Peter O. Chotjewitz: «Tief ausatmen» (Lyrik)
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Über das tiefe Ausatmen von Gedanken
Dr. Karin Afshar
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Peter O. Chotjewitz kenne ich nicht. Ich habe mir das Buch ausgesucht, weil mich der Titel angesprochen hat. Tief Ausatmen. Der Einband fühlt sich rauh an, es ist ein ganz einfach gestalteter dunkelorangeroter Leineneinband und im Innern finden sich gelbliche Werkdruck-Seiten, auf ein paar Seiten Illustrationen, Skizzen von Fritz Panzer, die Gedichte – dreizeilig alle, zuzüglich Überschriften. Das Buch ist frisch aus der Druckerei. Sein Geruch ist mir sympathisch.
Ein erster Hinweis aufs Ausatmen dies:
Ich ging
Nach langer schwerer
geduldig ertragener
Überflüssigkeit
Das mit der Überflüssigkeit macht ihn mir sympathisch. Das ist wohl so, wenn man älter wird, und vieles gesagt ist – man das Leben und die von ihm gebotenenen Dinge eingeatmet hat, um gegen Ende festzustellen, dass die eigene Person doch eigentlich ziemlich unbedeutend ist.
Lesen macht einsam
Mit den Jahren kam
Bücher bis zur Haustür
die Eigentorheit
Wieder hat er mich! Das Wortspiel mit der Torheit, die zum Eigentor wird, und dass man sich bei allem Lesen und Wissen am Ende von den anderen entfernt. Ich unterbreche meine Lektüre und will jetzt wissen, wer der Mann ist, und ob ich ihn richtig verstehe. Also lese ich über Chotjewitz nach, auch um die Ankündigung seines Verlages (er sei «eigensinnig, tiefsinnig, hintersinnig») verstehen, zumindest aber verorten zu können.
Chotjewitz ist 1934 geboren. Seinen ersten Werdegang möge man selbst nachlesen, auch die Geschichte über die Freundschaft mit dem «Oberterroristen» Andreas Baader, dessen Wahlverteidiger er war. Seit Mitte der 1960er Jahre schrieb Chotjewitz realistische Erzählungen und Romane, die er bei Verlagen wie Rowohlt oder Kiepenheuer & Witsch publizieren konnte. Er trat der Gruppe 47 bei, distanzierte sich aber später von deren Monopolstellung: sie hätten den Literaturbetrieb «vergiftet». Chotjewitz – einen ersten Lyrikband hatte er 1965 mit «Ulmer Brettspiele» veröffentlicht, danach keinen mehr – hatte sich als Schriftsteller etabliert, wurde jedoch immer mehr zum Außenseiter: die «neue Innerlichkeit» löste eine Polit-Literatur wie er sie schrieb ab, und der Linksradikalismus der 70er Jahre ging in der Friedensbewegung und den Grünen auf. Chotjewitz zog sich zurück und übersetzte fortan u.a. den Literaturnobelpreisträger Dario Fo aus dem Italienischen ins Deutsche, und gab gelegentlich ein neues Buch heraus, so z.B. den historischen Roman «Macchiavellis letzter Brief». «Fast schien es, als verschwände hier ein Veteran der Linken stellvertretend für seine ganze Generation in der kulturellen und politischen Bedeutungslosigkeit.»
Chotjewitz tauchte wieder auf, nämlich beim Verbrecher Verlag. «Tief Ausatmen» ist posthum in diesem Oktober erschienen. Seine Frau Cordula Güdemann und der Verleger Jörg Sundermaier haben das Material zusammengestellt.
Soweit die Hintergründe, lassen wir jetzt wieder Texte sprechen. Fünf wähle ich noch aus, nicht ganz so willkürlich wie – so schreibt es der Herausgeber – Zeichnungen und Texte im Büchlein miteinander verknüpft sind.
Die Texte muss man sich vorlesen, mehrmals – zeilenübergreifend ergeben sie Sätze, Sinnzusammenhänge. Sie setzen einiges an Vor-, Welt- und auch Geschichtswissen voraus, denn sonst entgehen einem die offenen und versteckten Verweise!
Damals im kalten Krieg
Sehnsucht heißt das alte
Lied der Taiga das schon
meine Mutter sang.
Es ist nicht damit getan, dass man die Zeilen wiedererkennt – man muss sie weiterdenken. Und im Weiterdenken erst erfüllen sie ihren Anstoß.
Bulletin 9/2010
Herr der Sommer war
sehr groß alles voll Knollen
Hals Lunge Leber
Die Gedichte sind Skizzen, die umreißen, ein Tiefergehen erlauben, es aber nicht plakativ einfordern. Sie sind Gedanken im Vorbeigehen, eine Form andeutend. (Die Zeichnungen von Fritz Panzer könnten nicht passender sein.) An anderer Stelle sind sie unstet, kaum zu fassen. Sie wollen nicht festgehalten werden; alles Festhalten scheint dem Schreibenden Zwang.
Die Themen? Vielfältig, aber nicht geordnet. Die Sprache? Es blitzen hin und wieder Bukowskieske Vibes in den Zeilen auf. Manches verstehe ich nicht, weil mir der Kontext fehlt – ich bin eben Chotjewitz-Anfängerin.
Alles spüren
Kühl die schlaflose
Nacht am besten nichts kein Bär
kein Schweif nur liegen
Stilles Feuer
Dich trifft ein Blitz aus
dem Sehschlitz unterm Tschador
wird wild gejodelt

Eigensinnig schreibt Chotjewitz unbedingt, die Vorgabe keiner Formvorgabe ist die Freiheit, die er sich erlaubt. Hintersinnig und tiefsinnig – auch das. Die Verse sind inspirierend in ihrer Kürze, lassen viel Raum. Ein Könner eben.
Es findet sich Selbstironie und Selbstbeobachtung, Spott über andere und Kommentare zu Vergangenem. Eigensinnig schreibt Chotjewitz unbedingt – Elfchen haben wir hier nicht gerade vorliegen, die Vorgabe keiner Formvorgabe ist die Freiheit, die er sich erlaubt. Hintersinnig und tiefsinnig – auch das. Die Verse sind inspirierend in ihrer Kürze, lassen viel Raum. Ein Könner eben. Man kann sich jeden Tag einen Dreizeiler herausgreifen und an ihm eine Weile herumdenken. Und wem etwas einfällt, der möge dies beherzigen:
In der Straßenbahn
Was dir so einfällt
Junge schreib’s auf es könnte
ein Gedanke sein
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Peter O. Chotjewitz: Tief Ausatmen, Lyrik, Zeichnungen von Fritz Panzer, Herausgeber: C. Güdemann & J. Sundermeier, 140 Seiten, Verbrecher Verlag, ISBN 978-3943167023
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