Schon huscht Schwarz durchs Bild, knittrig, weil Teil von einem Kleid, vielleicht nicht gebügelt, denke ich, an Jochen, denke ich, schließe die Augen, Zigarettenqualm vorm Mund, die rissigen Lippen, Emma, sagt er, ist der Kaffee fertig, also öffne ich die Augen wieder, würde gerne Renate rufen, sagen, Renate, nun brauch ich für deinen Papa nie mehr Kaffee zu kochen, aber ich sehe Renate nicht, nur eine Silberkanne auf einem alten Schrank, ich kenne nicht die Kanne, ich kenne nicht den Schrank, also schlucke ich, obwohl der Mund trocken ist, denn ich scheine hier fremd zu sein, ich hebe den Kopf, entdecke Jacob, Jochens Bruder, also alles gut, auch wenn ich den Schrank und die Kanne nicht erkenne, den Jacob kenne ich, er lächelt mich an, ich denke zurück, vor fünfundzwanzig Jahren, ein Kuss im Hausflur, schnell und verschreckt, der Jacob drückte ihn mir auf die Lippen, nicht der Jochen, der es nie erfuhr, nie erfahren darf, ich schüttele den Kopf, dumme Frau, nun wird er es nicht mehr erfahren, zum Glück, denn das hätte mir den einen oder anderen Schlag eingehandelt, da war er nicht zimperlich, der Jochen, die Renate lehrte er ebenfalls das Fürchten, oft und lang, so dass sie ging, mit Sack und Pack, versöhn dich doch, bettelte ich, nichts zu machen, sagte Jochen, sie hat ihre Entscheidung getroffen, da beugt sich Jacob herunter, wenn ich etwas für dich tun kann, sagt er, schon, antworte ich, ja, fragt er, einen Kuss könntest du mir geben, jetzt ist es raus, ich laufe nicht rot an, das will mir in diesem Alter einfach nicht mehr gelingen, also fange ich an zu husten, huste ein, tut mir leid, muss am, ich versteh schon, unterbricht Jacob mich, blinzelt mir zu wie einem jungen Mädchen, wir können uns später mal treffen, sagt er, schon schiebt er sich weiter, ich sehe wieder Schwarz, obwohl ich Rot sehen müsste, das Schwarz verschwindet, gibt meinen Blick frei auf die Kanne, den Schrank, jetzt erkenne ich sie wieder, die kauften wir in Hamburg, denn dort wohnten wir, ich überlege, irgendwann, Gott, ich kann es gar nicht mehr sagen, da nahm er mich zum ersten Mal mit Gewalt, da packten seine riesigen Riesenhände nach meinem Haar, zogen daran, kippten meinen Körper nach hinten auf das ungemachte Bett, nein, bitte, nicht so, aber weil Jochen der war, den sie alle in ihm ahnten, ließ er nicht locker, er drang mit Gewalt in mich ein, raubte mich aus, als Entschuldigung, zum Trost, gab es dann diesen Schrank, diese Kanne, ich bleibe hier sitzen, die müsste man mit ihm begraben, denke ich und schäme mich im nächsten Augenblick für meine Gedanken, da beugt Renate sich zu mir, kann ich dir etwas bringen, Mama, nichts, mein Kind, nichts, ich werde sie verkaufen, ganz sicher verkaufen, denn das waren seine Trophäen, mit denen feierte er meinen Untergang, ich presse die Lippen aufeinander, noch fester, viel fester, denke, ich werde mich mit Jacob treffen, nichts kannst du nun dagegen tun, ich blicke auf, sehe Schwarz, es huscht durchs Bild, knittrig, weil Teil von einem Kleid, vielleicht nicht gebügelt, denke ich, an Jochen, denke ich, schließe die Augen, Zigarettenqualm vorm Mund, die rissigen Lippen, Emma, sagt er, ist der Kaffee fertig, ja, sage ich, der Kaffee ist fertig, dann bring ihn mir, Miststück, ja, sage ich, zieh dich aus, schon schnalzt die Reitpeitsche auf, ich sehe in Jochens Augen, ich spiegele mich darin, verzerrt, und weiß in diesem Augenblick genau, dass ich ein Teil von ihm bin und immer ein Teil von ihm bleiben werde.
(Erschienen bei Die Veranda)