Kaffee, Zigarette, da sitzt er, den Rücken krumm, Bauchansatz, neben sich eine Tasse Kaffee, der Schreibtisch ist übersät mit Überflüssigem, da wäre ein Handy, diverse Strohhalme, ein Taschenrechner, Ausgaben der eigenen Bücher, zwei Sonnenbrillen, eine Taschenuhr, die er nie bei sich trägt, er ist früh aufgestanden, die Wohnung liegt noch im Schweigen, seine Frau schläft, die Kinder schlafen, er mag diese Momente der Ruhe, er versucht sich auf den vergangenen Tag zu konzentrieren, will ihm Seltsames ablauschen, um es aufzuschreiben, er hat eine Idee, die er gleich wieder verwirft, er schaut sich um, er könnte eine Zigarette rauchen gehen, draußen auf dem Balkon, das macht er immer so, er hat noch nie in der Wohnung geraucht, er könnte sich einmal von außen beschreiben, denkt er, aber wie würde das enden, das kann nicht funktionieren, das wäre nicht ehrlich, er steckt viel zu sehr in sich drin, er kann nicht aus sich fliehen und so tun, als würde er einen Fremden beschreiben, er versucht es aber trotzdem, er setzt sich hin, schreibt, Kaffee, Zigarette, da sitzt er, den Rücken krumm, er hört auf mit Schreiben, horcht in die Wohnung, alles ruhig, er fragt sich, ob die Welt, die er nicht sieht, tatsächlich existiert, er schleicht sich an die Schlafzimmertür, reißt sie auf, da schläft sie, seine Frau, alles da, alles vorhanden, die Welt ist da, jetzt müsste er sie nur noch beschreiben, also entschuldigt er sich bei seiner erschrockenen Frau, er geht zum Schreibtisch zurück, zündet sich eine Zigarette an, weil er immer beim Schreiben raucht, noch nie hat er die Wohnung deshalb verlassen, er hat von solchen Gesundheitsfanatikern gehört, aber die können ihm gestohlen bleiben, er setzt sich, schreibt, Kaffee, Zigarette, da sitzt er, den Rücken krumm, Bauchansatz, neben sich eine Tasse Kaffee, der Schreibtisch ist übersät mit Überflüssigem, da wäre eine halbleere Flasche Wein, Fotos mit Leuten darauf, die er noch nie gesehen hat, er ist sich da vollkommen sicher, nein, die hat er noch nie gesehen, überhaupt kommt ihm seine Umgebung plötzlich fremd vor, er springt auf, wo bin ich, flüstert er aufgeregt, da steht schon im nächsten Moment eine fremde Frau im Zimmer, sie sieht ihn erschrocken an, er hört Getrampel, ein Mann, schrankhoch und mit finsterem Blick mustert ihn, was ist hier los, er kann die Welt nicht mehr verstehen, ganz ruhig, sagt der Mann, ich rufe jetzt die Polizei, das soll mir recht sein, sagt er, denn irgendetwas stimmt hier nicht, bis er den Kopf hebt und merkt, dass er nur eine Geschichte geschrieben hat, es ist alles in Ordnung, er lächelt erleichtert, er nimmt einen Schluck von seinem Kaffee und lässt das Schreiben für den Moment sein, er ist ermattet, geht auf den Balkon um eine Zigarette zu rauchen, als er von hinten eine Stimme hört, die ihn anruft mit den Worten, wer sind Sie, nicht schon wieder denkt er, bleibt stehen, hebt den Kopf, sitzt wieder am Schreibtisch, das war schon die nächste Geschichte, es ist als könne er den Erzählungen nicht mehr entfliehen, er schließt die Augen, lächelt gütig, dann soll es eben so sein, denkt er, schreibt weiter, Kaffee, Zigarette, da sitzt er, den Rücken gestreckt, Waschbrettbauch, neben sich ein Glas Wasser, das Telefon läutet, er geht ran, er hat schon wieder einen wichtigen Literaturpreis gewonnen, nicht schon wieder, denkt er, während draußen in der realen Welt seine Bücher reißenden Absatz finden, er ist der König der Autoren, leider weiß er an diesem Morgen noch nicht, dass er am Nachmittag von einem fanatischen Fan auf dem Weg ins Fitnessstudio erschossen wird, und weil er das noch nicht ahnt, fühlt er sich gut und schreibt die nächste Geschichte, einfach so, als gäbe es immer nur sie, eben diese nächste Geschichte.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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