Kaffee, Zigarette.
Die Muse schläft. Der linke Arm ist nach oben gestreckt, zeigt aufs Mauerwerk, vielleicht sitzt sie in einem Traumschulzimmer fest, sich meldend, hier, hier, hier, Herr Lehrer, ich kenne die Antwort, ohne je erlöst zu werden. („Hier geht es doch nicht um Antworten. Hier geht es um ein Spiel, um Unterordnung, denn wir spielen die Gesellschaft nach.“ Der Lehrer grinst sie garstig an, seine Augen scheinen einem Filmdämon zu gleichen. Die Muse zuckt zurück. Nur einen Augenblick. Dann tauscht sie diese Traumszenerie gegen eine Bar in der Karibik aus. Gut gemacht, meine kleine Seraphe.)
In der Bar kann ich sie zurück lassen, ich lasse sie ihren Cocktail schlürfen, schiebe mich umständlich aus dem Bett, denn ich will die Musiker, die gerade mit einem Stück begonnen haben, nicht stören. Seraphe schmatzt zufrieden. Der Cocktail muss wirklich besonders gut sein.
Raus, raus, wie eine Echse, jetzt übertreibe ich natürlich. Rüber in die Küche. Kaffeemachine anschalten. (Die regelmäßigen Leser meiner pathologischen Tagesbeschreibungen kennen das schon, Sie können es wahrscheinlich schon nicht mehr lesen, immer nur Kaffee, Zigaretten, schreiben Sie endlich mal über etwas, was uns auch wirklich interessiert, vielleicht mal über eine Orgie, klar, klar, würde ich gerne, aber die feiere ich mit der Muse und die will nicht, dass ich darüber schreibe, ich höre die Leser schon schreien, er steht unter den Pantoffeln, nein, würde ich sagen, nicht unter den Pantoffeln, nur unter der Liebe, die hat Gesetzte, ihre ganz eigenen, auf die einigt man sich, und die Muse und ich haben uns einfach auf unsere Gesetzte geeinigt, es sind unsere zehn Gebote einer unausgesprochenen Ehe.)
Nach der Kaffeemaschine kommt der Balkon, ich greife nach den Zigaretten, stopfe mir eine ins Maul, und dann wird geraucht und geschaut, was das Zeug hält. Starre in die Dunkelheit, hinein in die Trübe, horche auf die Geräusche. Autos, die fort fahren, die ankommen, ein Mann vielleicht, der seine Frau gerade erschlagen hat und es nun der Geliebten erzählen will („Was soll das heißen?“ – „Ich habe sie erschlagen. Für dich. Für mich. Wir können jetzt für immer …“ – „Du bist irre …“ – „Nein!“ – „Was hast du da in der Hand …?“ – „Jetzt hör mir doch zu …“), ja solche Gespräche kann ich hören, und jetzt erzählen Sie mir nicht, ich sollte mal zum Arzt, denn immerhin sind der Irrsinn und all die Einbildungen die Grundlage meiner Kunst (ich höre den geneigten Leser schon zischen: „Ach, jetzt fabriziert er bereits schon Kunst, demnächst hält er sich noch für den neuen Picasso.“).
Nach der Zigarette geht es rein und ran an den Computer, bewaffnet mit dem Kaffeebecher (um mal die Echtzeit ins Spiel zu bringen: Der Kaffee ist mir unter der ganzen Schreiberei schon wieder kalt geworden. Ich hol mir mal rasch Nachschub, einen kleinen Moment also …)
So. Ich bin zurück. Der Kaffee dampft. Vielleicht ein bisschen viel Milch, naja, egal. Wo war ich? Ich lese kurz oben nach …, ach, da …
Ich sitze also am Computer, rufe meine Mails ab, dann will ich meinen pathologischen Eintrag des Tages schreiben. Mach ich auch, immerhin lesen Sie den ja gerade.
Vom Vortag solltest du auch etwas erzählen, denk ich und grübel, was war denn da nur, eigentlich könnte ich so einiges berichten, aber ich ziere mich, weil da noch Dinge in der Schwebe sind. Also berichte ich darüber später.
Mein kleinster Prinz feierte Geburtstag. Das gehört hier auch noch rein. Unbedingt sogar. Seraphe und ich riefen ihn an. Später gingen die Muse und ich noch in ein Restaurant. Da saß ich dann bei Fleisch, meinem Weib und keinem Gesang. Wir unterhielten uns, spähten unsere Augen aus. Ja, wir verlieben uns täglich ein wenig mehr in uns, vergucken uns in unsere Seelen und unsere Körper. Und weil die Pathologie auch ein wenig Pathos braucht, muss ich es hier schreiben: Seraphe ist meine große wahre Liebe. (Jetzt höre ich die Leser schon wieder, dieses Mal mit den Worten: „Wird ja immer kitschiger hier.“) Ja, das kann schon sein. Das gilt es auszuhalten.
Heute? Tja, heute werde ich hautsächlich arbeiten, schreiben, denn es gilt da noch einen längeren Text zu überarbeiten. Gott, ich darf seinen Namen unnütz im Mund führen, weil er für mich nur eine weitere literarische Gestalt ist, ich hasse das Überarbeiten. Man müsste sich jemanden engagieren können, der die Überarbeitungen übernimmt, einen fähigen Autor, den man mit den Überarbeitungen überschüttet, um sich einzig nur um Neuschöpfungen kümmern zu müssen.
Gerade habe ich mich umgedreht, denn in meinem Rücken liegt besagter, von mir schon oft beschriebener Balkon, um nach den Wolken zu linsen. Die schieben sich allmählich auseinander. Vielleicht kommt doch die Sonne raus, vielleicht zeigt sie ihr Haupt, ihr lachendes Gesicht, von dem ich gar nicht mehr recht weiß, wie es denn eigentlich aussieht.
Die Muse schläft noch immer. Ich werde jetzt meinen Kaffee trinken (dieser soll mir nicht auch noch unter meinem Schreibfluss erkalten), ich werde noch eine Zigarette rauchen und dann …
… ja, dann werde ich mich wohl ans Überarbeiten machen.