Wells Tower: «Alles zerstört, alles verbrannt»
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Wie schrecklich Liebe sein kann
Günter Nawe
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Es ist schön, dass es immer wieder Bücher gibt, die sich auf die eine oder andere Weise aus der Flut von Neuerscheinungen herausheben, neugierig machen – und auch glücklich, weil sie dem Leser das Gefühl vermitteln, etwas Wunderbares entdeckt zu haben. Ein solches Buch ist «Alles zerstört, alles verbrannt», ein schmaler Band mit Stories des jungen Kanadiers Wells Tower, 1973 in Vancouver geboren. Ein erstaunliches Debüt.
Was eine gute Short Story zu sein hat – Ernest Hemingway und Raymond Carver haben es gezeigt. Sie zeichnet sich durch eine bestimmte Art von Minimalismus und einen lakonischen Stil aus. Sie berichtet in der Regel von einfachen Menschen, von Alltäglichem und oft Nebensächlichem – und wird dadurch zu etwas beispielhaft Besonderem.
Von dieser Art sind auch die Geschichten, die Wells Tower erzählt. So von dem Mann, der von seiner Frau rausgeworfen wird, nachdem sie an der Windschutzscheibe seine Wagens einen Fußabdruck entdeckt, der mit ihrem eigene nicht übereinstimmt. «Vicky erblickte über dem Handschuhfach den schemenhaften Fußabdruck einer Frau an der Windschutzscheibe. Sie zog ihre Schuhe aus, sah, dass der Abdruck nicht mit ihrem übereinstimmte, und sagte Bob, er sei in ihrem Haus nicht mehr willkommen.»
Von einem unglücklichen Vater ist die Rede und seinem missratenen Sohn. Und von einer Insel, in der titelgebenden Erzählung «Alles zerstört, alles verbrannt», auf der die Menschen versuchen, sich durch Brandschatzen und Blutvergießen aus ihrer Hoffnungslosigkeit und von ihren Depressionen zu befreien. Das betrifft auch die persönlichen Beziehungen. «Pia fehlte mir schon jetzt… Zu böse und zu traurig war sie nicht aufgestanden, um von mir Abschied zu nehmen.» Am Ende stellt der Ich-Erzähler fest, «wie schrecklich die Liebe sein kann».
Es sind fast durchweg verkrachte Existenzen in einem «Wild America» – so der Titel einer der Geschichten. Wie Derrick und Claire, die sich permanent mit billigem Fusel besaufen. Zerstörung allenthalben und Selbstzerstörung. «Feindschaft» herrscht auch zwischen den beiden Mädchen Jacey und Maya. Zwischenmenschliche Beziehungen werden jeweils auf den Prüfstand gestellt – mit allen negativen Ergebnissen. Und Illusionen zerschellen an den Klippen des Lebens.

Mit «Alles zerstört, alles verbrannt» haben wir ein erstaunliches literarisches Debüt vor uns. Diese Stories des Kanadiers Wells Tower stehen in der Tradition der klassischen amerikanischen Kurzgeschichte, und doch hat der junge Autor seinen eigenen Stil, einen unverwechselbaren Ton. Seine Geschichten von verkrachten Existenzen und an den an den Klippen des Lebens zerschellten Illusionen gehören zum Besten, was das Genre «Kurzgeschichte» zurzeit zu bieten hat.
In Amerika gilt Wells Tower als hervorragender und vor allem als einer der besten Nachwuchsautoren der amerikanischen Literatur. Die Erstveröffentlichung seiner «Stories», die jetzt auch hier in der hervorragenden Übersetzung von Malte Krutzsch und Britta Waldhof zu lesen sind, erfolgte in «The New Yorker» und in «The Paris Review» – und wurden bereits mehrfach ausgezeichnet.
Tower ist allerdings kein Epigone von Hemingway oder Carver. Er hat schon seinen eigenen Stil, einen sehr eigenen Ton. Seine Geschichten sind von einer großartigen Eindringlichkeit. Atmosphärisch dicht, schnörkellos in der Diktion, kraftvoll und unsentimental und gerade deshalb von großer Tiefe. Meisterhaft.
Wells Tower ist ein großartiger Autor, von dem wir sicher noch viel erwarten dürfen. Deshalb dürfen wir auf das nächste Buch von ihm – er schreibt an einem Roman – sicher gespannt sein. ■
Wells Tower, Alles zerstört, alles verbrannt – Stories, 270 Seiten, S. Fischer Verlag, ISBN 978-3-10-080031-2
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