Glarean Magazin

Guillaume Connesson: «Lucifer», Cellokonzert (Jérôme Pernoo, Jean-Christophe Spinosi)

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Infernalisches Klangspektakel

Wolfgang-Armin Rittmeier

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Musik-Rezension-Connesson-Lucifer-Cover-Deutsche GrammophonSchlägt man das Booklet zu dieser Neuveröffentlichung aus dem Hause Deutsche Grammophon auf, so ist dort über den 1970 in einem Vorort von Paris geborenen Komponisten Guillaume Connesson folgendes zu lesen: «Der 1970 geborene Guillaume Connesson ist zu jung, um sich jenem ideologischen und ästhetischen Diktat beugen zu müssen, das die vorangegangene Generation von Komponisten eingeengt hat. Seine Musik, immer wohlklingend und oft spektakulär hat eine Vielzahl von Einflüssen in sich aufgesogen. Seine ganze persönliche Welt ist das ‚Work in Progress’, welches aus jener Mischung von Pragmatismus und Naivität erwächst, die das Markenzeichen aller großen Schöpfer von Musik ist.»
Obwohl man Elogen wie diese von Bertrand Dermontcourt nicht sonderlich lieben muss, so ist an diesen Worten schon etwas dran. Connesson, der heute eine Professur für Orchestration am Conservatoire National de Région d’Aubervilliers bekleidet, schöpft definitiv und vollkommen sorglos aus dem Vollen. Da beste Beispiel ist da das hier eingespielte Ballet en deux actes sur un livret du compositeur «Lucifer», das 2011 uraufgeführt wurde. Die enorm farbenreiche, geradezu glitzernde Partitur des «Lucifer» deckt stilistisch so ziemlich alles zwischen dem Sacre, Sandalenfilmmusik aus dem Hause Metro Goldwyn Mayer und groovigem Jazz ab. Ein buntes, wildes, ziemlich ungehemmtes Treiben, das in seiner gewissen Prinzipienlosigkeit rundum höchst unterhaltsam und darum auch – im Gegensatz zu so vielen, vielen Kompositionen der Moderne und Postmoderne – in jedem Falle massenkompatibel ist. Massenkompatibel sind übrigens auch die Thematik der Ballettmusik und auch das von der Deutschen Grammophon gestaltete Cover, das einen düsteren Wasserspeier an der Kathedrale Notre Dame in Paris zeigt. Frakturähnliche rote Buchstaben präsentieren den Namen «Lucifer». Es ist das Dunkle, Gothicmäßige, Gruselig-Abgründige, das hier mit Werk und Aufmachung bemüht, bedient und schlussendlich verkauft werden. Nicht umsonst wird das Konzert für Violoncello und Orchester, das ebenfalls auf der CD enthalten ist, verschwiegen. Die CD kommt also daher als böte sie eine Art Soundtrack für das Wave-Gothic-Festival Leipzig. Trifft die Phrase «Classic goes Pop» irgendwo zu, dann sicher hier. Das dürfte auch im Sinne Connessons sein, der mit seiner Musik (nicht nur) in Frankreich bestens ankommt und eine Reihe unterschiedlichster Preise, beispielsweise den vom Institut de France vergebenen Cardin-Preis (1998), den Nadia und Lili Boulanger-Preis (1999) oder – im Jahre 2006 – den  Grand Prix Lycéen des Compositeurs erhalten hat. Guillaume Connesson hat von Beginn seiner Karriere an Elemente des Pop zu Themen seines Werkes gemacht hat, etwa in «Techno Parade», «Disco-Toccata» oder «Night Club». Warum also nicht auch hier?

