Glarean Magazin

Das Zitat der Woche

Posted in Essays & Aufsätze, Kunst&Kultur, Literatur, Musik, Politik&Gesellschaft, Wolfgang Böhler, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 16. Februar 2012

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Die falschen Argumente zur Buchpreisbindung

Wolfgang Böhler

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Die Diskussionen um die Buchpreisbindung machen vor allem eines erschreckend offensichtlich: Wie innovationsfeindlich, strukturkonservativ und asozial unsere Kulturschaffenden sind. Dass Gewerkschaften in der Wirtschaftspolitik sich durch strukturelles Beharrungsvermögen und den Erhalt unzeitgemässer Privilegien hervortun, kann man ja verstehen. Dass aber die Kulturschaffenden, die sich selber als Speerspitze der gesellschaftlichen Erneuerung und Entdeckerlust definieren, dasselbe tun, ist deprimierend.
Verfolgt man die Diskussionen rund um die Abstimmung vom 11. März, scheinen Buchhändlern und Autoren (in Form des Autorenverbandes AdS und anderer) vor allem zwei Argumente wichtig: Das Buch sei ein Kulturgut und gehöre speziell geschützt. Und kleinere regionale Buchhandlungen seien wichtige kulturelle Begegnungszentren.
Dafür nimmt man unsoziale Strukturen in Kauf: Mit Hilfe der Buchpreisbindung sollen künstlich hochgehaltene Preise für Bestseller im Grunde genommen exklusivere Produktionen und die Buchhandlungen subventionieren. Bestseller sind per se das, was das Gros der Bevölkerung liest. Die breite Masse – das «Volk» – soll also die gehobenen Ansprüche exklusiverer Kulturkonsumenten finanzieren. Das ist nichts anderes als Umverteilung von unten nach oben und würde von den Kulturschaffenden lautstark als Skandal gebrandmarkt, ginge es nicht um ihre eigenen Pfründe.
Die Buchpreisbindung ist aber nicht nur unsozial. Die Sorge um das Buch als Kulturgut und die Existenz lokaler Buchhandlungen zielen an den eigentlichen Problemen vorbei. Das Buch ist kein Kulturgut, es ist einfach ein Stapel zwischen Karton gepapptes Papier. Ein wirklich schützenswertes Kulturgut ist die Fähigkeit zu lesen, sich in abstrakte Gedanken und Geschichten, die mittels Worten weitergegeben werden, zu versenken. Es geht um Kompetenzen, nicht um Dinge.

Wolfgang Böhler

Das Gros der Autoren hat nicht dank dem Verkauf von Büchern ein Einkommen, sondern dank Auftritten und Begegnungen. In Zukunft wird dies noch vermehrt so sein. Dazu braucht es Räume und Infrastrukturen. Es braucht deshalb dezentrale, vielfältige kleine Begegnungstätten, die einen entscheidenden Beitrag dazu leisten können, dass unsere ländlichen Gebiete und Randregionen als Lebensräume attraktiv bleiben.
Es geht vor allem darum, solche zu bewahren oder zu schaffen – Bibliotheken, Kleintheater, Dorfbeizen mit Theatersälen, Kirchgemeindehäuser, Klublokale von Harmoniemusiken, Chören und Sportvereinen und so weiter. Die Herausforderung ist nicht, auch im Quartier und Dorf Bücher über einen Ladentisch verkaufen zu können, sondern Begegnungen zu ermöglichen und Fachleute auszubilden, die wissen, wie man Programme solcher Begegnungstätten lebendig hält und wirklich breiten Bevölkerungskreisen zugute kommen lässt. Dies gälte es gezielt zu fördern. Die Fixierung auf Papier und Buchhandlungen behindern bloss Strukturwandel im Kulturleben.
Die Erosion der Buchhandlungslandschaft und der Bedeutung des Buches als Medium ist so oder so nicht aufzuhalten. Die wirklichen Herausforderungen sind die gesellschaftliche Kohäsion, die sich in einer kulturellen Vielfalt und Dezentralisierung äussert, und der Erhalt von intellektuellen Kompetenzen in Form von Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben. Kämpfe um tradierte Privilegien verhindern nur die politischen Diskussionen und Prozesse, die dazu in Gang kommen sollten. ♦

Wolfgang Böhler ist Musik-Philosoph und Chefredaktor des Online-Klassik-Magazins «Codex flores», aus dessen Editorial vom 10. Feb. 2012 dieser Beitrag stammt; Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

