacrimosa
Das weiße Zelt
der Nacht ist fast vorüber
Auf der leeren Zirkusbühne
gestreifte Hosen Nasen und Perücken
irgendwo ein Funkeln
violette Perlen im Sand
künstliches Vergissmeinnicht
vergissmichnicht
vergissruhigmich
verpissdichnicht
verpissdichruhig
Allein vor Dixielandtoiletten
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Einmal anheben
die Straße die Lastwagen die Mülltonnen die Wörterbücher
die Kniekehlen die Süchte die Zipfelmützen die Fotoalben
die Benzinkanister die Philister das Treibgut die Langsamkeit
die Denkzettel die verkehrsberuhigten Zonen die Hundescheiße
einmal
hoch damit
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Geb. 1968 in Berlin/West; Studium der Kunstgeschichte, Amerikanistik und Germanistik, zahlreiche belletristische und essayistische Veröffentlichungen in Büchern und Zeitschriften, lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Berlin
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Wort-Bilder von Otto Taufkirch
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Worte
worte
manchmal fliegen die worte im
wind und sie bleiben auf den
felsen hängen nur ein narr ver-
sucht sie in den sand zu schreiben
nur ein narr versucht sie einzu-
fangen wie einen fisch in das
netz zu sperren manchmal
ist die erinnerung so tot wie die
felsenschrift die der wind ge-
schnitten hat so tot wie die
balken am strand so tausendfach
tot wie ein wasser im glas das zu
leben anfängt ohne worte ohne
wind ohne fisch und ohne netz
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Neubeginn
neubeginn
der tag verfiel dem ypsilon
im östlichen himmel und ich
bin ohne wehmut ich habe
es abgestritten dass ich gelebt
geliebt habe des messers schneide
im meer blitzt mit den sternen
ich habe es abgestritten dass
schon tage vorher waren
schon vorher Tage waren ich
erinnere keine stunde ich
beginne neu und ohne trauer da
es im osten zu leuchten beginnt
.
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Geb. 1942; Maler, Zeichner und Lyriker; zahlreiche Ausstellungen in Deutschland, Italien, Frankreich und Portugal; diverse Lyrik-Publikationen; lebt in Lauf/D
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Lyrik von Werner K. Bliß
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am straßenrand
im asphaltnass zittert dein abbild
mit dem der bäume um die wette
traumverlassen warten deine schuhe
ein stück hose auf den rest des tages
du willst einen blick auf deine seele
werfen da beginnt es erneut zu regnen
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mais um
dieser neuerliche streifen gelb
galeerensträflings fluch
dunkler nach unten
im rumpf ungehörte
klopfzeichen
in grau getaucht
austerntiefe
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sonntags
das rechteck
auf augenhöhe
ein zeichen löst sich
setzt andere frei
ein sehgewitter leuchtet in
vergangene zeiten
dunkelste abendstunden
lichtüberworfener horizont
ein mantel formt
drehende wasser
und mittendrin
du
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Geb. 1950, Pädagoge, zahlreiche Lyrik-Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Online-Portalen und Anthologien, lebt in Hausach/D
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Lyrik von Christl Greller
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ich denke positiv
schminke mir ein lachen ins gesicht.
schminke mir ein lachendes gesicht.
denke positiv, während
sich die netze enger ziehen.
der boden ruhlos. bitter
der himmel und ohne
antwort.
ich denke positiv.
fauchend
der schwingenschlag der zukunft. ihr
schatten blutunterlaufen.
ich denke positiv.
male die mundwinkel höher,
entblösse die zähne.
vom grinsen
schmerzt das gesicht.
oje – oje –
beim schicksal hilft kein schmäh.