Guillaume Connesson - Jean-Christophe Spinosi - Lucifer 2014

Komponist Guillaume Connesson (links) und Dirigent Jean-Christophe Spinosi während der Aufnahmearbeiten zu “Lucifer”

Tritt man nun einen Schritt vom Marketing zurück und hört der Musik aufmerksam zu, dann präsentiert sich «Lucifer» als durchaus packende neue Musik, als eine neue Musik, die in der Lage ist, auch den der arrivierten «Klassik» nicht ganz so nahe stehenden Hörer zu fesseln. Das Werk, im Prinzip zwar eine Ballettmusik, aber laut Connesson gleichzeitig eine «große Symphonie», ist in sieben Abschnitte unterteilt, denen der Komponist einen Titel und jeweils einen kleinen Text voranstellt. Es wird – die Überraschung ist nicht groß – von «Le Couronnement du Porteur de Lumière» bis zum «Épilogue» der Fall Luzifers vom größten aller Engel zum verstoßenen König der Hölle «erzählt», allerdings verquickt mit Elementen der Prometheus-Sage. Es ist die Liebe zu einer Menschenfrau, die seine Verurteilung und seinen Fall herbeiführt. Im Épilogue tritt schließlich der Mensch «an sich» auf, der die Krone des Luzifer findet und sich – hier hat die Symbolik etwas unschön Gewolltes – von dieser dunklen Macht enorm fasziniert zeigt.

Zur Musik: Das Werk eröffnet mit der Krönungsszene Lucifers («Le Couronnement du Porteur de Lumière»). Musikalisch ist das zunächst schon ziemlich packend. Wilde Skalen in allen Instrumentengruppen, entfernt orientalische Klänge und starke Betonung des rhythmischen. Dann ein plötzlicher Stimmungswechsel. Streicherglissandi leiten einen nach Science Fiction klingen Abschnitt ein, eine liebliche Oboenmelodie schleicht sich ein, der Gesang wird von Celli ausgenommen. Das Orchester wird satter und baut einen Höhepunkt von düsterer Größe im üppigsten Cinemascope-Sound auf. Zu dieser Musik hätte Cecil B. DeMilles Moses problemlos das Rote Meer teilen können. Dann Rückkehr zum Bacchanal. Der zweite Satz «Le voyage de Lucifer» ist als Scherzo angelegt. Streicher, Holzbläser und der üppig bestückte Percussionsapparat rasen in wilder Jagd jazzig dahin. «La Recontre», die Begegnung Lucifers mit der Menschenfrau, sieht Connesson als das «Herz» des Werkes. Tatsächlich ist auch dies ein höchst hörenswertes Stück Musik. Geheimnisvoll tastend der Beginn, langsam etabliert sich – um Verdi zu zitieren – eine «melodie lunghe, lunghe, lunghe» in den Violinen. Der Satz gewinnt zusehends an Fülle, an Körper und entwickelt sich zu einer rauschhaft-orgiastischen Liebesmusik, die sich erneut auf eine wuchtige Metro-Goldwyn-Mayer Klimax hinwälzt, die nicht nur von fern an den frühen Mahler erinnert. Nach «La Recontre» ist es dann aber mit dem Einfallsreichtum vorbei. Sicher, auch die sich anschließenden Sätze «Le Procès», «La Chute», «L’Ailleurs» und «Épilogue» klingen gut, aber sie bringen nichts Neues. Immer und immer wieder rasende Skalen, Jazzrhythmen, Breitwandklänge. Hinzu kommt, dass der Eklektizismus überhand nimmt. Immer wieder fühlt man sich erinnert. Mal klingt Connesson nach Howard Shore (Le Procès) und mal nach Vaughan Williams’ «Sinfonia antartica» und dem «Sacre» (L’Ailleurs). Schließlich scheint der Épilogue des «Lucifer» klanglich und atmosphärisch fast den «Epilogue» der «London Symphony» (ebenfalls Vaughan Williams) imitieren zu wollen. Nach knapp 40 Minuten, die den Hörer angesichts des durchaus ansprechenden Klangspektakels wohl bei Laune halten,  stellt man sich dennoch unweigerlich die Frage, ob das nun Musik ist, die über ihren knallbunten Eventcharakter hinaus etwas aussagt, etwas trägt oder ob sie das überhaupt will. Das etwas aufgepfropft wirkende «Programm» legt es zwar nahe, zurück bleibt aber der schale Geschmack einer eigentümlichen Leere.

