Die Drehung der Schraube

Frank Miller ist inzwischen berühmt. Kein Wunder also, dass nun ein Comicband aus dem Jahr 1990, neu aufgelegt wird. Ein prachtvolles Buch (wenn man bei den ganzen verzerrten Gesichtern, den Schweißtropfen und dem Willen zur Gewalt überhaupt von „prachtvoll“ sprechen kann). Es ist voll verspielter detailreicher Bilder (die in all ihrem Detailreichtum der Gewalt dann auch schon wider die Würze nehmen, weil das Auge irgendwann gar nicht mehr durchblickt), wenig Text (das kommt dem Kinofan entgegen), und vor allem einer wirklich grandios gestohlenen Story. Wenn die nicht wäre… Na ja, dann blieben zumindest ein paar coole Bilder übrig, die, keine Frage, großartig gezeichnet sind.

Miller blieb sich immer treu. Viel Gewalt, gepaart mit Gesellschaftskritik. In HARD BOILED regiert die Groteske. Das verzweifelte Lachen einer stetig untergehenden Gesellschaft. (Und jetzt dürfen alle mitlachen.)

Gute Autoren sollten mindestens eine Schraube locker sitzen haben. Bei dem amerikanischen Science Fiction-Autor Philip K. Dick saß nicht nur eine Schraube locker. Ihm fehlte bereits eine ganze Wagenladung, die er in seine hochgradig paranoiden Stories baute. Keine Frage, der Mann konnte aufgrund von Zeitmangel und Geldnot nicht immer stilistisch brillante Texte abliefern, brachte dafür aber die vielleicht wichtigsten Beiträge zu Fragen der Wirklichkeit. Der Comic HARD BOILED von Frank Miller (Texte) und Geof Darrow (Zeichnungen) hat fleißig bei Philip K. Dick geklaut. Gut geklaut. Und gut geklaut, ist halb gewonnen. (Helene Hegemann lässt grüßen.)

Der Held in HARD BOILED heißt Nixon, nein, eigentlich heißt er Harry Seltz, Harry Burns, Carl Burns. Er ist der Vielnamige und Vielarmige. Hin und wieder heißt er auch noch Einheit Vier. So uneinheitlich kann es mit der eigenen Person zugehen. Und als wäre das noch nicht genug, ist er auch noch ein knallharter Roboter, dann wieder der Durchschnittstyp aus der Vorstadt, der verheiratet ist und zwei Kinder hat. Das geht zwar einigen von uns so. Aber nicht ständig. Er ist eine multiple Persönlichkeit. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. So richtig wird hier nichts aufgelöst. Und das ist gut so. Miller hat seinen Dick gut studiert und weiß genau, wo man in einer Geschichte die Schrauben lockern muss, damit sie ihr Gleichgewicht verliert. Und mit ihr hoffentlich auch der Leser. Stürzende Leser wachen nämlich in anderen Wirklichkeiten auf.

Stellen Sie sich vor, Sie wären als Killer in den Gefilden eines urbanen Dschungels unterwegs. Zwischendurch werden Sie wach, um festzustellen: Ich bin ein langweiliger Durchschnittstyp in der Vorstadt. Was wären Sie lieber? Und was ist, wenn der Vorstadtspießer nur das Beruhigungsprogramm in Ihrem Roboterhirn ist? Aber was ist, wenn die Roboter plötzlich eine Schraube locker sitzen haben? Träumen sie dann von einem langweiligen Leben in der Vorstadt? Und nächste Frage: Sind das dann perverse Roboter, oder nicht? Und schreiben Sie demnächst aus Zeitnot stilistisch schwache Science-Fiction-Romane?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Dick lässt grüßen! Und wir lockern weiter fleißig unsere Schrauben, und grüßen zurück.

(Erschienen bei culturshock)

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