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hirngespinste
tanzen hirngespinste über
die eislaufglätte des
intellekts. es
gibt nichts zarteres.
verstecken sich in ecken, rollen
schabernakschnell,
leicht, gespenstergleich
durchs geschaute – wie
bällchen von lurch unter
betten auf spiegelpoliertem
parkett.
hirngespenster, herzgespinste,
auffliegend im
wimpernschlag der sehnsucht.
das scheue wild der
fantasie.
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Christl Greller
Geb. 1940 in Wien, zuerst Werbetexterin, seit 1995 literarisch vielseitig tätig als Lyrikerin und Kurz-Prosaistin, zahlreiche Buch- und Anthologie-Publikationen, lebt in Wien
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Tanka & Haiku von Wolfgang Luley
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Spurlos verschwunden –
Geschenke zu Weihnachten
füllen kein Schweigen.
In der Luft liegt Zimthauch und
auf dem Tisch dein Abschiedsbrief.
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Federballgefühl –
die erschöpfte Partnerin
lauscht am Kopfkissen.
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Ach, Eisprinzessin,
du verziehst keine Miene,
trotz verpatzter Kür.
Du Vollprofi! Selbst im Bett
gibt`s nur noch Vorstellungen.
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Geb. 1975 in Mannheim; Japanische Lyrik; Ernste und heitere Kurzprosa; Mitglied des Bundesverbandes junger Autorinnen und Autoren
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Lyrik von Ines Oppitz
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in verwunschenen
gewändern
ein luftiges nest
fluchtkantate
entzündete trommel
am horizont
der liebe stern
singt den abend
zu ende
lasse die köpfe
nicht mehr
nach unten gehen
hebe mich auf
zurück dann
zur erde geformt
.
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hoffnung
kommt
morgen
es
kommt
der
morgen
morgen
kommt
morgen
und
morgen
kommt
kommt
.
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.erinnern
dein gedicht
steht heute nicht
auf
langgestreckt
wie der tote freund
die südliche farbe
des weins
scheint
rot vor
entsetzen
doch
im rubin
der vergangenheit
leuchtet
die perle
am mund
deine ungenagelten
hände fliegen
voll luft
und
ein ball
fällt um den hals
eines kleinen
spielers von
ehedem
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Geboren 1946 in Wels/A, Ausbildung zur Lehrerin in Linz, anschließend sechs Jahre Schuldienst an Volks- und Hauptschulen; Studium der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft und Philosophie, Ausbildung zur diplomierten Literaturpädagogin; Verschiedene Buchpublikationen, zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien, Literatur- und Kulturzeitschriften
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Lyrik von Matthias Berger
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Matthias Berger
der kuss
das eau de toilette
die weiße haut
der orgasmus
der schrei
das neugeborene
der kuss
die sommersprossen
der hüpfer
der schrei
der verdrehte körper
der kindersarg
der kuss
die verweinten augen
der richter
die scheidungsurkunde
der kuss
der kalte stein
der schrei
die grabinschrift
der kuss
das rouge
das kondom
der orgasmus
die banknoten
der kuss
die weiche backe
die urinflasche
der schwesternkittel
die tränen
der kuss
die knappe luft
das herzrasen
der schrei
das
action painting
wirres wuseln
marrakesch?
verfangene
fäden?
– leben –
leinwand
saugt auf
was
zufällt –
zu geschichte
gerinnt
es ist –
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Matthias Berger
Geb. 1961, aufgewachsen bei Bern, Studium der evang.-ref. Theologie in Bern und Nairobi, acht Jahre Gemeindepfarramt, vier Jahre Psychiatrieseelsorge, seit 4,5 Jahren Gefängnisseelsorger in Pfäffikon(ZH) und seit vier Jahren Spitalseelsorger in Bülach, lebt in Zürich.
