15. Juli 2010, Der Zwei-Millionen-Euro-Mann, 20.24 Uhr (PP)

Whiskey. Zigarre.
Habe eine fürchterliche Nacht hinter mir. Sturm und Regen. Dachte schon, Gott hätte die eine oder andere Sache über mich raus gefunden und nun sei ich dran. Nix da! Das Haus blieb heil. Nicht mal der kleinste Baum stürzte in mein Zimmer. Schlief irgendwann gegen Morgen ein. Träumte wirr. Wie immer. Ist nichts Neues für mich. Befand mich mit Indiana Jones auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer. Fanden es schließlich im Keller eines Berliner Dichters, dessen Namen ich hier nicht schreiben möchte. Er drohte uns mit seinem Gedichtzyklus „Darmspiegelung“. Wir zogen uns zurück. Anschließend fand ich mich bei einer Domina wieder, die mich mit Indiana Jones Peitsche erzog. Seltsamer Traum. Beunruhigte mich ein wenig.
Nach dem Aufstehen zog ich mich mit einem Herrenmagazin auf die Toilette zurück. Der Rest ist bekanntlich Schweigen.
Frühstückte ein Bier. Dachte an den Anruf der Sekretärin. Wie hieß sie nur? Schön. Die wollte doch heute hier auftauchen. Ich sah mich hektisch um. Die Wohnung befand sich in einem ausnehmend guten Zustand. Gut. Da lagen ein paar Sachen rum. Störte mich aber nicht.
Ich sah auf die Uhr. Schnell noch einkaufen. Ich suchte alles Geld zusammen, das sich auftrieben ließ. Sagte den Einkauf ab.
Also warten, dachte ich.
Ich setzte mich an den Computer. Wollte einen Essay überarbeiten. Surfte ein paar Stunden im Netz. Was man da alles findet. Diese Ansaugpumpe für den Mann über Dreißig. Wahnsinn.
Und dann klingelte es. Ich ging gemütlich zur Tür. Fragte über die Gegensprechanlage nach.
„Wer?“
„Hier ist Schön“, sagte die hohe Frauenstimme.
„Hier nicht“, antwortete ich.
Überwältigt von meinem gnadenlos guten Humor packte ich meine Hand vor den Mund, damit sie mich nicht kichern hörte.
Klar. Ich ließ sie rein. Immerhin war ich für einen Literaturpreis nominiert. Den Namen hatte ich vergessen.
Da war sie. Alt. Hässlich. Bemalt wie ein Indianer auf Kriegsfuß. Stöckelte auf ihren Hochhackigen in mein Privatreich.
„Da wohnt er also“, sagte sie.
„Wer?“
„Scherzkeks!“
Sie stieß mich kameradschaftlich in die Seite.
„Genau so habe ich mir ihre Wohnung vorgestellt. So …“, sie suchte nach Worten, „ … so … verdreckt, erbärmlich, eines schlechten Autoren wirklich würdig.“
„Was soll das heißen?“, fragte ich
Sie: „Dazu kommen wir später. Könnten Sie mir bitte ein … Bier anbieten.“
„Nix mehr da.“
Die Alte nervte. Ich sah mich mit meinem Vorschlaghammer. Scheißidee. Mit einer Ausgabe des Zauberberg. Ja, das hätte Stil. Ich würde sie mit Thomas Mann erschlagen.
„Nun gut“, sagte sie. „Kommen wir eben gleich zum Geschäft.“
„Geschäft?“
„Nicht ganz. Sie sind für den Graf-Eckhard-Leopold-Rothenburg-Preis 2011 nominiert. Der Preis wird zum ersten Mal vergeben. Außer Ihnen sind noch zwei weitere Autoren nominiert. Das Preisgeld beträgt zwei Millionen Euro.“
Klar. An der Stelle musste ich husten. Ich bekam mich gar nicht mehr ein.
„Sie müssen wissen“, fuhr sie fort, „es ist ein sehr eigener Literaturpreis. Wir suchen den schlechtesten Dichter des Jahres 2010. Wir suchen einen Autor, der sich nicht verkauft, und vor allem, und das ist ganz besonders wichtig, der sich nicht verkauft, weil er wahrschaft schlecht ist.“
„Und da sind Sie auf mich gekommen. Danke.“
Die Zauberberg-Ausgabe war aus dem Spiel. Ich sah mich mit einem Flammenwerfer. Nein, kein Flammenwerfer. Ich sah mich auf einer Atombombe reiten. Woher hatte ich die Idee nur? Kubrick? Egal. Nö, nicht egal. Ich könnte mir nachher einen Kubrick ansehen.
Ich blickte auf. Ach, da war ja noch die Schön.
„In Ordnung“, sagte ich. „Und wann bekomme ich Bescheid?“
„Wir kommen auf sie zu. Und verlieren Sie kein Wort über diesen Preis. Wir beobachten sie. Das sind harte Typen. Denen wollen sie nicht begegnen. Ehemalige Lektoren von Suhrkamp.“
Die Einschüchterungsmethode saß.
„Kein Wort“, sagte ich.
Sie nickte. Machte einen Schritt auf mich zu. Kniff mich noch ml in die Seite, kicherte und ging.
Ich legte mich zum Arbeiten aufs Sofa. Dachte darüber nach. Ich musste an eine Irre geraten sein. Um mich abzulenken, gönnte ich mir noch einen Russ-Meyer-Film. Der überforderte mich nicht, regte mich aber auch irgendwie an. Ich wollte mein logisches Denken eliminieren. Es gelang. Schließlich schlief ich ein. Keine Ahnung, wovon ich geträumt habe. Wachte auf, zündete mir eine Zigarre an. Goss mir einen Whiskey ein. Trank meinen Whiskey. Rauchte meine Zigarre. Schrieb. Und hier ist es.

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