Und Frau Hagenmeier, tja, die verstand sich aufs Kinderkriegen und aufs Teekochen, auch aufs Tragen und Dirigieren, die schleppten alles, was man benötigte, in die alte Schlachterei unten am Fluss, die gehörte niemandem mehr, ich kam dort an, keine Sekunde später stand Frau Hagenmeier mit ihrem dürren, knochigen Jungen vor mir, das ist Jakob, sagte sie, der ist aus einer anderen Ehe, Sie müssen wissen, ich war schon einige Male verheiratet, aber schweigen Sie darüber, mein Mann darf nichts davon wissen, dann kicherte sie, und der Junge, fragte ich, wie haben Sie ihm den Jungen erklärt, hab erzählt, er wär mir zugelaufen, was ja auch fast stimmt, denn sein Vater war ein Durchreisender, ich kannte nicht einmal seinen Namen, er goss mich wie eine welke Blume, und da sehen Sie die Blüte, sie klopfte dem Jungen auf den Rücken, sonderbar, sonderbar, dachte ich, sie erzählt das alles vor dem armen Kerl, der neben uns stand, schwitzend, weil er wie ein Esel beladen war, er trug einen Campingkocher, eine Gasflasche, dann noch eine Tasche, daraus lugte der Stiel eines Topfes, mein Mann kommt jeden Augenblick, er wird den Patienten mitbringen, wir können ja schon mal rein, ich mache uns einen Tee, habe alles dafür dabei, warum nicht, sagte ich, allerdings war ich ziemlich erstaunt über das alles, wir marschierten also los, soll ich dir was abnehmen, sagte ich zu dem Jungen, aber seine Mutter mischte sich sofort ein, nein, nein, der ist das gewohnt, wir sollten ihn nicht verwöhnen, solche Erziehungsmethoden enden nur böse, gibt man ihnen den kleinen Finger, dann wollen sie die ganze Hand, und ehe man sich versieht, findet man sich einer Schlachterei wieder, die kaufen heute alles Fleisch, früher war das anders, da kauften sie zwar auch Menschenfleisch, aber sie wollten ein Herkunftsnachweis, nicht wie heute, da nehmen sie jeden und alles, sie sah sich kurz um, spuckte aus, lief durch das hohe Gras zum Eingang hinüber, ich dahinter, dann folgte schnaufend der Junge, sie schob das eiserne Tor zur Seite, trat ein, blieb stehen , atmete laut aus und ein, ja, das ist noch ein heiliger Ort, sagte sie, und tatsächlich, das Innere erinnerte mehr an eine Kirche als an eine Schlachterei, zwar waren Boden und Wände gekachelt, aber dies mit kleinen Mosaiksteinen, die Szenen aus dem Metzgereihandbuch nachstellten, da packten zwei Metzger einen Stier an den Hörnern, drehten ihn, man konnte in ihren Augen den Blutdurst sehen, auf dem nächsten Bild war der Stier bereits tot, sie tranken sein Blut aus Krügen, einer wischte sich den Mund, das musste ein großer Künstler gewesen sein, dachte ich, blieb ehrfürchtig stehen, Sie waren wohl noch nie hier, fragte Frau Hagenmeier, ich verneinte, das ist ein wichtiger Ort, sagte sie, aber sonst nichts, erklärte nicht, warum er so wichtig sei, ich konnte es mir nur denken, sie gab ihrem Sohn einen Schlag auf den Hinterkopf, mach schon, du Idiot, bau alles dort drüben auf, sie zeigte ihm den Platz, er stampfte drauf los, baute den Kocher auf, schloss die Flasche an, goss Wasser aus einer Flasche in den Topf, die hatten tatsächlich an alles gedacht, entzündete die Flamme mit einem Streichholz, setzte sich auf den Boden und wartete, die Tassen, schrie Frau Hagenmeier, wo hast du die Tassen, und den Tee, wo hast du den, der Junge sprang auf, durchsuchte die Tasche, fand zwei Metallbecher, und der Tee, den habe ich vergessen, stotterte er, habe ihn vergessen, er zitterte am ganzen Körper, so etwas hatte ich noch nie gesehen, na, das war jetzt natürlich eine Lüge, ich hatte weitaus mehr Angst erlebt, aber noch nie, weil jemand Tee vergessen hatte, ich erfuhr aber nach einigen Sekunden, warum der Junge wie Espenlaub zitterte, die gute Frau Hagenmeier stürmte auf ihn los, stürzte sich auf ihn, prügelte wie eine Furie auf ihn ein, riss an seinen Haaren, sie hatte gleich ein paar Büschel in der Hand, hielt sie triumphierend in die Höhe, der Junge schrie nicht, wehrte sich nicht, er zitterte nur, er war ihr Benehmen wohl gewöhnt, ihre Schläge, und wusste wohl, wenn er sich wehrte, dann wurde es nur schlimmer, ich stand da, sah zu, rief irgendwann, lassen Sie es doch gut sein, ich wollte auch gar keinen Tee, Frau Hagenmeier hielt die Hand in der Luft, was trinken sie denn lieber, fragte sie, ich hob die Schultern, ich mag eigentlich mehr Kaffee, sie sah den Jungen an, hast du an Kaffee gedacht, der Junge schüttelte verneinend den Kopf, den hast du also auch vergessen, schrie Frau Hagenmeier und schlug weiter, da öffnete sich die Tür, Herr Hagenmeier trat ein, hinter sich drei Mann, zwei davon trugen einen Leinensack herein, Herr Hagenmeier blieb stehen, sah seine Frau an, den Jungen, was ist denn hier los, fragte er, nichts, nichts, sagte seine Frau, der Junge hat schon wieder den Tee und den Kaffee vergessen, ihr Mann schüttelte den Kopf, der wird es nie lernen, sagte er, aber jetzt lass ihn, wir haben hier eine Operation zu erledigen, lass den Burschen, es reicht, also ließ sie ab, ihr Gesicht war schweißüberströmt, wie gefällt es dir her, sagte Hagenmeier zu mir, sehr schön, sagte ich, fast wie in einer Kirche, das ist unsere Kirche, erwiderte Hagenmeier, er gab denen mit dem Sack ein Zeichen, sie gingen an uns vorüber, ließen den Sack fallen, da ist dein Bert drin, sagte Hagenmeier, habe ich mir schon fast gedacht, lachte ich ihn an, nicht lachen, zischte Hagenmeier, niemals im Hause des Herrn lachen, tut mir leid, sagte ich, blickte betreten zu Boden, dann ging es los, endlich.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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