Glarean Magazin

Sol Gabetta (Cello): Elgar, Dvorák, Respighi, Vasks

Posted in Antonín Dvořák, CD-Rezension, Edward Elgar, Michael Magercord, Musik, Rezensionen, Sol Gabetta by Walter Eigenmann on 3. Mai 2010

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Wie aus zwei Güssen

Michael Magercord

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Was war zuerst, Film oder Filmmusik? Die Kolumbusfrage der modernen Musikkultur scheint leicht zu beantworten sein: Die Musik. Und wie eine Bestätigung erscheint die neue CD der Cellistin Sol Gabetta mit Einspielungen des Cellokonzertes von Edward Elgar und weiteren kürzeren Stücken des englischen Komponisten sowie Antonín Dvoráks und Ottorino Respighis.

Es sind durchweg Werke, die sich als neoromantisch bezeichnen lassen, also der hartnäckigen Spätform der himmelhochjauchzenden und zu Tode betrübten Ausdrucksform des 19. Jahrhunderts frönen, und trotzdem bereits zur Musik des 20. Jahrhunderts gerechnet werden.
Einer der großen Exponenten dieser Richtung war Edward Elgar, der auch – und vielleicht nicht ganz zurecht – als der Vater der leichten britischen Musik gesehen wird. Doch gerade sein Cellokonzert, das er direkt im Anschluss an den Ersten Weltkrieg noch unter dem Eindruck des schrecklichen Gemetzels komponierte, ragt aus seinem populärem Werk heraus, und es zeigt, dass Musik des 20. Jahrhundert möglich war, selbst wenn man sich nicht auf die Experimente des 20. Jahrhunderts einliess, die Komponisten wie Strawinsky oder Schönberg seinerzeit vorantrieben.

Elgar: Autograph-Seite des Cello-Konzertes

Die Antriebskräfte dieses Werkes scheinen in der Sehnsucht nach einer besseren Welt und in der Düsternis der bestehenden zu liegen, und der weiche, ja fast seufzende Ton der argentinischen Cellistin Sol Gabetta nimmt diese Stimmung vollends auf. Kein überflüssig virtuoses Spiel überfällt den Hörer, ungetrübt darf der sich der Trübsal ergeben… Man kann dieses Werk durchaus berechtigter Weise auch gebrochener interpretieren, so aber ist es geblieben, was es war: Eine Elegie, ein Klagelied – und es ist zu Musik geworden, die ihre Stimmung schafft und über (oder unter?) den Augenschein des Lebens legt. Filmmusik eben, die auch ohne Film ihre Wirkung entfaltet.

Die auf der CD drei folgenden, vierminütigen Stücke Elgars, von denen zwei dann tatsächlich in Filmen verwendet wurden, sind zwar aus fröhlicheren Tagen des Komponisten, nichts desto trotz ebenso romantisch, wenn auch ein wenig mehr himmelhoch jauchzend denn zu Tode betrübt. Der Auswahl des Briten sind noch zwei ähnliche Stücke der böhmischen Frohnatur Antonín Dvorák sowie ein Adagio des Italieners Ottorino Respighi aus dem Jahr 1924 beigefügt, der sich ebenfalls hartnäckig jeder Neuerung in der Musik widersetzte. Insgesamt unterliegt diese CD einer durchdachten Dramaturgie, die durch nichts gestört wird.

Peteris Vasks (* 1946)

Aber halt, da ist doch noch die zweite CD! Ein – modern gesprochen – Bonustrack mit einem viertelstündigen Cello-Solo des lettischen Komponisten Peteris Vasks, das die Cellistin auch oft als Zugabe auf ihren Konzerten spielt. Es ist ein recht charakteristisches Stück der baltischen Neuen Musik, schroff und doch gleichsam mit dieser typischen nordischen Weite, das von der Cellistin ganz andere Qualiäten abfordert als die Werke der Neoromatik. Kaum vorstellbar, wie es sich in die vorherige CD eingepaßt hätte. Die Plattenfirma hat gut daran getan, nicht zusammengefügt zu haben, was nicht zusammengehört. So nämlich haben wir nicht nur eine CD aus einem Guß, sondern zwei: Eine für die Liebhaber der elegischen Cellomusik, und dazu eine ganz andere, hochmodern und spannend – und Achtung: dies könnte die Filmmusik von morgen sein! ■

Sol Gabetta (Cello), Elgar – Cello Concerto, u.a., Danish National Symphonic Orchestra (Mario Venzano), Sony Music 88697630812

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Inhalt

CD 1

Edward Elgar
Concerto for Cello and Orchestra – Sospiri – Salut d’amour – La capricieuse

Antonín Dvorák
Waldesruh’ – Rondo für Cello und Orchester

Ottorino Respighi
Adagio con Variazioni

CD 2

Peteris Vasks
Gramata cellam – Cellobuch

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Michael Magercord

Geb. 1962, früher als Journalist bei der Berliner Tageszeitung taz und als «Stern»-Korrespondent in Peking tätig, verschiedene Buchpublikationen, lebt als Feature-Autor und Reporter des Hörfunks in Prag/Tschechien.

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