27. Juli 2010, Das traurige Leben der Papiertaschentücher, 7.30 Uhr

Kaffee, Zigarette, Seraphe und Sternchen noch schlafend, während ich schniefend und niesend unsere Papiertaschentücher aufbrauche; eins nach dem anderen segelt von den Rändern des Schreibtisches hinab ins Parkettmeer. Dort treiben sie ziellos, bis ich mich erbarme, meine Hand zum Hubschrauber mutiert, der sie aus der tosenden See befreit; arglos hängen sie zwischen Daumen und Zeigefinger, um schlussendlich achtlos im Müll entsorgt zu werden. Keine anständige Beerdigung. Nichts. Dabei waren sie für mich da. Rieben meine Nase bis zur Erschöpfung. Undank ist der Tücher Lohn.

Weil nichts zu tun war, taten wir auch nichts; wir brachten den Tag auf Rohm-Art um. Liegen, die Decke fixieren, ob sie sich nicht doch in Luft auflösen ließe. Essen. Ein wunderbares Currygericht. Zwischendurch ein kurzer Ausflug in die Stadt, zwei Bücher vom Wühltisch. Die werde ich wohl nie lesen, aber sie füllen das Mauerwerk aus Büchern auf; meine ganz private Klagemauer, die ich täglich bestaune, der ich täglich meinen Tribut zolle, meine Sünden beichtend. Und kann ich keine anbringen, dann erfinde ich einfach welche. Ich erinnere mich an den Pfarrer meiner Kindertage, der uns streng musternd bat, nur ALLE Sünden zu beichten, auch die des Körpers, ja, ja, ich stieg in den Beichtstuhl und log das Blaue vom Himmel herunter, damit der Pfarrer befriedigt (!) war und ich meine Ruhe hatte. Sünden des Beichtens wegen.

Telefonierte noch mit dem Verleger. Dies und das. Dann meldete sich noch das polnische Malergenie Leszek Skurski, der, so will es scheinen, wieder aus den Niederungen seines Urlaubs zurück an die Oberfläche des Alltags geklettert ist.

Abends noch ein Film, den ich mit Nachdenken über das Nachdenken verbrachte. Das schlechte Gewissen plagte mich ein wenig. Nichts geschrieben. Das wird noch ein böses Ende nehmen.

Die Nacht verträumt, wie es Schläfers Art eben so ist.

Ich werde mir, Sie ahnen es bereits, noch einen Kaffee holen, nicht, weil es hier am Ende immer steht, sondern weil die Restbrühe im Becher bereits bitterkalt ist. Ich werde eine Zigarette rauchen und dann …

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