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Das Zitat der Woche

Posted in Essays & Aufsätze, Kunst&Kultur, Wolfgang Böhler, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 24. März 2008

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Der (lange?) Abschied vom Kulturauftrag

Wolfgang Böhler

Es gibt im Diskurs zur Kultur Wörter, die viel Schaden anrichten. Eines davon ist «Kulturauftrag». Es suggeriert, dass Kultur im Grunde genommen so etwas wie der Blinddarm im ökonomischen System eines Staates ist, eine Pflichtübung zur Beruhigung der Bürger, die sich nach Höherem sehnen als das, was vermeintlicherweise wirklich zählt, nämlich Geld verdienen, genug Kohle haben, um Krankheiten zu bekämpfen und die Sicherheit des Staates garantieren. Im besten Falle wird Kultur als «weicher Standortfaktor» für die Wirtschaft verstanden. Der «Kulturauftrag» wird von Wirtschafts- und Finanzpolitikern dann als Kröte geschluckt, weil Unternehmen Spitzenkräfte anziehen wollen und dies eher tun können, wenn sie ihnen ein angenehmes Umfeld bieten.
Von der Idee des Kulturauftrags sollte man sich endlich verabschieden, genauso wie von ihren Vettern Kultur als Ausgleichstätigkeit, als musische Gegenwelt, Lifestyle, Savoir-vivre und so weiter. Mit solchen Kategorien − einer seltsamen Mischung aus Romantik als Gegenentwurf zur Industrialisierung und Kultiviertheit als vorzeigbarem Luxusgut − muss aufgeräumt werden. Kultur ist kein Feierabend-Ausgleichsprogramm, kein «weicher Standortfaktor» und genausowenig Teil der Unterhaltungs- und Luxusgüterindustrie wie die Zuliefererindustrie für Maschinenteile, aus denen Roboter gebaut werden, die Schoggistängeli ausspucken.
Die Sprachregelung wird hier entlarvt: Schoggistängeli sind zwar ein der Volksgesundheit abträgliches und auch sonst eher entbehrliches Genussmittel und schaffen keine Folgewerte. Die Industrie rundherum, von der industriellen Fertigung über die Verpackung bis zur Zuliefererkette, wird aber automatisch als «harte» wirtschaftliche Branche betrachtet, deren Förderung und Unterstützung politisch und volkswirtschaftlich unabdingbar ist.
Wie unterschiedlich auf der einen Seite etwa Industrie und Finanzbranche, auf der andern die Kreativwirtschaft wahrgenommen werden, zeigt sich auch im Klang von Berufsbezeichnungen: «Ingenieur», «Anlageberater», «Logistiker», das tönt alles nach soliden Beiträgen zur Erhöhung des Bruttoinlandproduktes und damit wirtschaftlicher Unentbehrlichkeit, auch wenn nur Schoggistängeli produziert oder Investements in den Sand gesetzt werden. «Schauspieler», «Musiklehrperson» oder «Performancekünstler» tönt hingegen wie die Fortsetzung des Müssigganges in dörflichen Vereinstheatern mit anderen Mitteln.
Die unterschiedlichen Sprachregelungen ziehen sich durch fast alle Bereiche: Schoggistängeli-Produzenten, Finanzberater und Turnschuh-Hersteller schaffen Arbeitsplätze und leisten damit einen bedeutenden Beitrag zur Volkswirtschaft, auch wenn das resultierende Produkt volkswirtschaftlich bedenklich ist. Noch nie hat hingegen ein Theaterintendant an einer Bilanzpressekonferenz verkündet, er habe im Bereich Schauspiel oder im Orchester so und so viele Arbeitsplätze geschaffen. Arbeitsplätze heissen in der Kreativindustrie nämlich nicht so. Dort heissen sie «Kostenfaktor».
Diese eingefahrene Art des Sprechens über Kulturarbeit muss als erstes durchbrochen werden, wenn es darum geht, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass ästhetische Arbeit im internationalen Wettbewerb echte harte Wettbewerbsvorteile schafft. Solidere und nachhaltigere als Schoggistängeli oder strukturierte Produkte. ♦

Der Musik-Philosoph Wolfgang Böhler (M.A.) studierte an der Universität Bern Wissenschaftstheorie, Mathematik und Musikwissenschaft, er ist Chefredaktor des Online-Klassik-Magazins «Codex flores», aus dessen Editorial vom 14.3.08 dieser Beitrag stammt; Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

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