Kurzprosa von Nora B. Hagen
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Das Fenster
Nora B . Hagen
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Ich muss dir erzählen, weißt du – ich muss dir das verständlich machen. Du kennst das ja gar nicht. Nehm ich zumindest an. Du kennst die Nacht nicht wie ich. Ruhelos ist die Stadt, in der Nacht. Du kriegst das nicht so mit, du hast zu wenig Zeit. Du beginnst deinen Tag und machst dies und das und bist den ganzen Tag eigentlich nur mit dir selbst beschäftigt. Und dann kommst du heim, machst die Glotze an, machst die Glotze aus, und dann gehst du schlafen.
Ich fahr’ Taxi. Ich hab ganz oft die Nachtschicht. Die meisten Menschen verhalten sich nachts anders. Is’ schon richtig so. Nachts ist es dunkler. Viel dunkler. Nachts trinken sie. Sie trinken wie die Blöden, du hörst sie doch, selbst wenn du in deinem Bett liegst, Straße rauf, Straße runter, grölen irgendein Zeug. Und glauben sie sind so toll, weißt du, verstehst du das, sie denken sie sind toll, dabei sind sie einfach nur laut. Und wollen damit irgendein dummes, junges Mädchen beeindrucken, das so viel gesoffen hat, dass sie’s halt auch lustig findet. Ekelhaft ist das. Keine Manieren. Wirklich. Die Nacht stinkt nach Fusel, in diesem Viertel. Und solche kommen dann an und wollen gefahren werden, und wenn sie ein Mädchen dabei haben, dann küssen sie sie, wenn sie wissen, dass ich in den Rückspiegel schaue. Ich fahre sie. Muss ja. Geld ist Geld. Ich tu so, als ob mich das nicht beeindruckt. Manchmal schreit einer, irgendwo, weit weg, du weißt nicht, warum. Oder er fängt an zu singen. Mitten auf der Straße, du weißt nicht mal, wer es ist. Oder ein Auto hält neben dir an, du denkst der hat da ne Dampfmaschine drin oder Mikrofone an seine Kolben gelegt, das scheppert und kracht durchs ganze Gehäuse. Nachts flimmert’s in den Zimmern, meistens gucken sie Pornos. Was ja eigentlich keiner wissen soll, dass man das so macht. Und dann lassen sie die Fenster auf, die Idioten. Sperrangelweit. Nee echt, ich kann dir sagen. Ich bin da ja sonst nich so, aber dieser Schund! Dass das alles so öffentlich sein muss. Is’ wie ne Beleidigung, verstehst du, konstante Beleidigung. Ja, ich weiß, ich hab keine Freundin, keine Puppe, kein Bunny, nichts, nichts, nichts hab ich, ich hab nur die Nacht. Die Straßen, die ich mittlerweile auswendig weiß. Die alten Zeitungen, die sie tagsüber weggeworfen haben. Ganz oft auch verbrauchte Gesichter, verbrauchte Menschen, wie ein Rest Leben noch in ihren Augen funkelt, das ist schon unheimlich, aber man gewöhnt sich dran. Die steigen in mein Taxi ein und steigen wieder aus, und ich sehe sie nie wieder.
Und dann ist da so ein Fenster. Ein einziges, das gut ist. Manchmal geh ich nach der Schicht hin und schaue, ob Licht ist. Ob sie zu Hause ist. Ich will wissen, wie sie lebt. Wer sie ist. Wie sie denkt, was sie zum Frühstück isst, was sie liest, wie viele Sprachen sie spricht oder ob sie eher auf Klamotten steht. Sie ist so wundervoll, weißt du. Ich hab sie irgendwann zufällig getroffen, sie ist in mein Taxi gestiegen, wollte spät abends nach Hause, hatte ihr Portemonnaie dabei, aber nicht genug Geld, da hat sie’s geholt und ich hab unten gewartet, ich Idiot, hätt’ ich’s ihr geschenkt, vielleicht hätte sie sich ja bedankt. Ich kann mich jetzt noch an ihre Hand erinnern. An ihre lackierten Fingernägel. Das war nur ganz kurz, als sie mir das Geld gegeben hat, da hat sie mich berührt. Ganz zufällig. Und jetzt – kann ich sie nicht mehr vergessen. Ich lebe von ihr. Sie sieht richtig gut aus, verstehst du, was ich meine, richtig gut. Und sie lebt alleine. Versteh ich nicht, wie so ne Frau alleine leben kann. Ich wär so gerne ihr Nachbar. Oder der Postbote. Ich bin nur so’n lumpiger Taxifahrer. Auf mich kommt’s nicht an, mich braucht sie nicht, verstehst du. Aber sie sieht richtig gut aus. Auch ohne Schminke.
