Das Zitat der Woche
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Der Glaube des Westens
Theodor Haecker
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Erst als die jungen Völker Europas, mitbringend nur ihr reiches Blut, ihre ungebändigte edle geistgerichtete Kraft und Leidenschaft, aber auserlesen, das Wertvollste zu empfangen, was die Welt hatte, auf ihren säftestrotzenden Stamm das köstliche Reis übernatürlichen Lebens gepfropft erhalten hatten, entstand auch eine Natur und natürliches Leben umfassende Literatur; indes auch sie war katholisch, niemals die unsichtbare Welt verleugnend, sie immer durchscheinen lassend. Die lateinisch sprechende und schreibende Kirche hat die Nationen Europas deren eigene Sprachen sprechen und schreiben gelehrt. Und damit war der Sinn Europas gegeben und enthüllt. Europa ist das Kind des Einen Glaubens und als dieses Kind der einzige Erbe des griechischen und römischen Geistes, der westlichen Kunst mit der Prävalenz der Leichtheit und Lichtheit strenger Form vor aller Schwere und Nacht chaotischen Inhalts; der westlichen Philosophie mit der Herrschaft des lebendigen Logos über Trieb und Drang und Leidenschaft; der westlichen Wissenschaft mit der Idee des Gesetzes und der Regel und der «Humanität». Das ist der «Westen» und das der Sinn des Westens und seiner Literatur, auch wenn diese nicht direkt davon, sondern sachlich von anderen Dingen spricht, was sie muß und soll: Im Gehorsam des Einen Glaubens, welcher das erste ist, an das Heil, das von den Juden kam, die Erben zu sein der Griechen, der Dämonie wie der Heiterkeit ihrer Kunst, der Exaktheit ihrer Wissenschaft, der Erhabenheit ihrer Metaphysik und ihrer großen Idee, der Humanität – Erben, nicht Sklaven, legitime Erben in aller Unmittelbarkeit ihres eigenen Lebens mit allen Rechten ihrer eigenen unvergleichlichen Natur, in der Freiheit und Gebundenheit ihrer eigenen mitgegebenen an die Nationen einzeln verteilten Gaben.
Dieses, aber zuerst den Glauben haben, das ist der geistige Sinn der europäischen Völker, das, und das allein, ist ihre verborgene Einheit, von diesem Sinne leben sie mitten in Schuld und Blut und Sünden, verlieren sie ihn ganz, sterben sie, wenn auch schreiend und schreibend. Es haben Zeiten gemeint und diese Tage meinen es noch, daß das antike Erbe: Philosophie, Kunst und Wissenschaft, wie nur der Westen sie hat, und Humanität, wie nur der Westen als Idee sie kennt, bewahrt und realisiert werden könne auch trotz oder gar wegen der Emanzipation von dem Einen Glauben. Ein gewaltiger Irrtum! Ohne den christlichen Glauben ist Europa nur ein Sandkorn im Wirbelwind der Meinungen, Ideen und Religionen, es wird morgen auf den Knien liegen vor den Russen, übermorgen vor den Japanern, in drei Tagen vor den Chinesen, in vieren vor den Indern, am letzten aber ganz gewiß die Beute der Neger sein; es wird morgen das Matriarchat haben und übermorgen die Pornokratie; seine Literatur wird nur mehr kennen und sagen die untergeistigen Dinge, nämlich die gnostischen, die unterseelischen, nämlich die psychoanalytischen, die unterleiblichen, nämlich eben diese in Unzucht und Perversion.
Aus Theodor Haecker, Der Sinn des Abendlandes (Tag- und Nachtbücher) 1939-45
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