Uneingeschränkt zu loben ist das atemberaubende Spiel des Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo unter der Leitung von Jean-Christophe Spinosi, das sich mit Elan auf diese musikalische Spielwiese wirft und sich mit rechtem Gusto austobt, sodass die Funken nur so fliegen. Wenn Connessons «Lucifer» lediglich den Anspruch hätte, ein Werk sein zu wollen, das zeigen möchte, was an Klang und Virtuosität aus einem großen Orchester herausgekitzelt werden kann, dann wäre dieses als Plädoyer für die Möglichkeiten des Orchester bestens gelungen.

Jérôme Pernoo - Cello - Lucifer

«Irrsinnige Spielfreude»: Solo-Cellist Jérôme Pernoo

Viel Klangzauber bietet auch das 2008 entstandene Cellokonzert in fünf Sätzen, die – so Connesson wiederum auf «zwei Akte» aufzuteilen sind. Auch hier finden sich im Beiheft allerlei Erklärungen dazu, wie das Werk zu verstehen sei und das, obwohl das Stück durchaus ohne Verstehenshinweise auskommt. Auch das Cellokonzert ist im Wesentlichen ein virtuoses Stück, das nicht nur den Cellisten, sondern auch das Orchester vor recht heikle Aufgaben stellt, und zwar nicht nur die nackte Spieltechnik betreffend, sondern ganz besonders, was die Vielfältigkeit und rasante Wechselhaftigkeit im Audruck angeht. Kaum sind die blockhaft-vehementen ersten Minuten des ersten Satzes «Gratinique» (hier sollen kalbende Eisberge inspirierend Pate gestanden haben) vorbei, schon gilt es eine zauberhaft klagende Atmosphäre im Mittelteil zu erschaffen. Das sich direkt anschließende «Vif» bringt Atemlosigkeit und unglaubliche Rasanz. Dann eine große «naturmagische» Musik im «Paradisiaque», in der das Cello zu einem großen Gesang anhebt, der nostalgischer, sentimentaler und bittersüßer kaum daher kommen könnte. Die «Cadence» fordert dem Solocellisten alles ab, was menschenmöglich ist, rausgeschmissen wird im letzten Satz «Orgiaque» mit Bacchanal-Stimmung, Jazz und Dixiland-Reminiszenzen.

Fazit-Rezensionen_Glarean Magazin

Das Cellokonzert und die Balletmusik «Lucifer» von Guillaume Connesson sind packende, glitzernde, virtuose Musikstücke, deren spektakulärer Charakter jedoch nicht unbedingt einen lang anhaltenden Eindruck hinterlässt. Die Ausführung durch den Cellisten Jérôme Pernoo und dem unter Jean-Christophe Spinosi spielenden Orchestre Philharmonique de Monte ist tadellos.

Cellist Jérôme Pernoo leistet hier spielerische und gestalterische Schwerstarbeit und wird dieser ausufernden, mäandernden, ja schon bald überladenen Cellopartie mit einer schon fast irrsinnigen Spielfreude gerecht. Das Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo unter der Leitung von Jean-Christophe Spinosi stehen dem in nichts nach.
Und doch stellt sich im Anschluss die Frage: Was bleibt? ■

Guillaume Connesson: Lucifer & Cellokonzert, Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo, Jean-Christophe Spinosi, Jérôme Pernoo, Deutsche Grammophon 481 1166. 1, Audio-CD

Hörbeispiele

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Internationaler Liechtensteiner Kompositions-Wettbewerb 2014

Posted in Ausschreibung, Kompositionswettbewerbe, Musik, Musik-Ausschreibungen, Zeitgenoessische Musik by Walter Eigenmann on 22. Juli 2013

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Moderne Gitarren-Stücke für den Unterricht