Morgens, da geht sie aus dem Haus, ich hab sie mal getroffen, als ich die ganze Nacht gewartet hab, da war sie ganz ungeschminkt, du hast alle Müdigkeit gesehen, die Augen, die Schultern, wie müde das alles war, aber sie ist so schön, weißt du, das macht ihr gar nichts. Echt gar nichts. Sie hat mich nicht erkannt. Ich hab sie doch nach Hause gebracht, aber sie weiß nichts mehr von mir. Nachts, wenn ich dann frei hab, da steh ich manchmal vor ihrem Fenster. Einfach so. Gehst du zu ihr, gehst sie besuchen, denk ich mir. Und dann steh ich vor ihrem Fenster. Um zu sehen, ob sie zu Hause ist. Ich kann ja nicht wirklich was sehen, sie wohnt ja im zweiten Stock. Manchmal hat sie den Fernseher an. Ich seh, wie das flimmert. Wie das Licht wechselt. Ich will dann immer wissen, was läuft. Was sie interessiert. Ich bin ja nichts, ich bin ja nichts für sie, nichts Richtiges, nur so’n Taxifahrer. Einmal, nur einmal hab ich ihr Blumen geschickt. Von einem stillen Verehrer, drauf geschrieben auf so ‘ne Karte. Ich hab’s eigentlich sofort bereut. Weil, wenn ich nur vor ihrem Fenster steh, dann passiert ja nichts, denk ich mir. Dann weiß sie nicht, dass ich da bin, dann stör ich sie nicht. Aber so Blumen – das geht eigentlich gar nicht. Da kriegt sie Angst. Und ich bin doch kein Verbrecher, weißt du. Das bin ich nicht, das will ich auch nicht sein. Ich geh ja nicht in ihr Haus. Kein Schritt über die Türschwelle, wenn ich nicht eingeladen werde, das ist doch kein Verbrechen? Oder? Nur da zu stehen?
Na gut. Ich geb’s ja zu. Ich hab ihre Nummer rausgefunden, sie steht im Telefonbuch. Ich kenn ihren Nachnamen. Kranich heißt sie. Wie der Vogel. Ich mag Kraniche. Kennst du dieses Gedicht, die Kraniche des Ibykus? Ist toll. Weiß nicht mehr, Schiller hat das glaub ich geschrieben, hab ich in der Schule gelernt. Lange her. Sie heißt Kranich. Ich denk mir manchmal aus, wie sie wohl mit Vornamen heißt, ob Anna oder Katharina oder Elvira. Und jetzt hab ich ihre Telefonnummer. Stimmt schon. Einmal hab ich angerufen. Da ging’s mir echt nicht so gut, und ich wollt einfach nur ganz normal reden, mit irgendwem, ich war voll weg, verstehst du? Zum Glück hat sie nicht abgenommen. Was hätt’ ich ihr denn sagen sollen? Tschuldigung, ich hab mich verwählt? Ich krieg doch keinen Ton raus, wenn sie – weißt du, wie das ist, ständig an sie zu denken, jeden Tag, wenn du aufwachst, wenn du einkaufen gehst, wenn du arbeitest, wenn du schlafen gehst, und du kriegst nicht einen verdammten Ton raus, wenn sie vor dir steht? Echt schlimm. Das schaff ich einfach nicht. Bin ich nicht der Typ für. Manchmal stell ich mich vor ihre Tür und stell mir so vor, wie ich auf sie aufpasse. Als Leibwächter sozusagen. Sie brauch’ nur ein Wort zu sagen, schon dreh ich dem nächsten, der was von ihr will, den Arm auf den Rücken. Oder ihr persönlicher Chauffeur sein, in ner richtigen Nobelkarosse, und sie fragen: „Wo darf es hingehn, Mylady?“, und ihr die Tür aufhalten, das würde mir schon reichen. Dann würd ich sie jede Woche sehen. Direkt vor meinen Augen. Nur ihr die Hand reichen zum Aussteigen, das, weißt du, das wär so das, womit man genug bezahlt wär. Ich bin so, mir würd das reichen. Echt. Und sie ist so eine, da würd ich das machen. So ist das mit ihr, verstehst du? Sie ist wunderbar. Ein Engel. Und ganz alleine. Eigentlich kein Zustand ist das. Da muss eigentlich ein Prinz kommen, der sie heiratet. So wie im Märchen. Mit Rosen und so. In den sie sich auf den ersten Blick verknallt. So richtig, zack! Und fertig ist die Laube. Und ich, ich müsste ihn fahren, in meinem Chauffeur-Wagen müsst ich ihn zu ihr fahren, und ihnen zuhören, wenn sie sich lieben – wenn du weißt, sie verdient es -. Ich würde an ihrer Tür stehen und zuhören. Mehr nicht. Ich würde nichts tun. Nie im Leben. Davon würde sie auch nie etwas erfahren. Bestimmt nicht. Ich kann einfach nicht weg von ihr. Ich schaff’s nicht. Ich denk mir, das ist so, als wenn man einen Wagen fährt und gibt Gas und fährt durch alle Kurven, ohne anzuhalten, man kriegt die Bremse einfach nicht, sie geht nicht mehr, und man hat Angst vor dem nächsten Baum, der falsch steht, der im Weg ist, aber man fährt und fährt und fährt so lange, bis man sich schon fast diesen Baum wünscht, damit es vorbei ist – verstehst du das? Verstehst du?! ■
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Nora B. Hagen
Geb. 1982, verschiedene musikalische und literarische Aktivitäten, lebt als Studentin an der Musik-Hochschule in Münster/D
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