Drei: Eier

Und dann urplötzlich stehe ich in der Straße der Fleischer, sie haben ihre Läden gerade geöffnet, Blut fließt aus den Läden auf die Straße, ich sehe genauer hin, schüttel mich, kein Blut, das war nur Einbildung, ein Tagtraum, der Geruch von Tod hängt in der Luft, denn hier liegt Metzgerei an Metzgerei, dies ist eine Stadt der Schlächter, das war sie schon immer, der Verkauf von Fleisch war allzeit die Haupteinnahmequelle, ich selbst arbeitete früher öfter in den Schlachtereien, wühlte mich durch Blut und Innereien, und nun stehe ich hier, ich atme erleichtert auf, denn endlich bin ich den Gefängnismauern entkommen, ich laufe die Läden ab, pfeife sogar ein Lied, die Melodie kommt mir bekannt vor, aber ich könnte nicht wirklich sagen, woher ich sie kenne, bis mich plötzlich ein Junge, der vor einem Laden kehrt, darauf aufmerksam macht, ach, sagt er, ein national gesinnter Herr, warum, frage ich, sie pfeifen die Hymne, deshalb, ach, daher kannte ich die Melodie also, ich bleibe vor der Auslage stehen, da sind kleine Ponys aufgestellt, Spielzeuge, wir verkaufen das beste Pferdefleisch der Stadt, sagt der Junge, kommen Sie doch rein, Sie können auch gerne etwas versuchen, also folge ich ihm, es ist angenehm kühl, steril, in der Theke liegt allerlei Fleisch, probieren Sie diese Wurst, sagt der Junge, er hält mir einen Teller hin, ich greife zu, hm, schmeckt, sage ich, da kommt der Chef um die Ecke, die Schürze blutig, einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich, sagt er, ich erwidere den Gruß, was dürfen wir Ihnen denn einpacken, nichts, sage ich, ich bin eigentlich auf der Suche nach Arbeit, das Lächeln, das eben noch die Lippen des Chefs umspielte, weicht, er knurrt, Arbeit gibt es keine und zeigt zur Tür, also gehe ich, schlendere noch kauend weiter, sehe mir die Auslagen an, Fleischerei auf Fleischerei, ich wundere mich, wie die alle überleben können, mache einen weiteren Schritt, da stehe ich vor einem Laden, der wie ein Fremdkörper scheint, wie eine wunderschöne Blume, die sich hier zwischen all das Unkraut verirrt hat, ein merkwürdiger Laden, der bemalte Eier anbietet, ein Osterladen, der ganzjährig die schönsten Eier verkauft, ich kann mich von den Eiern gar nicht lösen, auf manche sind ganze Landschaften gemalt, Schlösser, Kutschen mit hochfeinen Herrschaften darin, das muss ein großer Künstler sein, denke ich, da taucht in der Tür plötzlich das Gesicht einer jungen Frau auf, ein engelhaftes Geschöpf mit schwarzen Haaren, dunklen, tieftraurigen Augen, die man hier nicht oft findet, sie bezaubert mich, ich weiche einen Schritt zurück, nicht doch, sagt sie, kommen Sie herein, danke, danke, stammele ich und folge ihr, ich stehe unsicher da, trete von einem Fuß auf den anderen, was ist denn mit Ihnen, fragt sie, ist Ihnen etwa nicht gut, doch, doch, sage ich, nur, ja, fragt sie, ich habe kein Geld, ich bin auf der Suche nach Arbeit, das sie kein Geld haben ist nicht weiter schlimm, sagt sie, aber Arbeit habe ich leider keine, ich sehe mich um, all die Eier, wunderschön, sage ich, nehmen Sie nur eins in Ihre Hand, sagt sie, ich lehne ab, nein, nein, nein, ich würde sie nur kaputt machen, sage sich, ich bin ein grober Mensch mit groben Händen, sie lacht auf, nein, das sind Sie nicht, sagt sie, ich frage sie plötzlich nach ihrem Namen, sie sagt, Seraphine, ich sage, das ist ein wunderschöner Name, sie dankt mir, lacht, aber nicht bösartig, sondern voller Herzenswärme, sie fragt mich nach meinem Namen, ich stocke, überlege, sage dann, Albert, schön, Albert, sie greift nach einem Ei mit Goldumrandung, nehmen Sie dies, aber ich kann es doch überhaupt nicht bezahlen, dann schenke ich es Ihnen eben, sagt sie, ich kann es nicht fassen, denn mir hat noch nie jemand etwas geschenkt, höchstens Tritte in den Bauch, ich kann das nicht annehmen, sage ich, sie sagt drauf, schade, sie stellt es wieder zurück, mir fehlen plötzlich die Worte, als sie von hinten gerufen wird, mein Vater, sagt sie, ich bin sofort wieder bei Ihnen, sie verschwindet hinter einem Vorhang, ich sehe mich noch einmal um, ein letzter Blick auf all die Eier, dann gehe ich rasch, denn ich weiß einfach nicht, was ich hier soll, ich fühle mich fremd, ich bin nicht für paradiesische Orte geboren, ich bin ein grober Mann mit groben Händen, also stolpere ich auf die Straße zurück, die ersten Hausfrauen sind bereits unterwegs, sie sehen mich abschätzig an, erkennt man denn so einfach, was ich für einer bin, ich schlendere weiter, beschleunige nach einer Weile meinen Schritt, ich will fort von hier, da höre ich meinen Namen, ich drehe mich um, Seraphine steht auf der Straße, sie sieht sich um, ruft, Albert, ich bin unschlüssig, spiele mit dem Gedanken, zurück zu gehen, nein, tu das nicht, du würdest ihr nur weh tun, ich drehe mich wieder um, den Blick gesenkt, ich stoße in einen Herr mit Brille und Aktentasche, ich murmele, entschuldigen Sie, er flüstert etwas, eine Beleidigung, ich überhöre sie, biege ab, wieder eine Straße mit Metzgereien, ich befinde mich in einem großen Schlachthaus, diese Stadt ist ein Schlachthaus, also gehe ich in den nächsten Laden, frage nach Arbeit, die haben dort sogar einen bissigen Hund, und ob man es glaubt oder nicht, sie wollen ihn auf mich hetzen, nur weil ich nach Arbeit frage, ich stürme raus, weiter, immer weiter, denke ich, gib nicht auf, du wirst Arbeit finden, denk an den Direktor, Arbeit, eine Familie, vielleicht sollte ich doch zu Seraphine gehen, nein, ich bin für die Huren gemacht, die einfachen Frauen, nicht für Engel.

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