Lyrik von Bernd Ernst
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… die ausgelassenen Worte
Ihre Stimme wächst über den Feldern
kämmt der Wind das Gras
Die Erinnerung fällt wie eine leichte Strähne
aus dem Rouge des Abendhimmels
weht der Duft ihrer Locken
auf die fliehenden Schultern des Hügels
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Kosmisches Geflüster
Nichts wussten wir
in einundtausend Nächten
gingen unter demselben Stern-
talergestöber
im Innern Verschüttete Milch-
straßenkinder die nicht lesen konnten
was auf ihren Lippen stand
.Du urknallender Schmatz
blüh mir deine Rosen hinter das Aug
Echolote
das pochende Glück
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… unter der berstenden Schale des Himmels
Ein Baum gebiert den Vogel der sein Nest in den Wolken baut
In der Klaue des Wipfels fängt sich der Wind
Auf dem Tautropfen in seinem Schnabel schwimmt der Duft der Kirschblüte
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Geb. 1969, schreibt Lyrik und Theaterstücke, Mitglied verschiedener Autoren-Gruppen, Mit-Organisator der «Pirmasenser Poetry-Slam», lebt in Pirmasens/BRD
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Lyrik von Mischa Lucyshyn
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lampen
in den fenstern
grape hill
glocken mit leuchtendem schlägel
die mesner
jedes haus hat den seinen
essen die erbsen
und verschmähen die suppe
läuten sie zur nacht
fahren kinder
aus ihren träumen
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der wein
kriecht rot auf das dach
zum moos hin
wirf die fackel ins laub
es ist längst
feucht genug
number 20
schaukelt nach heartsease
gondole
gondole
.
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Geb. 1973 in Graz/A, Theaterarbeiten in Leoben, Graz, Wien und Paris, Veröffentlichungen im Internet, im ORF und in Literaturzeitschriften, lebt und arbeitet in Norwich/UK
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Lyrik von Miroslav Dusanic
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traum des munch
ins licht stürzen
nicht allein
– allein
wir sehen die vögel
in ihrem flug
über norwegen
meine hand
führt dich weg
von diesem schauspiel
und dann
mitten im elend
nichts wird dein
totentag
ändern – nichts
es hilft kein schrei
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Geb. 1961 in Pojezna/Derventa/Nordbosnien) Lyrik-Publikationen in Zeitschriften und Anthologien, lebt und arbeitet in Hildesheim/BRD
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Lyrik von Matthias Berger
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laubkühl
geborgen
farndunkel
umsargt
vom herz her
ein
hirschener puls
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Klebt Reif
an erstorbenen Zweigen
und kalte Erde
wird weiß
Sinkt Milchdampf
aus tausend Himmeln
will Winter sein
in aller Welt.
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Geb. 1961, aufgewachsen bei Bern, Studium der evang.-ref. Theologie in Bern und Nairobi, acht Jahre Gemeindepfarramt, vier Jahre Psychiatrieseelsorge, seit 4,5 Jahren Gefängnisseelsorger in Pfäffikon(ZH) und seit vier Jahren Spitalseelsorger in Bülach, lebt in Zürich
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Lyrik von Christl Greller
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fremdhören
in ungewohntem bett von
einer seite auf die andere, früher
schlaflos als sonst. schon
keimt morgen in die finsternis:
schwarz, schwarzgrau, grau. draußen
ein erstes moped. frauenschritte hastig
im stakkato auf asphalt.
schon
über dem köcheln der stadt
frei fliegend der jagdruf
hakenschnabeliger möven.
gurren aufgeplusterte tauben, krallentrippelnd.
hier
sieht alles so aufgespritzt aus.
und autotüren. und startgeräusche. daheim
würde man schlafen. ein
zug stampft vorbei,
windweit.
