Das Zitat der Woche
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Über die Demokratie in der Musik
Urs Frauchiger
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Wir sind doch Demokraten, nicht wahr? Vor dem Gesetze sind doch alle Bürger gleich, nicht wahr? Wir wollen doch niemandem etwas wegnehmen, nicht wahr? Wir wollen doch nur in Ruhe unseren Mercedes fahren und unseren Roten trinken, nicht wahr?
Wir sind doch keine Kommunisten, nicht wahr? Es gibt doch Unterschiede? Eines schickt sich doch nicht für alle? Die einen mehr so, die andern mehr so, nicht wahr?
Na, also!
Wir brauchen doch Musik, nicht wahr? So zwischendurch hat man das doch nötig. Es geht ja auch nicht bloss ums Entspannen, ums Übertönen. Es geht doch auch um das bessere Ich, um die Verbindung mit einem Höheren Wesen, nicht wahr? Es ist doch auch nicht der Moment, Phrasen zu dreschen, dazu ist nie der Moment. Musik ist doch höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie, nicht wahr?
Na, also!
Musik ist doch die wichtigste Nebensache der Welt, nicht wahr?
Na, also!
Wir tun ja auch etwas dafür, nicht wahr? Fast ein Prozent unseres Sozialprodukts geben wir dafür aus. Überlegen Sie sich doch mal, wieviele Autobahnkilometer man dafür bauen oder wie manche Ihrer ewigen sozialen Forderungen man erfüllen könnte. Der Steinway und die Polydor, die wissen ja nicht, wohin die Dividenden ausschütten, wo’s doch sonst überall abwärts geht. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, nicht wahr? Die Konzertsäle sind ja bumsvoll, wenn jemand Rechtes auftritt. Dass niemand das Provinzgedudel hören will, braucht ja auch nicht zu verwundern. Da könnte ja jeder kommen. Jemand muss ja schliesslich auch noch arbeiten, nicht wahr?
Na, also!Und schauen Sie doch einmal die Jungen an. Die schleppen ja auf dem grossen Trip die Klampfe noch in den Himalaja hinauf, bis nach Nepal, wenn’s sein muss. Und was die in den Kellern herumrocken, die ganze Freizeit geht da ja drauf dabei. Und was das Zeugs kostet, die Verstärker und die Synthesizer und das alles. Die arbeiten ja sogar, um das kaufen zu können, die würden’s auch stehlen, wenn sie sonst nicht drankommen. Soll ja sogar welche geben, die gehen auf den Babystrich, um Platten und Musikinstrumente kaufen zu können. Da kann man doch nicht sagen, die Musik spiele im heutigen Leben keine Rolle.
Na, also!
Natürlich gibt es Unterschiede, wo denn nicht? Die einen werden eben von der «Matthäus-Passion» echt angerührt, und bei den andern fällt der Groschen eher bei Peter Alexander, und die Jungen, na ja, irgendwo müssen die sich ja austoben. Ist allemal immer noch besser als die Drogen oder der Terrorismus. Seien Sie doch froh, dass nicht alle am selben Ort hinwollen, das gäbe ein schönes Gedränge. Wo doch alles gerammelt voll ist, der Dom bei der Matthäus-Passion und die Stadthalle beim Jürgens und bei den ABBAs. Wollen Sie die alle etwa ins Opernhaus hineinstopfen? Jedem das Seine, Mann, das ist Demokratie, und wenn’s etwas mehr sein soll, kostet’s halt auch etwas mehr. Viel ist es ja nicht. Alles hat seinen Preis, und aus nichts wird nichts.
Na, bitte schön!
Das ganze Geschrei von der privilegierten Minderheit, das kann ich schon gar nicht mehr hören. Das ist doch alles Ideologie, nicht wahr? Das will die Mehrheit ja gar nicht. Das kann die ja gar nicht verstehen, aber das darf man heutzutage gar nicht mehr laut sagen. Und dazu ist ja statistisch erhärtet, dass die Bundesliga mehr öffentliche Gelder bindet als alle Opernhäuser zusammen und im Total weniger Leute hingehen, fast dreimal weniger.
Na, also! ■Aus Urs Frauchiger, Was zum Teufel ist mit der Musik los – Eine Art Musiksoziologie für Kenner und Liebhaber, Zytglogge Verlag 1982
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