Susanne Czuba-Konrad u.a. (Hg): «Wortwandlerinnen»
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«In jeder Sprache sitzen andere Augen»
Sigrid Grün
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24 Texte von 14 Autorinnen enthält der Band «Wortwandlerinnen». Es sind Texte von Frauen, die im Laufe ihres Lebens in Kontakt mit einer fremden – meistens der deutschen – Sprache gekommen sind. Lyrik, Essays und (autobiografische) Erzählungen legen Zeugnis ab vom Eintritt in eine neue Welt. Grenzen werden überschritten, Sprachbarrieren überwunden, um dahinter Neuland zu betreten, das oft abenteuerlich, manchmal beängstigend, aber stets bereichernd ist.
«Wie viele Zungen du sprichst, so viel mal bist du ein Mensch», sagt ein tschechisches Sprichwort, das die Autorin Radvana Kraslová in ihrem biografischen Text «Sprachkaleidoskop» zitiert. Sie berichtet von ihren Erfahrungen mit der deutschen Sprache, die sie erst relativ spät für sich entdeckte, denn ihre Mutter war Deutschlehrerin und Italienisch hat sie zunächst ohnehin sehr viel mehr interessiert. Doch sie setzt sich mit den Eigenheiten des Deutschen auseinander, vergleicht es mit dem Tschechischen und anderen Sprachen und entdeckt das Potenzial, das im Neuland steckt.
Die vorliegende Anthologie ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von Mitgliedern des «Literaturclubs der Frauen aus aller Welt». Die Autorinnen kommen aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen. Deutsch ist nicht immer eine Fremdsprache für sie, denn viele sind in Deutschland geboren und sammeln ihre Erfahrungen mit der Sprache zum Beispiel im Rahmen einer binationalen Ehe (z.B. Barbara Höhfeld). Aber stets ist eine «wandelnde» Bewegung auf der einen und eine «Verwandlung» der Figuren auf der anderen Seite zu erkennen, denn wer das Terrain einer neuen Sprache betritt, wird ein anderer.
In den Texten stehen deshalb auch häufig Identitätsfragen im Mittelpunkt: Wer bin ich, wenn ich in Deutschland geboren bin, meine Eltern aber aus dem Kongo stammen? Was bedeutet es, wenn ich in einem «feierlichen Akt» die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen bekomme? Bin ich dann eine andere? Welche Rolle spielt meine Herkunft? In welcher Beziehung stehe ich zu meiner Muttersprache?
Diese und viele weitere Fragen versuchen die Figuren in den Texten zu beantworten – entsprechend dem Diktum der Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller: «In jeder Sprache sitzen andere Augen».

Die Anthologie «Wortwandlerinnen», entstanden in Zusammenarbeit mit dem «Literaturclub der Frauen aus aller Welt», ist eine wunderbare Möglichkeit, sich den Alltag in Deutschland «vor Augen» zu führen - mit fremden Augen gesehen wirkt dann Alltägliches plötzlich nicht mehr so ganz «normal», wie man es eben kennt...
Das Buch ist in der Tat eine wunderbare Möglichkeit, sich den Alltag in Deutschland «vor Augen» zu führen – mit fremden Augen gesehen wirkt dann Alltägliches plötzlich nicht mehr so ganz «normal», wie man es eben kennt. Als Leser beginnt man damit, Dinge zu hinterfragen, mit denen man sich bislang nicht auseinandergesetzt hat – warum auch? Welche Fallstricke zum Beispiel in der deutschen Sprache lauern, wird einem erst bewusst, wenn man sie aus der Sicht eines anderen sieht.
Besonders schön an diesem Buch ist sein Facettenreichtum. Die Texte stimmen mal nachdenklich, manchmal muss man lachen – um dann aber doch noch nachdenklich zu werden. So wenn es z.B. bei Ayla Bonacker, die als junge Frau aus der Türkei nach Deutschland kam, um als Kartographin zu arbeiten, heißt: «Ein Sänger namens Heino mit einer kräftigen Stimme gefiel uns sehr gut. Ein Lied, das wiederholt gespielt wurde, handelte von einem Ozean oder Ezian oder sowas.» Daran sieht man wunderbar, wie sich auch dem Erwachsenen eine neue Welt über den Spracherwerb erschließt. Unbekanntes wird mit Vertrautem in Verbindung gebracht – es entstehen völlig neue Assoziationen, bis man eben lernt, dass der «Enzian» eine Alpenblume und kein großes weites Meer ist.
Diese Momente, in dem das uns Vertraute uns dadurch kurz entfremdet wird, dass wir es mit anderen Augen sehen, machen die Anthologie so spannend. So wird das gewohnte Umfeld zum Neuland, das man mit den Augen der Autorinnen sieht… ■
Susanne Czuba-Konrad, Tamara Labas-Primorac, Venera Tirreno-Schneider (Hg.): Wortwandlerinnen – Autorinnen von vier Kontinenten erzählen, broschiert, 172 Seiten, Brandes & Apsel Verlag, ISBN ISBN 978-3-86099-676-8
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