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Geb. 1940 in Wien, zuerst Werbetexterin, seit 1995 literarisch vielseitig tätig als Lyrikerin und Kurz-Prosaistin, zahlreiche Buch- und Anthologie-Publikationen, lebt in Wien
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Lyrik von Brigitte Fuchs
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Installation I
Der Raum mit vier offenen Fenstern
würdevoll in sich gekehrt
Ein bestimmter Artikel lehnt
am Wort L Y R I K
darüber gebreitet
das seidene Taschentuch Zeit
Der Raum mit vier offenen Fenstern
dürre Blätter und Regenflecken
auf dem Parkett
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Geb. 1951 in Widnau/CH, Ausbildung zur Primarlehrerin, Referentin verschiedener Kurse und Seminarien im Bereich Lyrik und Experimentelle Poesie, 1995-2003 Redaktorin der kulturellen Jahresschrift SELC, zurzeit engagiert in der Arbeitsgruppe Lyrik beim AdS, lebt in Teufenthal/CH
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Lyrik von Semier Insayif
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schreib gesang
vielleicht
auf ewig
schwingt der wesensklang der einen
herz hirn hand gefährtin
mitten mir ins ichwerk neu vertont
sticht und spricht und summt
mich notprogramm
ganz nah an ihren augenspiegel
hautverlangen drückt uns zweigebogen
aneinander wach im schlaf lied
wiegt mich drängend
weit geöffnet
sinken wir zusammen
brechend in uns ein zu
lösen unsere körper grenzen
schweben frei im wort
fall tief einander zugestoßen
vielleicht auf ewig
bitte sing
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Geb.1965 in Wien, Kommunikations- und Verhaltenstrainer, verschiedene Lyrik- und Prosa-Publikationen, Träger des Wiener Werkstatt-Preises 2000, seit 1993 freier Schriftsteller in Wien
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Lyrik von Petra Ganglbauer
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Kreta-Gedicht
Der Hund verbellt die Wellen,
Vornüber,
Den eigenen Schatten
Zu verlieren:
So spricht das Meer.
Nicht alles was spricht, wacht.
(Im Wort der Brandung schlafe ich und schweige)
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Geb. 1958 in Graz, Lyrik, Prosa, Theorie, Hörstücke, Projektkonzeptionen; lebt als freiberufliche Autorin und Radiokünstlerin in Wien
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Lyrik von Peter Kemptner
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Geh runter zum Ufer und wirf einen Stein
Geh runter zum Ufer und wirf einen Stein
Sieh die Wellen sich ausbreiten in mich hinein
Sanft in Deine Augen ergießt sich mein Gesicht
die glatte Oberfläche unserer Leben zerbricht
Scherben der Erinnerung liegen im Gras der Zeit
Verwundete Worte des Lachens sind Gräber der Vergangenheit
Fotos, grau, zerrissen, verstreut im Ackerland
Briefe der Erinnerung sind verbrannt
Traurigkeit umgibt Dich wie ein Mantel hängt
In den Taschen Fetzen Hoffnung zerknüllt hinein gedrängt
Die Dämm’rung ist Dein Nachtmahr, Farben gibt es nicht
die glatte Oberfläche unserer Leben zerbricht
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Geb. 1961 in Linz, Management mittelständischer Unternehmen, zuletzt selbstständig, lebt in Salzburg
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Comments Off on Lyrik von Peter Kemptner
Lyrik von Marianne Figl
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An Salome Alt
Meine Freundin,
fast einzige Salzburgerin.
Wählerische
mit heißem Blut
Das Hirn und Herz
durchströmt,
genug Nahrung für
den Rest
der naturgetreu
ohne Aufsehens
der jährlichen Fortpflanzung
dient. Ungenügsam fortweisend
den gleichaltrigen,
um nicht zu enden
im geistigen Elend
der häuslichen Enge.
Beispielgebend
doch nur
den Besessenen.
Deine Schwester sagt
Jahrhunderte später:
Es hat sich
in diesem Städtchen
nicht viel geändert,
die Starken
kommen nie zurück,
der Rest spielt weiter
mit hängenden
Mundwinkeln.
