Sudabeh Mohafez: «brennt»
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«Der Feuerwehrmann, den ich küssen werde…»
Dr. Karin Afshar
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Es ist die Erzählperspektive, mit der eine Geschichte steht oder fällt. An ihrer Wahl zeigt sich, ob ein/e Erzähler/in die Fäden in der Hand hält und seinen/ihren Stoff beherrscht.
Sudabeh Mohafez hat in ihrem neuen Roman «brennt» die Ich-Perspektive gewählt und setzt diese beeindruckend ein. In ihrem Ich wohnen noch weitere Ichs, die der Leser als Pia und Jens kennen lernt. Außerdem ist da Hjartan (was auf Isländisch Herz heißt), der durch Manés Gedanken und Leben geistert. Er spricht jedoch nicht. Dass er tot ist, ist kein Geheimnis, wohl aber, unter welchen Umständen er gestorben ist, und vor allen Dingen: mit welchen Folgen für Mané. Beides bleibt bis kurz vor Ende der Erzählung im Dunkeln.
Zwei Feuerwehrmänner spielen eine Rolle: der eine rettet bei dem Hausbrand – mit dem die Geschichte einsetzt und bei dem Mané alles verliert – die Nachbarin, der andere rettet die Katze und zeigt Mané die dünne Grenze zwischen Leben und Tod auf. Der Brand ist Rahmengeschichte, nicht Ursache, sondern Bereinigung der Vorgeschichte, und in die wird der Leser zusammen mit Mané nun wie auf einer Feuerwehrleiter Schritt für Schritt auf den festen Boden zurückgeführt.
Den Boden hat die Protagonistin nämlich verloren, und sie ist dabei, verrückt zu werden. Ein traumatisches Ereignis muss es vier Jahre zuvor gegeben haben; es hat Manés Herz eingefroren und in einen Zustand versetzt, in dem sie bis jetzt gut funktioniert hat. Den Zustand übrigens, um den es hier geht, bezeichnen Kliniker mit dem Begriff «Posttraumatische Belastungsstörung». Im Feuer verglüht, verraucht und zerschmilzt ihre Mauer, und die Schleusen öffnen sich. Feuer wird von jeher die reinigende Wirkung zugedacht – hier ist es die Katharsis.
Die Erzählung ist mit Abstand und Beteiligung geschrieben, sie ist unsentimental und doch genau deshalb betroffen machend. Die Dramaturgie mit einer Peripetie ebenso wie mit der Katastrophe inszeniert, die Namenwahl der Personen, die Hinweise – es gibt davon etliche, die ich hier nicht verrate – legen dem Leser eine Spur. Sudabeh Mohafez liebt die Doppelpunkte. Sie bedient sich eines gesprochen-sprachlichen Stils, eines stetigen Bewusstseinsstroms mit fragmentarischer Gefühls- und Gedankenwelt, sie ist sprunghaft, unterbrochen und voller Angst – voller Fauchen.
Etwa in der Mitte des Buches «hat» sie den Leser: er ist eingetaucht in das Ringen um Klärung, die Aufarbeitung des Vergangenen und das Manövern an einer Grenze entlang. Nicht wenige Menschen kennen an sich selbst ähnliche Zustände, ähnliche Erfahrungen. Vermutlich sind die die begeistertsten Leser, die bei geklärtem Verhältnis zum Leben, bestätigen, in welche Höllen man absteigen kann. Jene aber werden das Buch fortlegen, die noch nicht einmal begriffen haben, dass sie in einer Hölle leben.
Es gibt viele lebenskluge, lebensweise Bilder in der Geschichte (außer von Geräuschen lebt diese von den Bildern). Eines der ersten, dem der Leser begegnet, ist besagte Szene, in der der Feuermann eine Frau aus dem oberen Stock an Mané vorbei auf der Leiter nach unten schützt. Er legt die Arme um sie, ohne sie zu berühren. Er treibt sie nicht zur Eile an, er mahnt nicht, sondern «tanzt» mit ihr. Das ist der Moment, in dem Mané weiß, dass sie diesen Feuerwehrmann küssen wird. Es ist diese Szene, die die Farbe Rosa des Einbands und den Namen Hjartan erklären – oder umgekehrt. Abgesehen davon, dass es ums Verrücktwerden geht, geht es um Liebe!
Sudabeh Mohafez wurde 1963 in Teheran geboren und lebt heute in Stuttgart. Sie ist die Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters. In ihrem Elternhaus wurde Deutsch, Persisch und Französisch gesprochen. Seit 1979 lebt sie in Deutschland. Nach dem Studium der Musik, Anglistik und Erziehungswissenschaften war sie jahrelang Leiterin eines Frauenhauses. «Wüstenhimmel, Sternenland» erschien 2004, im nächsten Jahr folgte der Roman «Gespräch in Meeresnähe». 2006 erhielt sie den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Mohafez wurde von Klaus Nüchtern für den Ingeborg-Bachmann-Preis 2010 vorgeschlagen. ■
Sudabeh Mohafez, brennt, Roman, 208 Seiten, Dumont Verlag, ISBN 978-3-821-9573-1
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Leseproben
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