Musik-Schule Liechtenstein-Gitarren-Kompositions-Wettbewerb-Glarean-MagazinAnlässlich Ihres 50-Jahr-Jubiläums schreibt die Liechtensteinische Musikschule im Rahmen ihres siebten Musik-Festivals einen Internationalen Kompositionswettbewerb aus. Im Zentrum des Contests steht diesmal die Gitarre: Gesucht werden neue Kompositionen,um Musikschüler/Innen vermehrt geeignete Literatur in verschiedensten Besetzungen zur Verfügung stellen zu können. Die prämierten Kompositionen werden im Rahmen des Festivals im Frühjahr 2014 durch Ensembles der verschiedenen Länder aufgeführt. Einsendeschluss ist am 15. Oktober 2013, die weiteren Details finden sich hier. ■

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Weitere Musik-Ausschreibungen im Glarean Magazin

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Internationaler Schubert-Kompositions-Wettbewerb 2014

Posted in Ausschreibung, Kompositionswettbewerbe, Musik, Musik-Ausschreibungen, Zeitgenoessische Musik by Walter Eigenmann on 3. Juni 2013

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Gesucht: Trio-Werke für die Besetzung Klavier, Violine und Violoncello

Schubert-Kompositionswettbewerb-2014-Glarean-MagazinAnlässlich des 9. Wettbewerbs «Franz Schubert und die Musik der Moderne» (Februar 2015) schreibt die Kunstuniversität Graz (KUG) einen internationalen Kompositions-Wettbewerb aus. Verlangt wird ein Trio-Werk in der Besetzung Klavier, Violine und Violoncello mit einer maximalen Spieldauer von 15 Minuten. Einsende-Schluss ist am 28. Februar 2014, die weiteren Details finden sich hier. ■

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Weitere Musik-Ausschreibungen im Glarean Magazin

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4. Internationaler Kompositionswettbewerb Bruno Maderna

Posted in Ausschreibung, Kompositionswettbewerbe, Musik, Musik-Ausschreibungen, Zeitgenoessische Musik by Walter Eigenmann on 13. Mai 2013

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Gesucht: Moderne Werke für Jugendorchester

Bruno Maderna Kompositionspreis-2013Für den 2010 vom Orchestra Giovani Musicisti Veneti erstmals ausgeschriebenen Internationalen Kompositionswettbewerb Bruno Maderna können auch in diesem Jahr wieder Werke eingereicht werden. Vorgeschrieben ist eine Komposition für Jugendorchester mittleren Schwierigkeitsgrades, ihre Dauer sollte zwischen acht und zwölf Minuten liegen. Bezüglich Alter und Nationalität der Komponisten bestehen keine Einschränkungen, der Preis ist mit 2’000 Euro dotiert. Einsende-Schluss ist am 30. Juni 2013, die weiteren Einzelheiten finden sich hier. ■

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Kompositionswettbewerb des Deutschen Chorverbandes

Posted in Ausschreibung, Kompositionswettbewerbe, Musik, Musik-Ausschreibungen, Zeitgenoessische Musik by Walter Eigenmann on 15. Dezember 2012

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Gesucht: Neue Advents- und Weihnachtsmusik

Der Deutsche Chorverband und der Helbling Verlag schreiben zur chor.com 2013 wieder einen Kompositions-Wettbewerb aus. Diesmal ist die Ausschreibung für alle Genres offen, hingegen ist ein Thema vorgeschrieben; gesucht werden: «Neue Kompositionen und Arrangements zum Thema Advents- und Weihnachtsmusik». Einsende-Schluss ist am 28. Februar 2013, die weiteren Einzelheiten finden sich hier. ■

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Internationaler Kompositionswettbewerb der Deutschen Musikverbände

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Zeitgenössische Musik für Blasorchester und Spielleute

Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände lobt gemeinsam mit der GEMA-Stiftung einen Kompositionswettbewerb für die Besetzungsformen Blasorchester und Spielleute aus. Die Preisträgerstücke sollen zum fünften Deutschen Musikfest vom Mai nächsten Jahres in Chemnitz präsentiert werden. Ziel der Ausschreibung ist es, «zeitgenössische Literatur in einer innovativen Tonsprache für Besetzungen mittleren Schwierigkeitsgrades zu schaffen und diese in eine belegbare Nachhaltigkeit zu überführen». Einsende-Schluss für Partituren ist am 15. Dezember 2012, die weiteren Details finden sich hier. ■

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