Der Kellner

Der Kellner ist auch mal Gast, dann sitzt er bei seinem Sohn Robert in der Laube, obwohl Robert gar nicht da ist, weil der Robert Vertreter für Staubsauger ist, also einer, der ständig unterwegs ist, die Touren müssen gefahren werden, das Lächeln muss sitzen, sonst verkaufe ich nichts, erzählt Robert seinem Vater manchmal, der Kellner in einem Wirtshaus ist, das unten an der Straße liegt, in der Dorfmitte, da ist immer was los, vor allem am Sonntag, da kommen die Leute aus der Stadt, weil der Kaffee und der Kuchen bei uns noch erschwinglich ist, außerdem klettern sie hoch zur Grotte und beten, nur kurz, weil so ein Gebet ja nicht schaden kann, wie sie mir nachher erzählen, wenn sie ihren Kaffee bestellen und ihren Kuchen, das erzählt der Kellner nicht Robert, seinem Sohn, sondern Else, die war seine Frau, die ist nun tot, die hat einer totgefahren, einer aus der Stadt, betrunken war er, steuerte den Wagen über den Bürgersteig und schon war sie tot, die Else, die es doch eh schon schwer im Leben hatte, die einen steifen Arm hatte, den sie an ihren Körper presste, als hätte sie Angst ihn zu verlieren, obwohl er ihr doch gar nichts mehr brachte, sie hätte ihn her geben können, ihren linken Arm, den sie steif wie einen windschiefen Ast am Körper trug, der mit ihrem Bauch verwachsen schien, die Else hatte es doch eh schon schwer, aber das brachte ihr auch nichts, der Herrgott hatte kein Einsehen, er ließ sie trotzdem von einem Betrunkenen totfahren, obwohl sie oft in der Grotte betete, denn in der Grotte, da war einem Mädchen vor Jahrhunderten die Jungfrau Maria erschienen, seitdem pilgern die Leute an diesen Ort, sie klettern zur Grotte hinauf, obwohl es dort nichts gibt, nur eine Höhle mit Kerzen und Kreuzen drin und alten Leuten, die sich die Finger wund beten, das erzählt der Kellner nicht seinem Sohn Robert, denn der ist unterwegs, der muss Staubsauger verkaufen, mit dem hatte das Leben auch kein Einsehen, nicht das Leben und nicht der Herrgott, dem ist die Frau davon gelaufen, ist mit dem Kind weg gegangen, dem Enkelkind des Kellners, der auch mal Gast ist, der heute Gast ist und in der Laube seines Sohnes Robert sitzt und von Else erzählt und dem betrunkenen Autofahrer, der sie tot fuhr, den sie mit einer milden Strafe davon kommen ließen, der sich beim Kellner entschuldigen wollte, aber der Kellner wollte das nicht, denn das brachte ihm seine tote Else auch nicht zurück, das erzählt der Kellner, in der Laube sitzend, einen Schoppen Wein auf dem Tisch, niemandem, weil niemand da ist, und weil der Kellner auch gar niemanden dabei haben will, wenn er über Else und Robert spricht und Roberts Frau und sein Enkelkind, denn das geht niemanden etwas an, nicht mal den Robert, der eh fort ist, der unterwegs ist, um Staubsauger zu verkaufen, der Kellner erzählt sich dies alles selbst, er erklärt es den Wänden, dem Tisch, dem Schoppen Wein vor sich, er denkt an die Else, die er immer Schatz rief, die nun tot ist, die nicht mal ein Gebet zurück holen kann, denn der Kellner hat es versucht, er war oft oben in der Grotte, er hat sich die Hände blutig gebetet, aber da kam keine Antwort, also, so dachte er, kann ich meine Gespräche mit dem Herrgott auch beenden, ich kann meine Sorgen auch dem Tisch und dem Stuhl in meinem Zimmer anvertrauen, aber heute spricht er mit den Wänden in Roberts Laube, weil der Kellner heute Gast ist, denn auch ein Kellner ist mal Gast, er ist ein einsamer Gast, der sich die Hände vor das Gesicht hält und still weint, der flüstert, das kannst du nicht tun, komm zurück, der keine Antwort erhält, der sich die Tränen aus den Augen wischt und auf den Weg macht, weil er am Abend Dienst hat, dann muss er wieder Kellner sein, obwohl er das hasst, nie wollte er Kellner sein, so wie sein Sohn Robert keine Staubsauger verkaufen will, aber das Leben ist kein Zuckerschlecken, das fährt betrunken über den Bürgersteig und tötet einem die Frau, was soll man von einem solchen Leben schon erwarten, denkt der Kellner, der nun kein Gast mehr ist, der sich auf dem Weg zum Gasthaus befindet, der sich ein Lächeln ins Gesicht presst, denn das wollen die Leute sehen, da bekommt er mehr Trinkgeld, die wollen kein Leid sehen, denn dafür bezahlen sie nicht, denkt der Kellner, der das Gasthaus betritt und nun Kellner ist.

(Erschienen bei Die Veranda)

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