20. Juli 2010, Nicht Schriftsteller spielen, sondern Schriftsteller sein, 5.58 Uhr

Kaffee, Zigarette.
Wach. Ausgeruht.
Gestern Abend sah das noch ganz anders aus. Ich konnte kaum die Augen offen halten, schlürfte rasch noch einen Sekt mit Seraphe, schlich mich dann davon, weg, dachte ich, hinüber ins Bett. Die Uhrzeit? Es war etwa 21.10 Uhr. Zu früh. Ich weiß. Und weil mich die Muse nicht allein lassen will, kam sie hinter mir her. Sie war nicht glücklich. Das sah ich ihrem Gang und ihren Augen an.
„Es ist erst kurz nach …“
„Ich weiß“, unterbrach ich sie. „Aber ich kann einfach nicht mehr. Ich bin fix und fertig.“
Das bin ich oft. Kaputt, meine ich. Müde. Ausgelaugt. Im Internet mag ich dazu nicht recherchieren. Da stößt man nach dem zweiten Klick auf Krebs. Dabei habe ich mich doch erst vor einigen Monaten Durchchecken lassen. Der Krebs ist es also nicht, denke ich.
Was dann?
Ich schreibe. Das tun viele. Ich schreibe ungeheuer viel. Mein Lektor würde mir jetzt das Wort „ungeheuer“ streichen, aber ich lasse es stehen, weil es dem Sachverhalt nahe kommt. Ich habe keine Ahnung, in welchem Umfang andere Autoren produzieren. Bei mir liegt der tägliche Ausstoß zwischen 7 und 10 Seiten. Wenn ich einmal nicht schreibe, entstehen immer noch 2 Seiten. Ich schreibe sehr rauschhaft. Das Schreiben ist für mich zu einer Sucht geworden. Nicht Schriftsteller spielen, sondern Schriftsteller sein. Die Dinge verschieben sich. Ich betrachte nahezu alles mit dem Auge des Autors. Wenn ich nicht schreibe, dann brüte ich über meinen Geschichten. Ich entwerfe sie im Kopf. Stunden über Stunden. Es ist bestimmt nicht einfach, mit einem solchen Menschen zu leben.

In der letzten Nacht träumte ich. Ich kann mich daran erinnern geträumt zu haben. Es ist wie der Geschmack, den ein gutes Essen auf der Zunge hinterlässt. Ich kann mich aber nicht an die Träume erinnern. Welche Speisen wurden serviert? Vielleicht hätten sie die Grundlage für ein Gedicht sein können. Oder ich hätte etwas über mich lernen können.

Kaffee. Zigarette. Ein leichter Morgenwind durchströmt die Wohnung. Seraphe liegt noch im Bett. Sie schläft. Träumt ihre Träume. Ich denke noch einmal über den letzten Tag nach. Vielleicht sollte ich etwas weniger schreiben. Schlimm ist nur, es wird nicht so sein. Ich nutze jede Geschichte, die sich am Horizont zeigt, um sie zu erlegen. Hat so etwas nicht Thomas Bernhard gesagt? Ist es von ihm? Von mir? Alles ist Literatur. Die Grenzen verschwimmen allmählich.

Ich trinke einen weiteren Schluck Kaffee. Der Kaffee ist kalt geworden. Also werde ich mir welchen nachgießen. Ich werde noch eine Zigarette rauchen und dann … schreiben!

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