Johann Sebastian Bach: «Brandenburgische Konzerte»
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Kühl-distanzierte Makellosigkeit
Christian Schütte
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Kaum mehr zu überblicken ist die Fülle der Einspielungen der Brandenburgischen Konzerte Johann Sebastian Bachs. Riccardo Chailly hat sich mit seinem Leipziger Gewandhausorchester eine Reihe von Neueinspielungen prominenter Werke Bachs vorgenommen, eine Matthäus-Passion ist bereits veröffentlicht, ein Weihnachtsoratorium folgt.
Dass gerade dieses Orchester den wohl bedeutendsten Komponisten in der Geschichte seiner Stadt immer wieder besonders in den Fokus der künstlerischen Arbeit nimmt, scheint wie selbstverständlich. Dennoch müssen die Musiker und ihr Dirigent sich in einem schier endlos gesättigten Markt an Einspielungen behaupten.

Titelblatt der «Six Concerts Avec plusieurs Instruments» mit Widmung an den Brandenburgischen Markgrafen
Die Gruppe von sechs Konzerten BWV 1046-1051 ist ein Werkkorpus von Kompositionen unterschiedlichster Besetzung und Stilistik. Bach stellte die Sammlung 1721 zusammen und widmete sie dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt. Die Entstehungszeit der einzelnen Werke geht mit hoher Wahrscheinlichkeit schon auf Bachs Jahre in Weimar und Köthen zurück. Der heute wie selbstverständlich gebrauchte Titel «Brandenburgische Konzerte» stammt keinesfalls von Bach selbst, vielmehr führte der Bach-Biograph Philipp Spitta den Begriff in seiner Biographie, entstanden in den Jahren 1873 bis 1879, ein. Der Originaltitel lautet «Six Concerts Avec plusieurs Instruments». Dieser Originaltitel verrät ein entscheidendes Merkmal: die von Konzert zu Konzert wechselnden Besetzungen jeweils unterschiedlicher solistischer Instrumente. Das Gewandhausorchester kommt also nicht durchgängig als geschlossener Klangkörper zum Einsatz. Die Besetzung ist ohne weiteres auf ein Kammerensemble reduzierbar, weswegen Aufführungen oftmals auch ganz ohne Dirigent auskommen.

Gilt als das älteste bürgerliche Konzertorchester im deutschen Raum: Das Gewandhausorchester Leipzig
Insgesamt ist hier eine Aufnahme von höchstem Niveau gelungen. Angefangen bei einer makellosen Tonqualität, zeigen sich vor allem die Musiker des Gewandhausorchesters den Anforderungen spieltechnisch und stilistisch bestens gewachsen. Die Aufnahme zeigt vor allem eins: Riccardo Chailly und seine Musiker streben nicht nach einem möglichst «barocken» Klang, eilen nicht einem Klangideal hinterher, das die Gepflogenheiten der Entstehungszeit der Werke möglichst treffsicher zu imitieren versucht. Das brauchen so versierte Künstler wie die Mitglieder des Gewandhausorchesters offensichtlich auch nicht, um zu einer überzeugenden klanglichen Umsetzung der sechs Konzerte zu kommen.

Die Einspielung wirkt streckenweise doch recht kühl und glatt, mitunter etwas blutleer – es gibt emotionalere Dirigate. Doch musiziert wird technisch in makelloser Perfektion – insgesamt eine Aufnahme von hohem Niveau.
Einzelne Momente als besonders gelungen oder kritisierbar aus dieser Aufnahme herauszupicken ist müßig, zu hören ist durchweg ein angemessenes Ergebnis. Doch bei aller archaischen Strenge, die Bach bereits in seine Partituren gelegt hat, wirkt die Einspielung streckenweise doch recht kühl und glatt. Die technische Perfektion vermag das einerseits auszugleichen, andererseits klingt Bach hier mitunter so blutleer, dass sofort Gedanken an im Detail vielleicht weniger ausgefeilte, aber doch emotionalere, packender Interpretationen wach werden lässt.
Der letzte Eindruck bleibt also etwas zwiespältig. Es spricht nichts gegen die Aufnahme und sie sei jedem, der sich erstmals mit den Brandenburgischen Konzerten befassen will, durchaus empfohlen. Wer die Stücke gut kennt, wünscht sich an der einen oder anderen Stelle sicher etwas mehr Inspiration, und ihnen sei ans Herz gelegt, die Aufnahmen der anderen prominenten Werke Bachs, die Chailly mit dem Gewandhausorchester bereits bei Decca veröffentlicht hat oder das plant, daraufhin ganz besonders sorgfältig zu hören. ■
Johann Sebastian Bach, Brandenburgische Konzerte, Gewandhausorchester Leipzig, Riccardo Chailly, Decca Classics
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