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Geb. 1946 in Wien, Studium Malerei&Graphik an der Hochschule für Angew. Kunst/Wien; Atelier in Salzburg & Online-Galerie, Literarische Texte in Anthologien
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Lyrik von Ingrid Isermann
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Stardust
Das Leben ist ein Kreislauf,
der manchmal versagt,
ein Regelkreis.
Zwischen Input und Output
legt sich die Zeit auf die Lauer.
Und tut so als ob sie schläft.
Das ist die Differenz der Zeit.
Seit Einsteins Relativitätstheorie,
die Newtons mechanische Sicht der Dinge,
Quarks und Quantensprünge pushte,
wissen wir:
Wenn wir die Zeit betrachten,
betrachtet sie uns.
Das ist die Differenz
der Verfügbarkeit.
Mit schwarzen Löchern ist es relativ langweilig.
Oder relativ kurzweilig.
Dann verschwindet die Zeit.
Alles ist relativ.
Ohne Beobachtung keine Zeit.
Und keine Welt.
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Geb. 1943 in Hamburg, zahlreiche lyrische, visuell-poetische, belletristische und dokumentarische Veröffentlichungen und Projekte in Anthologien und Ausstellungen; lebt als Kulturjournalistin und Lektorin in Zürich
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Lyrik von Wolfgang Windhausen
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eigener traum
dem wachen auge verborgen
wie
sommerlicht
einen film löscht
arbeiten wir
prophezeihungen ab
die stille war
wie bernstein
der schöngefärbt und hart
den traum
umschloss
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schicht auf schicht
lagert die zeit
folgend
einer linie
ins nirgendwo
federn gleich
in der schwebe
und worte
bleiben in
der spur
des gesagten
hängen
(Für Kay E.)
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Geb. 1949, Lyriker und Graphiker, zahlreiche Veröffentlichungen in Büchern und Zeitschriften, 20-jähriges Engagement bei Amnesty International, Mitglied des Internationalen P.E.N., Träger des «Niedersachsen-Preises für Bürgerengagement». Lebt in Duderstadt/BRD
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Lyrik von Clemens Schittko
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Wie fängt man sich Wolken ein?
Es wird hinterfragt,
um das Hinterfragen an sich / nicht zu hinterfragen.
Abgewandert in die Prosa ist das lyrische Ich.
Vorbei an aufgeschlagenen Speisekarten,
die aussehen wie Gedichtbände.
Und abwesend sind diejenigen, die es betrifft
und gegen die wir schreiben,
solange uns ihre Abwesenheit nichts anhaben kann.
Erinnere dich daran, dass du vergessen wolltest.
Erinnere dich oder vergiss es,
wie du dich selbst nie vergessen würdest.
Grenzen werden nicht überschritten;
sie werden verschoben.
Das Pflaster, von der Haut gezogen,
reißt eine verheilte Wunde auf.
Ein Rieselfeld das Gehirn,
wenn wie ein Unwetter
die Bilder sich im Beifall entladen
und das Stilleben unserer Körper schalten,
das weder die Sprache selbst ist
noch eine Zeit, die so verbracht wird,
wie Leichen verbracht werden
oder GRAS formatiert,
wenn es rückwärtsgelesen den SARG abgibt.
Ich bin ein Zitat, wo das Zitat bereits Zitat ist,
ein Schweigen – viel redend / nichts sagend –
der Tunnel am Ende des Lichts.
Um die Menschen von der Straße zu bekommen,
wurde das Auto erfunden;
um sie von den Gehwegen zu bekommen, das Fahrrad –
so schneidend das Licht…
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Geboren 1978 in Berlin/DDR, Ausbildung zum Gebäudereiniger, arbeitete als Fensterputzer, abgebrochenes Studium der Literatur-, Musikwissenschaft und Philosophie. Zur Zeit Hilfsbuchhalter, Transportarbeiter und Lektor in einem kulturwissenschaftlichen Verlag, seit 2002 Veröffentlichungen in Zeitschriften. Lebt in Berlin.
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