Glarean Magazin

Eric Siblin: «Auf den Spuren der Cello-Suiten»

Posted in Buch-Rezension, Günter Nawe, Literatur, Musik, Pablo Casals, Rezensionen by Walter Eigenmann on 12. Juli 2010

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«Entdeckung liegt in der Luft»

Günter Nawe

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Das Prélude: «Die ersten Takte entfalten sich mit einer erzählerischen Kraft eines meisterlichen Improvisators. Eine Reise hat begonnen… Die dunklen Klänge der Streicher tragen uns zurück in das 18. Jahrhundert. Die Klangwelt ist fröhlich. Die Eleganz jugendlich. Entdeckung liegt in der Luft.»
So liest sich der Anfang der «Reise», die der kanadische Journalist und Popmusik-Kritiker Eric Siblin, mit vielen Auszeichnungen bedacht, durch die Welt der Bach’schen Cello-Suiten unternommen hat. Für ihn eine ideale Begegnung mit einer barocken Musik, aus der er Volksmusik ebenso herauszuhören glaubt wie postmodernen Minimalismus, wie spirituelle Klagen und Heavy-Metal-Riffs, mittelalterliche Jigs und Filmmusik aus Agenten-Thrillern.

Gewann 2009 mit seinen «Cello-Suiten» den Mavis-Gallant-Literaturpreis: Eric Siblin

Siblin hat die Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach erst einmal hörend für sich entdeckt. Daraus ist eine Leidenschaft geworden, der er fortan forschend und schreibend frönt. Das Ergebnis ist – soviel sei vorweggenommen – das spannende Buch «Auf den Spren der Cello-Suiten – Johann Sebastian Bach, Pablo Casals und ich». Wenn auch dieses «…und ich» im Untertitel etwas manieriert wirkt (im Original lautet der Titel «The Cello-Suites – J.S. Bach, Pablo Casals and the search for a baroque masterpiece»): dem Lesevergnügen tut es keinen Abbruch.
Ein Lesevergnügen – allein deshalb, weil es dem Autor auf hervorragende Weise gelingt, eigene (Hör-)Erfahrungen und -Erlebnisse mit den Cello-Suiten in Beziehung zu setzen zur Entstehung der Suiten und einer musiktheoretischen Auseiandersetzung sowie zu den Biografien des Johann Sebastian Bach und des großen Pablo Casals. Von alledem erzählt Eric Siblin sehr engagiert und leidenschaftlich, aber auch sehr kenntnisreich.

«Rockgitarrenriffs, die Lord Zeppelin sicher alle Ehre gemacht hätten...»: Gigue aus Bachs 1. Cello-Suite (Abschrift durch Anna Magdalena Bach)

Das Buch ist analog zu den Bach’schen Suiten aufgebaut, also sechs Suiten gleich sechs Kapitel mit den jeweiligen Untertiteln von Prélude über Allemande, Sarabande und so weiter – Bachkenner und Suitenliebhaber kennen sich da aus.
Siblin beschreibt die Suiten so: «Bach beschloss, jede Suite mit einem Prélude zu beginnen, einer dramatischen Einleitung… Bachs Prélude sind virtuose Eröffnungen… Sie beginnen verhalten und entfalten sich, schwingen sich zu schwindelerregenden Höhen auf, verharren und stürzen herab.» Auf die Tänze, die sogenannten Galanteriesätze wie Menuett und Bourrée und Gavotte, bezogen schreibt er: «In diesen Tänzen herrscht ein Melodienreichtum, der sie oft zu den einprägsamsten Teilen macht. Sie haben Schwung in ihren Schritten, ein fröhliches Hüpfen, besonders, weil sie direkt nach der schwermütigen Sarabande erklingen.» Oder über Sarabande, Bourrée, und Gigue der 1. Suite: «… die fetten Doppelpausen der Sarabande, der fröhliche Scheunentanz der Bourrée und die richtiggehenden Rockgitarrenriffs der Gigue, die Lord Zeppelin sicher alle Ehre gemacht hätten…». Immer wieder, das ganze Buch hindurch, findet Siblin Formulierungen dieser Art, um die Suiten zu charakterisieren. Das ist sicher sehr subjektiv empfunden, aber interessant in der Beurteilung hinsichtlich der eigenen Erfahrungen, die jeder Leser beim Hören der Cello-Suiten machen wird.

Wir begleiten in «Cello-Suiten» den Autor Eric Siblin und den Virtuosen Pablo Casals auf den Spuren der Bachschen Cello-Suiten und ihrer musikalischen Klangwerdung. Ein ungewöhnliches, interessantes und, wenn man so will: schönes Buch – geschrieben mit der 'erzählerischen Kraft eines meisterlichen Improvisators'; mit Vergnügen zu lesen – und eine wunderbare Anregung, diese Musik (wieder) zu hören.

Was vielleicht neu und bisher nicht so präsent ist: Die Entstehungsgeschichte der Cello-Suiten und ihre Rezeption durch die Zeit. Eine unendliche Geschichte über drei Jahrhunderte hinweg, auf deren Spur sich Eric Siblin macht. Eine Geschichte voller Intrigen, voller Leidenschaft und Rätsel. Aus alledem ergibt sich ein Dreiklang aus den verlorenen Bach’schen Handschriften der Suiten im 18. Jahrhundert und sozusagen ihrer «Wiederentdeckung» zu Ende des 19. Jahrhunderts durch keinen geringeren als Pablo Casals, dessen geniale Einspielung der Suiten bis heute – trotz großer Namen wie Yo Yo Ma, Mischa Maisky, Rostropowitsch und anderer – unvergleichlich ist, und dem Spaziergang Erc Siblins durch die Welt der Klassik.

So begleiten wir den Autor und indirekt auch Pablo Casals durch die alten Gassen von Barcelona, durch belgische Herrenhäuser und durch die Konzertsäle der Welt – immer auf den Spuren der Cello-Suiten und ihrer musikalischen Klangwerdung durch den großen Virtuosen.
Ein ungewöhnliches, interessantes und wenn man so will, schönes Buch – geschrieben mit der «erzählerischen Kraft eines meisterlichen Improvisators»; mit Vergnügen zu lesen – und eine wunderbare Anregung, die Cello-Suiten (wieder) zu hören. ■

Eric Siblin, Auf den Spuren der Cello-Suiten – Johann Sebastian Bach, Pablo Casals und ich, 368 Seiten, Irisiana-Verlag, ISBN 978-3-424-15041-4

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